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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Abend fingen die Russen an einigen äußern Punkten der Stadt zu plündern an,
und die Officiere gaben deu Eimvohueru zwar die Tröstung, daß die Stadt nur
geplündert, aber nicht in Brand gesteckt werden würde, aber die Mannschaft drohte
offen auch mit dem Letzten. Mit dem Eintritt der Nacht wurde die Angst noch brül-
lender, und gegen 10 Uhr erschien ein wilder Kosaken-Trupp auf dem Markte,
drängte die in den Straßen herumirrenden Einwohner in ein Carr6, und ver¬
langte wüthend und mit Knntenschlägen, zum Grabe der getödteten Russen ge¬
führt zu werdeu. Die Kosaken, von mehrern Officieren angeführt, ritten in
schnellem Trabe, und trieben, was ihnen in den Weg kam, vor sich her. Als
sie auf dem Friedhof ankamen, befahlen sie den Lvsonczern, die Gräber der Russen
zu offnen; diese wollten mit Hane und Grabscheit aus Werk gehen, aber ein
Officier rief ihnen wüthend zu: "Hunde! Diese verdiene" es, daß Ihr sie mit
Euren mörderischen Händen ausgraben sollt; denn Ihr habt sie gemordet, "ud
jeder Losouczcr ist ein räuberischer Guerilla", und die Unglücklichen mußten die
Gräber mit den Nägeln aufwühlen. -- Das dichte Dunkel jener Nacht, die
wilden Flüche der Russe", das Schwirren der Kunden und das Stöhnen der
Grabenden brachten einen Anblick hervor, wie ihn die finstern Jahrhunderte der
Völkerwanderungen kaum auszuweisen haben. Endlich tauchten am Boden des
geöffneten Grabes die hallwerwesteu Körper der Todten auf; die Russen besahen
sie beim Lampenschein, hieben auf die Lousouczer mit gesteigerter Wuth ein, und
ließen die Leichen hervorholen; die Gemeinen wurden wieder in das Grab gelegt,
die ?i Officiere in die Kirche getragen, und Tags darauf mit militairischen Ehren
begraben. Nach Mitternacht fing das Plündern im Großen an; das Zeiche"
wurde durch Trompeten gegeben. Die Russen wurden regimeutweise in die Stadt
geführt, und nach bestimmten Zeiträumen von andern Regimentern abgelöst.
Diese Horden begnügten sich nicht mit deu vorgefundenen Gegenständen, sondern
hieben auf die unglücklichen Einwohner ein, um von ihnen die vermeinten Schätze
zu erpressen; ja, sie rissen den Armen die Kleider vom Leibe, und zogen ihnen
die Stiefeln von den Füßen. Die letzten Regimenter waren die wüthendsten, denn
nach ihren in diesemHaudwerke ausgezeichneten Vorgängern war ihnen sehr wenig übrig
geblieben, und sie wollten ja gleichberechtigt sein. Die Officiere, besonders die
gebornen Russen, wetteiferten mit ihren Subalternen im Plündern und alle" Aus¬
schweifungen, und nachdem Nichts mehr zu nehmen war, wurden Hacken und
Aexte herbeigeholt, um die Möbeln und Hausgeräthe zu zertrümmern. Das
Bettzeug wurde aufgeschlitzt und die Federn in den Wind gestreut, so daß die
Straßen Losoncz's wie mit Schnee bedeckt aussahen. Die Waaren aus den
Kaufläden wurden ans Wage" gepackt und weggeführt. Die Keller wurden er¬
brochen, der Wein mir zum sehr kleinen Theile ausgetrunken, das Uebrige rinnen
gelassen. Selbst die Apotheke, welche geschont werden sollte, verfiel endlich ihrer
. Raubwuth; die Kirche" wurden nicht geschont, die Gräber aufgewühlt, "ut im


Abend fingen die Russen an einigen äußern Punkten der Stadt zu plündern an,
und die Officiere gaben deu Eimvohueru zwar die Tröstung, daß die Stadt nur
geplündert, aber nicht in Brand gesteckt werden würde, aber die Mannschaft drohte
offen auch mit dem Letzten. Mit dem Eintritt der Nacht wurde die Angst noch brül-
lender, und gegen 10 Uhr erschien ein wilder Kosaken-Trupp auf dem Markte,
drängte die in den Straßen herumirrenden Einwohner in ein Carr6, und ver¬
langte wüthend und mit Knntenschlägen, zum Grabe der getödteten Russen ge¬
führt zu werdeu. Die Kosaken, von mehrern Officieren angeführt, ritten in
schnellem Trabe, und trieben, was ihnen in den Weg kam, vor sich her. Als
sie auf dem Friedhof ankamen, befahlen sie den Lvsonczern, die Gräber der Russen
zu offnen; diese wollten mit Hane und Grabscheit aus Werk gehen, aber ein
Officier rief ihnen wüthend zu: „Hunde! Diese verdiene« es, daß Ihr sie mit
Euren mörderischen Händen ausgraben sollt; denn Ihr habt sie gemordet, »ud
jeder Losouczcr ist ein räuberischer Guerilla", und die Unglücklichen mußten die
Gräber mit den Nägeln aufwühlen. — Das dichte Dunkel jener Nacht, die
wilden Flüche der Russe», das Schwirren der Kunden und das Stöhnen der
Grabenden brachten einen Anblick hervor, wie ihn die finstern Jahrhunderte der
Völkerwanderungen kaum auszuweisen haben. Endlich tauchten am Boden des
geöffneten Grabes die hallwerwesteu Körper der Todten auf; die Russen besahen
sie beim Lampenschein, hieben auf die Lousouczer mit gesteigerter Wuth ein, und
ließen die Leichen hervorholen; die Gemeinen wurden wieder in das Grab gelegt,
die ?i Officiere in die Kirche getragen, und Tags darauf mit militairischen Ehren
begraben. Nach Mitternacht fing das Plündern im Großen an; das Zeiche"
wurde durch Trompeten gegeben. Die Russen wurden regimeutweise in die Stadt
geführt, und nach bestimmten Zeiträumen von andern Regimentern abgelöst.
