Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

welches seit dem 18. Jahrhundert durch den Einfluß von Huerta und Moratin
die ausschließliche Herrschaft im Spanischen Theater behauptet hatte. Aber er
befolgt keineswegs die Regeln des Boileau; nur die mäßigere Anwendung des
Spanischen Schwulstes und die größere Einfachheit in den Ausschmückungen
schreiben sich von diesem Studium her. In dem Bau seiner Stücke, wie in der
Wahl seiner Gegenstände schließt er sich vollständig der Schule von Victor Hugo
und Dumas an. Am Glücklichsten ist er in der Behandlung von alten Sagen,
aber er schwärzt fortwährend jene subtile" Empfindungen und jene nervenerschüt-
terndcn Greuelthaten in dieselben ein, ohne welche die moderne Romantik nicht ge¬
deihen kann. Der Zufall herrscht in seinen Dramen, wie in der Altspanischcn
Tragödie, nur ist an Stelle der alten Motive von loyaler Aufopferung, phantasti¬
scher Galanterie und jenes hochgeschraubten Ehrgefühls, welches in den Grundsätzen
des Altspanischen Ritterthums, wie in deu Lehrbüchern der jesuitischen Castnistik sub-
tilisirt war, die cynische Selbstliebe und das über alles Maß hinausgehende Recht
der Begierden getreten, welches die Neufranzosen charakterisiert.

Schon in frühern Aufsätzen haben wir auszuführen gesucht, daß die Neufran^
zösische Romantik in ihrem Wesen mit der Altspanischen Tragödie zusammenfällt.
Die Unklarheit der sittlichen Motive, die vollständige mechanische Trennung der
sittlichen Begriffe von dem subjectiven Gefühl, des Heiligen von dem Irdischen
ist in beiden gemein, nur bleiben die Franzosen beim Contrast stehen, während
Calderon ihn dnrch die Wunder der Kirche auslöst. In manchen von den Werken
der geschickteren Französischen Romantiker, namentlich in dem "Theater der Clara
Gazul" von Prosper Merimve. finden wir sogar die Spanische Vorstellungsweise
plastischer ausgedrückt, als bei den Spaniern selbst, weil die Franzosen die weiter¬
gehende Reflexion und die höhere Bildung voraus haben. Und mit der Frivo¬
lität dieser neuen Poeten ist es auch nicht weit her; sie sind jeden Augenblick
geneigt, in Entsetzen über ihre eigene Verruchtheit auszubrechen, und sich vor den
alten verlassene" Altären bußfertig in den Staub zu werfen.

Man hat bei uns die Blüthenzeit des Spanischen Theaters überschätzt. Es
war doch nur eine krankhafte Blüthe, und ich möchte die Gluth, die in ihren
Dichtungen athmet, mit jenem hektischen Roth vergleichen, welches nur auf den
ersten Anblick erfreut. Die phantastische Welt, in der sich Calderon bewegt, ist
der Selbstauflösungsproceß der Spanischen Nation, die durch den kirchlichen und
staatlichen Despotismus bis in ihr Mark hinein corrumpirt war. Was allein
die Würde der Poesie ausmacht, neue höhere sittliche Ideale darzustellen, und
dieselben mit der lebendigen Wirklichkeit zu vermitteln, hat die Spanische Tragödie
nicht geleistet; sie ist daher ohne Frucht für die menschliche Cultur vorüberge¬
gangen, und es würde ein vergeblicher Versuch sein, sie wieder in ein Scheinleben
zu galvanisiren.




welches seit dem 18. Jahrhundert durch den Einfluß von Huerta und Moratin
die ausschließliche Herrschaft im Spanischen Theater behauptet hatte. Aber er
befolgt keineswegs die Regeln des Boileau; nur die mäßigere Anwendung des
Spanischen Schwulstes und die größere Einfachheit in den Ausschmückungen
schreiben sich von diesem Studium her. In dem Bau seiner Stücke, wie in der
Wahl seiner Gegenstände schließt er sich vollständig der Schule von Victor Hugo
und Dumas an. Am Glücklichsten ist er in der Behandlung von alten Sagen,
aber er schwärzt fortwährend jene subtile» Empfindungen und jene nervenerschüt-
terndcn Greuelthaten in dieselben ein, ohne welche die moderne Romantik nicht ge¬
deihen kann. Der Zufall herrscht in seinen Dramen, wie in der Altspanischcn
Tragödie, nur ist an Stelle der alten Motive von loyaler Aufopferung, phantasti¬
scher Galanterie und jenes hochgeschraubten Ehrgefühls, welches in den Grundsätzen
des Altspanischen Ritterthums, wie in deu Lehrbüchern der jesuitischen Castnistik sub-
tilisirt war, die cynische Selbstliebe und das über alles Maß hinausgehende Recht
der Begierden getreten, welches die Neufranzosen charakterisiert.

