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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Schießens an einem Tage (Donnerstag) blos in der großen Festhütte (Carline)
99,800 Flaschen Wein verkauft wurden, so lag dies doch weniger an dem guten
Willen der hier Versammelten, als an ihrer geringern Anzahl. Ohne Wein im
Waadtlande kein Vergnügen, ohne Wein keine Arbeit! Gehen Sie heute auf
den Markt und kaufen Holz -- bedungen oder nicht bedungen, die Flasche Wein
gehört zum Kaufe. Man kann es den Leuten auch uicht verdenken, der Wein
hier ist gut und billig, und zum Trinken wird er ja gebaut, und wahrlich, ein
Land ist glücklich M preisen, wo auch dem Arbeiter, der bei seiner schweren Ar¬
beit ein geistiges Getränk haben muß, die Möglichkeit geboten ist, sich für V2
Balzen (2 Kreuzer Rheinisch) einen Schoppen trinkbaren, für i Kreuzer einen
guten Schoppen Weins (halbe Flasche) statt des anderwärts heimischen, unge¬
sunden, Geist und Leben vergiftenden Fusels, zu kaufen. Doch kehren wir zurück
zu unsrem Feste. Wie schon erwähnt, fehlte natürlich auch der Tanzplatz nicht,
dessen Boden der Izrüne Rasen, dessen Decke das blaue Himmelsgewölbe war,
und der doch bei all seiner einfachen, von grünen Tannenzweigen errichteten Ein¬
fassung nicht wenig dazu beitrug, dem Ganzen ein heiteres, freundliches Ansehen
M geben. Freilich würde sich manches seine Stadtdämchen in Deutschland beim
Anblick dieses holperigen Bodens erschreckt fragen: "Hier tanzen?" -- allein-hier
M der Schweiz wird das nicht so genau genommen; der Schweizer liebt seine
Berge und freie Natur selbst bei diesen Vergnügungen, und sind die Pas hier
auf dem frischen Rasenplatze auch uicht künstlerisch recht, so sind sie doch eben
so gut gemeint, als aus dem feinsten Ballsaale. Mir, ich muß es gestehen,
macht es mehr Vergnügen, die Heiterkeit der Tanzenden im Fernen mit anzu¬
sehen, im Schatten schöner hoher Bäume, inmitten einer wundervollen Natur,
als in den schönsten Ballsälen, wo man vor Hitze oder Zugluft umkommen möchte.
Dieselbe Ansicht hatte wahrscheinlich auch ein Engländer, der, um die Sache recht
!Mau zu besehen, in einem ungeheuren Wagen mit seiner Lady sitzend, sich dieses
Schauspiel vom hohen Standpunkte aus ansah, nicht bedeutend, daß er durch
diese eigenthümliche Idee, mehrere Stunden ruhig im Wagen an einem solchen
Platze zu sitzen, selbst zum Mitspieler bei dem Feste wurde, um so mehr, da sein
entzücktes Lächeln, mehr dem Grinsen eines Affen gleichend, den heitern Waadt-
laudern vielfachen Stoff zu lustigen Bemerkungen bot. Es ist wirklich sonderbar,
^e oft man gerade hier in der Schweiz Reisenden begegnet, welche sich eben
dadurch, daß sie sich auf alle Weise von der Gemeinschaft mit einem Volte, dessen
Sitten und Gebräuche sie kennen, zu lernen doch so begierig sind, loszumachen
suchen, bei demselben Volke zum Gelächter machen, über das sie vornehm hin-
^egblicken möchten, und das sie eben deshalb trotz ihrer langen Reisen, wenn sie
endlich wieder nach Hause kommen, eben so wenig kennen, wie sie es vorher aus
'drein Reisehandbuche studirt hatten!

War der Tag des Festes heiter und froh vorübergegangen, so bot sich auch


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Schießens an einem Tage (Donnerstag) blos in der großen Festhütte (Carline)
99,800 Flaschen Wein verkauft wurden, so lag dies doch weniger an dem guten
Willen der hier Versammelten, als an ihrer geringern Anzahl. Ohne Wein im
Waadtlande kein Vergnügen, ohne Wein keine Arbeit! Gehen Sie heute auf
den Markt und kaufen Holz — bedungen oder nicht bedungen, die Flasche Wein
gehört zum Kaufe. Man kann es den Leuten auch uicht verdenken, der Wein
hier ist gut und billig, und zum Trinken wird er ja gebaut, und wahrlich, ein
Land ist glücklich M preisen, wo auch dem Arbeiter, der bei seiner schweren Ar¬
beit ein geistiges Getränk haben muß, die Möglichkeit geboten ist, sich für V2
Balzen (2 Kreuzer Rheinisch) einen Schoppen trinkbaren, für i Kreuzer einen
guten Schoppen Weins (halbe Flasche) statt des anderwärts heimischen, unge¬
sunden, Geist und Leben vergiftenden Fusels, zu kaufen. Doch kehren wir zurück
zu unsrem Feste. Wie schon erwähnt, fehlte natürlich auch der Tanzplatz nicht,
dessen Boden der Izrüne Rasen, dessen Decke das blaue Himmelsgewölbe war,
und der doch bei all seiner einfachen, von grünen Tannenzweigen errichteten Ein¬
fassung nicht wenig dazu beitrug, dem Ganzen ein heiteres, freundliches Ansehen
M geben. Freilich würde sich manches seine Stadtdämchen in Deutschland beim
Anblick dieses holperigen Bodens erschreckt fragen: „Hier tanzen?" — allein-hier
M der Schweiz wird das nicht so genau genommen; der Schweizer liebt seine
Berge und freie Natur selbst bei diesen Vergnügungen, und sind die Pas hier
auf dem frischen Rasenplatze auch uicht künstlerisch recht, so sind sie doch eben
so gut gemeint, als aus dem feinsten Ballsaale. Mir, ich muß es gestehen,
macht es mehr Vergnügen, die Heiterkeit der Tanzenden im Fernen mit anzu¬
sehen, im Schatten schöner hoher Bäume, inmitten einer wundervollen Natur,
als in den schönsten Ballsälen, wo man vor Hitze oder Zugluft umkommen möchte.
Dieselbe Ansicht hatte wahrscheinlich auch ein Engländer, der, um die Sache recht
!Mau zu besehen, in einem ungeheuren Wagen mit seiner Lady sitzend, sich dieses
Schauspiel vom hohen Standpunkte aus ansah, nicht bedeutend, daß er durch
diese eigenthümliche Idee, mehrere Stunden ruhig im Wagen an einem solchen
Platze zu sitzen, selbst zum Mitspieler bei dem Feste wurde, um so mehr, da sein
entzücktes Lächeln, mehr dem Grinsen eines Affen gleichend, den heitern Waadt-
laudern vielfachen Stoff zu lustigen Bemerkungen bot. Es ist wirklich sonderbar,
^e oft man gerade hier in der Schweiz Reisenden begegnet, welche sich eben
dadurch, daß sie sich auf alle Weise von der Gemeinschaft mit einem Volte, dessen
Sitten und Gebräuche sie kennen, zu lernen doch so begierig sind, loszumachen
suchen, bei demselben Volke zum Gelächter machen, über das sie vornehm hin-
^egblicken möchten, und das sie eben deshalb trotz ihrer langen Reisen, wenn sie
endlich wieder nach Hause kommen, eben so wenig kennen, wie sie es vorher aus
'drein Reisehandbuche studirt hatten!