Diese Horden begnügten sich nicht mit deu vorgefundenen Gegenständen, sondern
hieben auf die unglücklichen Einwohner ein, um von ihnen die vermeinten Schätze
zu erpressen; ja, sie rissen den Armen die Kleider vom Leibe, und zogen ihnen
die Stiefeln von den Füßen. Die letzten Regimenter waren die wüthendsten, denn
nach ihren in diesemHaudwerke ausgezeichneten Vorgängern war ihnen sehr wenig übrig
geblieben, und sie wollten ja gleichberechtigt sein. Die Officiere, besonders die
gebornen Russen, wetteiferten mit ihren Subalternen im Plündern und alle» Aus¬
schweifungen, und nachdem Nichts mehr zu nehmen war, wurden Hacken und
Aexte herbeigeholt, um die Möbeln und Hausgeräthe zu zertrümmern. Das
Bettzeug wurde aufgeschlitzt und die Federn in den Wind gestreut, so daß die
Straßen Losoncz's wie mit Schnee bedeckt aussahen. Die Waaren aus den
Kaufläden wurden ans Wage» gepackt und weggeführt. Die Keller wurden er¬
brochen, der Wein mir zum sehr kleinen Theile ausgetrunken, das Uebrige rinnen
gelassen. Selbst die Apotheke, welche geschont werden sollte, verfiel endlich ihrer
. Raubwuth; die Kirche» wurden nicht geschont, die Gräber aufgewühlt, »ut im


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[0456] Abend fingen die Russen an einigen äußern Punkten der Stadt zu plündern an, und die Officiere gaben deu Eimvohueru zwar die Tröstung, daß die Stadt nur geplündert, aber nicht in Brand gesteckt werden würde, aber die Mannschaft drohte offen auch mit dem Letzten. Mit dem Eintritt der Nacht wurde die Angst noch brül- lender, und gegen 10 Uhr erschien ein wilder Kosaken-Trupp auf dem Markte, drängte die in den Straßen herumirrenden Einwohner in ein Carr6, und ver¬ langte wüthend und mit Knntenschlägen, zum Grabe der getödteten Russen ge¬ führt zu werdeu. Die Kosaken, von mehrern Officieren angeführt, ritten in schnellem Trabe, und trieben, was ihnen in den Weg kam, vor sich her. Als sie auf dem Friedhof ankamen, befahlen sie den Lvsonczern, die Gräber der Russen zu offnen; diese wollten mit Hane und Grabscheit aus Werk gehen, aber ein Officier rief ihnen wüthend zu: „Hunde! Diese verdiene« es, daß Ihr sie mit Euren mörderischen Händen ausgraben sollt; denn Ihr habt sie gemordet, »ud jeder Losouczcr ist ein räuberischer Guerilla", und die Unglücklichen mußten die Gräber mit den Nägeln aufwühlen. — Das dichte Dunkel jener Nacht, die wilden Flüche der Russe», das Schwirren der Kunden und das Stöhnen der Grabenden brachten einen Anblick hervor, wie ihn die finstern Jahrhunderte der Völkerwanderungen kaum auszuweisen haben. Endlich tauchten am Boden des geöffneten Grabes die hallwerwesteu Körper der Todten auf; die Russen besahen sie beim Lampenschein, hieben auf die Lousouczer mit gesteigerter Wuth ein, und ließen die Leichen hervorholen; die Gemeinen wurden wieder in das Grab gelegt, die ?i Officiere in die Kirche getragen, und Tags darauf mit militairischen Ehren begraben. Nach Mitternacht fing das Plündern im Großen an; das Zeiche" wurde durch Trompeten gegeben. Die Russen wurden regimeutweise in die Stadt geführt, und nach bestimmten Zeiträumen von andern Regimentern abgelöst. Diese Horden begnügten sich nicht mit deu vorgefundenen Gegenständen, sondern hieben auf die unglücklichen Einwohner ein, um von ihnen die vermeinten Schätze zu erpressen; ja, sie rissen den Armen die Kleider vom Leibe, und zogen ihnen die Stiefeln von den Füßen. Die letzten Regimenter waren die wüthendsten, denn nach ihren in diesemHaudwerke ausgezeichneten Vorgängern war ihnen sehr wenig übrig geblieben, und sie wollten ja gleichberechtigt sein. Die Officiere, besonders die gebornen Russen, wetteiferten mit ihren Subalternen im Plündern und alle» Aus¬ schweifungen, und nachdem Nichts mehr zu nehmen war, wurden Hacken und Aexte herbeigeholt, um die Möbeln und Hausgeräthe zu zertrümmern. Das Bettzeug wurde aufgeschlitzt und die Federn in den Wind gestreut, so daß die Straßen Losoncz's wie mit Schnee bedeckt aussahen. Die Waaren aus den Kaufläden wurden ans Wage» gepackt und weggeführt. Die Keller wurden er¬ brochen, der Wein mir zum sehr kleinen Theile ausgetrunken, das Uebrige rinnen gelassen. Selbst die Apotheke, welche geschont werden sollte, verfiel endlich ihrer . Raubwuth; die Kirche» wurden nicht geschont, die Gräber aufgewühlt, »ut im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/456>, abgerufen am 03.07.2024.