Schon in frühern Aufsätzen haben wir auszuführen gesucht, daß die Neufran^
zösische Romantik in ihrem Wesen mit der Altspanischen Tragödie zusammenfällt.
Die Unklarheit der sittlichen Motive, die vollständige mechanische Trennung der
sittlichen Begriffe von dem subjectiven Gefühl, des Heiligen von dem Irdischen
ist in beiden gemein, nur bleiben die Franzosen beim Contrast stehen, während
Calderon ihn dnrch die Wunder der Kirche auslöst. In manchen von den Werken
der geschickteren Französischen Romantiker, namentlich in dem „Theater der Clara
Gazul" von Prosper Merimve. finden wir sogar die Spanische Vorstellungsweise
plastischer ausgedrückt, als bei den Spaniern selbst, weil die Franzosen die weiter¬
gehende Reflexion und die höhere Bildung voraus haben. Und mit der Frivo¬
lität dieser neuen Poeten ist es auch nicht weit her; sie sind jeden Augenblick
geneigt, in Entsetzen über ihre eigene Verruchtheit auszubrechen, und sich vor den
alten verlassene» Altären bußfertig in den Staub zu werfen.

Man hat bei uns die Blüthenzeit des Spanischen Theaters überschätzt. Es
war doch nur eine krankhafte Blüthe, und ich möchte die Gluth, die in ihren
Dichtungen athmet, mit jenem hektischen Roth vergleichen, welches nur auf den
ersten Anblick erfreut. Die phantastische Welt, in der sich Calderon bewegt, ist
der Selbstauflösungsproceß der Spanischen Nation, die durch den kirchlichen und
staatlichen Despotismus bis in ihr Mark hinein corrumpirt war. Was allein
die Würde der Poesie ausmacht, neue höhere sittliche Ideale darzustellen, und
dieselben mit der lebendigen Wirklichkeit zu vermitteln, hat die Spanische Tragödie
nicht geleistet; sie ist daher ohne Frucht für die menschliche Cultur vorüberge¬
gangen, und es würde ein vergeblicher Versuch sein, sie wieder in ein Scheinleben
zu galvanisiren.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280131"/>
          <p xml:id="ID_103" prev="#ID_102"> welches seit dem 18. Jahrhundert durch den Einfluß von Huerta und Moratin<lb/>
die ausschließliche Herrschaft im Spanischen Theater behauptet hatte. Aber er<lb/>
befolgt keineswegs die Regeln des Boileau; nur die mäßigere Anwendung des<lb/>
Spanischen Schwulstes und die größere Einfachheit in den Ausschmückungen<lb/>
schreiben sich von diesem Studium her. In dem Bau seiner Stücke, wie in der<lb/>
Wahl seiner Gegenstände schließt er sich vollständig der Schule von Victor Hugo<lb/>
und Dumas an. Am Glücklichsten ist er in der Behandlung von alten Sagen,<lb/>
aber er schwärzt fortwährend jene subtile» Empfindungen und jene nervenerschüt-<lb/>
terndcn Greuelthaten in dieselben ein, ohne welche die moderne Romantik nicht ge¬<lb/>
deihen kann. Der Zufall herrscht in seinen Dramen, wie in der Altspanischcn<lb/>
Tragödie, nur ist an Stelle der alten Motive von loyaler Aufopferung, phantasti¬<lb/>
scher Galanterie und jenes hochgeschraubten Ehrgefühls, welches in den Grundsätzen<lb/>
des Altspanischen Ritterthums, wie in deu Lehrbüchern der jesuitischen Castnistik sub-<lb/>
tilisirt war, die cynische Selbstliebe und das über alles Maß hinausgehende Recht<lb/>
der Begierden getreten, welches die Neufranzosen charakterisiert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_104"> Schon in frühern Aufsätzen haben wir auszuführen gesucht, daß die Neufran^<lb/>
zösische Romantik in ihrem Wesen mit der Altspanischen Tragödie zusammenfällt.<lb/>
Die Unklarheit der sittlichen Motive, die vollständige mechanische Trennung der<lb/>
sittlichen Begriffe von dem subjectiven Gefühl, des Heiligen von dem Irdischen<lb/>
ist in beiden gemein, nur bleiben die Franzosen beim Contrast stehen, während<lb/>
Calderon ihn dnrch die Wunder der Kirche auslöst. In manchen von den Werken<lb/>
der geschickteren Französischen Romantiker, namentlich in dem &#x201E;Theater der Clara<lb/>
Gazul" von Prosper Merimve. finden wir sogar die Spanische Vorstellungsweise<lb/>
plastischer ausgedrückt, als bei den Spaniern selbst, weil die Franzosen die weiter¬<lb/>
gehende Reflexion und die höhere Bildung voraus haben. Und mit der Frivo¬<lb/>
lität dieser neuen Poeten ist es auch nicht weit her; sie sind jeden Augenblick<lb/>
geneigt, in Entsetzen über ihre eigene Verruchtheit auszubrechen, und sich vor den<lb/>