War der Tag des Festes heiter und froh vorübergegangen, so bot sich auch


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[0475] Schießens an einem Tage (Donnerstag) blos in der großen Festhütte (Carline) 99,800 Flaschen Wein verkauft wurden, so lag dies doch weniger an dem guten Willen der hier Versammelten, als an ihrer geringern Anzahl. Ohne Wein im Waadtlande kein Vergnügen, ohne Wein keine Arbeit! Gehen Sie heute auf den Markt und kaufen Holz — bedungen oder nicht bedungen, die Flasche Wein gehört zum Kaufe. Man kann es den Leuten auch uicht verdenken, der Wein hier ist gut und billig, und zum Trinken wird er ja gebaut, und wahrlich, ein Land ist glücklich M preisen, wo auch dem Arbeiter, der bei seiner schweren Ar¬ beit ein geistiges Getränk haben muß, die Möglichkeit geboten ist, sich für V2 Balzen (2 Kreuzer Rheinisch) einen Schoppen trinkbaren, für i Kreuzer einen guten Schoppen Weins (halbe Flasche) statt des anderwärts heimischen, unge¬ sunden, Geist und Leben vergiftenden Fusels, zu kaufen. Doch kehren wir zurück zu unsrem Feste. Wie schon erwähnt, fehlte natürlich auch der Tanzplatz nicht, dessen Boden der Izrüne Rasen, dessen Decke das blaue Himmelsgewölbe war, und der doch bei all seiner einfachen, von grünen Tannenzweigen errichteten Ein¬ fassung nicht wenig dazu beitrug, dem Ganzen ein heiteres, freundliches Ansehen M geben. Freilich würde sich manches seine Stadtdämchen in Deutschland beim Anblick dieses holperigen Bodens erschreckt fragen: „Hier tanzen?" — allein-hier M der Schweiz wird das nicht so genau genommen; der Schweizer liebt seine Berge und freie Natur selbst bei diesen Vergnügungen, und sind die Pas hier auf dem frischen Rasenplatze auch uicht künstlerisch recht, so sind sie doch eben so gut gemeint, als aus dem feinsten Ballsaale. Mir, ich muß es gestehen, macht es mehr Vergnügen, die Heiterkeit der Tanzenden im Fernen mit anzu¬ sehen, im Schatten schöner hoher Bäume, inmitten einer wundervollen Natur, als in den schönsten Ballsälen, wo man vor Hitze oder Zugluft umkommen möchte. Dieselbe Ansicht hatte wahrscheinlich auch ein Engländer, der, um die Sache recht !Mau zu besehen, in einem ungeheuren Wagen mit seiner Lady sitzend, sich dieses Schauspiel vom hohen Standpunkte aus ansah, nicht bedeutend, daß er durch diese eigenthümliche Idee, mehrere Stunden ruhig im Wagen an einem solchen Platze zu sitzen, selbst zum Mitspieler bei dem Feste wurde, um so mehr, da sein entzücktes Lächeln, mehr dem Grinsen eines Affen gleichend, den heitern Waadt- laudern vielfachen Stoff zu lustigen Bemerkungen bot. Es ist wirklich sonderbar, ^e oft man gerade hier in der Schweiz Reisenden begegnet, welche sich eben dadurch, daß sie sich auf alle Weise von der Gemeinschaft mit einem Volte, dessen Sitten und Gebräuche sie kennen, zu lernen doch so begierig sind, loszumachen suchen, bei demselben Volke zum Gelächter machen, über das sie vornehm hin- ^egblicken möchten, und das sie eben deshalb trotz ihrer langen Reisen, wenn sie endlich wieder nach Hause kommen, eben so wenig kennen, wie sie es vorher aus 'drein Reisehandbuche studirt hatten! War der Tag des Festes heiter und froh vorübergegangen, so bot sich auch 59*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/475>, abgerufen am 30.06.2024.