alten verlassene» Altären bußfertig in den Staub zu werfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_105"> Man hat bei uns die Blüthenzeit des Spanischen Theaters überschätzt. Es<lb/>
war doch nur eine krankhafte Blüthe, und ich möchte die Gluth, die in ihren<lb/>
Dichtungen athmet, mit jenem hektischen Roth vergleichen, welches nur auf den<lb/>
ersten Anblick erfreut. Die phantastische Welt, in der sich Calderon bewegt, ist<lb/>
der Selbstauflösungsproceß der Spanischen Nation, die durch den kirchlichen und<lb/>
staatlichen Despotismus bis in ihr Mark hinein corrumpirt war. Was allein<lb/>
die Würde der Poesie ausmacht, neue höhere sittliche Ideale darzustellen, und<lb/>
dieselben mit der lebendigen Wirklichkeit zu vermitteln, hat die Spanische Tragödie<lb/>
nicht geleistet; sie ist daher ohne Frucht für die menschliche Cultur vorüberge¬<lb/>
gangen, und es würde ein vergeblicher Versuch sein, sie wieder in ein Scheinleben<lb/>
zu galvanisiren.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0044] welches seit dem 18. Jahrhundert durch den Einfluß von Huerta und Moratin die ausschließliche Herrschaft im Spanischen Theater behauptet hatte. Aber er befolgt keineswegs die Regeln des Boileau; nur die mäßigere Anwendung des Spanischen Schwulstes und die größere Einfachheit in den Ausschmückungen schreiben sich von diesem Studium her. In dem Bau seiner Stücke, wie in der Wahl seiner Gegenstände schließt er sich vollständig der Schule von Victor Hugo und Dumas an. Am Glücklichsten ist er in der Behandlung von alten Sagen, aber er schwärzt fortwährend jene subtile» Empfindungen und jene nervenerschüt- terndcn Greuelthaten in dieselben ein, ohne welche die moderne Romantik nicht ge¬ deihen kann. Der Zufall herrscht in seinen Dramen, wie in der Altspanischcn Tragödie, nur ist an Stelle der alten Motive von loyaler Aufopferung, phantasti¬ scher Galanterie und jenes hochgeschraubten Ehrgefühls, welches in den Grundsätzen des Altspanischen Ritterthums, wie in deu Lehrbüchern der jesuitischen Castnistik sub- tilisirt war, die cynische Selbstliebe und das über alles Maß hinausgehende Recht der Begierden getreten, welches die Neufranzosen charakterisiert. Schon in frühern Aufsätzen haben wir auszuführen gesucht, daß die Neufran^ zösische Romantik in ihrem Wesen mit der Altspanischen Tragödie zusammenfällt. Die Unklarheit der sittlichen Motive, die vollständige mechanische Trennung der sittlichen Begriffe von dem subjectiven Gefühl, des Heiligen von dem Irdischen ist in beiden gemein, nur bleiben die Franzosen beim Contrast stehen, während Calderon ihn dnrch die Wunder der Kirche auslöst. In manchen von den Werken der geschickteren Französischen Romantiker, namentlich in dem „Theater der Clara Gazul" von Prosper Merimve. finden wir sogar die Spanische Vorstellungsweise plastischer ausgedrückt, als bei den Spaniern selbst, weil die Franzosen die weiter¬ gehende Reflexion und die höhere Bildung voraus haben. Und mit der Frivo¬ lität dieser neuen Poeten ist es auch nicht weit her; sie sind jeden Augenblick geneigt, in Entsetzen über ihre eigene Verruchtheit auszubrechen, und sich vor den alten verlassene» Altären bußfertig in den Staub zu werfen. Man hat bei uns die Blüthenzeit des Spanischen Theaters überschätzt. Es war doch nur eine krankhafte Blüthe, und ich möchte die Gluth, die in ihren Dichtungen athmet, mit jenem hektischen Roth vergleichen, welches nur auf den ersten Anblick erfreut. Die phantastische Welt, in der sich Calderon bewegt, ist der Selbstauflösungsproceß der Spanischen Nation, die durch den kirchlichen und staatlichen Despotismus bis in ihr Mark hinein corrumpirt war. Was allein die Würde der Poesie ausmacht, neue höhere sittliche Ideale darzustellen, und dieselben mit der lebendigen Wirklichkeit zu vermitteln, hat die Spanische Tragödie nicht geleistet; sie ist daher ohne Frucht für die menschliche Cultur vorüberge¬ gangen, und es würde ein vergeblicher Versuch sein, sie wieder in ein Scheinleben zu galvanisiren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/44
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/44>, abgerufen am 30.06.2024.