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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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gesucht. Der größte Theil der frommen Professoren, Lehrer und Geistlichen, die
in der jetzigen Zeit in Preußen zu finden sind, stammen aus der Eichhorn'schen
Zeit, und das jetzige Ministerium der geistlichen Angelegenheiten übertrifft das
Eichhorn'sche in demselben Grade an Intoleranz und an Fülle kirchlicher Glau¬
benssätze, als in der Politik die jetzt herrschende Kreuzzeitungspartei die büreau¬
kratische des Jahres 18i!2. Das hat, wie immer die Herrschaft einer einseitigen
Partei, auf die Sittlichkeit die nachtheiligsten Einflüsse. Ich glaube zwar gern,
daß von einer bewußten Heuchelei nur bei einem sehr kleinen Theil die Rede
sein kann, aber schon, wenn man sich zu dem Amt eines Geistlichen vorbereitet,
hat man instinctmäßig die von oben her beliebte Form des Glaubens im Ange;
man richtet seine Studien und seine Empfindungen darnach ein, und das führt leicht
zu einer Selbsttäuschung, die vom hohem sittlichen Standpunkt ans betrachtet
viel schlimmer und viel gefährlicher ist, als jene bewußte Heuchelei.

Es muß uus daher von großer Wichtigkeit sein, auf die Bemühungen unsre
Aufmerksamkeit zu richten, welche innerhalb der Kirche selbst stattfinden, die ein¬
seitige Herrschaft einer extremen Partei zu hintertreiben. In diesen Bemühungen
nimmt das unten angezeigte Werk eine werthvolle Stellung ein. Der Versasser
gehört zu der Schule Schleiermacher's, die sich überhaupt um die Versöhnung des
religiösen Sinnes mit der Humanität große Verdienste erworben hat. Sie hat
allerdings in etwas weit getriebener Toleranz dem Princip des Supranaturalis-
mus Concessionen gemacht, die es zu einer Einheit des Princips bei ihr nicht
recht kommen lassen wollen; dafür hat sie aber mich in ihre Lehren eine Fülle
von sittlichem, gemüthlichem und ästhetischem' Inhalt eingeführt, die gegen die
Dürftigkeit des alten und platten Rationalismus sehr vortheilhaft absticht. Sie
hat außerdem eine viel günstigere Stellung innerhalb der Kirche selbst, als die
Rationalisten, die, je aufrichtiger sie siud, sich immer weiter von der eigentlichen
Kirche entfernen müssen, und denen zuletzt Nichts übrig bleibt, als sich in freie"
Gemeinden zu zerstreuen, wo die eigentliche Leerheit ihres Princips sich auch nur
allzu bald ausspricht.

Herr Eltester geht also nicht auf eine Trennung von der Kirche aus, sondern
auf eine Reform derselben und auf ihre Trennung vom Staat. Bekanntlich ist
von oben her diese Idee gleichfalls ausgesprochen worden, und man hat durch
die Berufung der Generalsynode im Jahre 18i6, wenn auch vergebens, versucht,
etwas Aehnliches anzubahnen. Die evangelische Kirche ist aber in der schlim¬
men Lage, daß sie sich ihre Verfassung nicht selbst geben kann, sondern sich die¬
selbe vom Staat octroyiren lassen muß, denn es fehlt ihr vollständig an einem
Organ, und dienen zu schaffenden kirchlichen Organe sind unter keiner andern
Bedingung denkbar, als daß der Staat sie constituirt: der Staat, das Heißthier
so viel, als die herrschende Partei. Wenn man dies im Auge behält, so erschei¬
nen die Anträge des Verfassers von einer wahrhaft bewundernswürdigen Kühnheit.


gesucht. Der größte Theil der frommen Professoren, Lehrer und Geistlichen, die
in der jetzigen Zeit in Preußen zu finden sind, stammen aus der Eichhorn'schen
Zeit, und das jetzige Ministerium der geistlichen Angelegenheiten übertrifft das
Eichhorn'sche in demselben Grade an Intoleranz und an Fülle kirchlicher Glau¬
benssätze, als in der Politik die jetzt herrschende Kreuzzeitungspartei die büreau¬
kratische des Jahres 18i!2. Das hat, wie immer die Herrschaft einer einseitigen
Partei, auf die Sittlichkeit die nachtheiligsten Einflüsse. Ich glaube zwar gern,
daß von einer bewußten Heuchelei nur bei einem sehr kleinen Theil die Rede
sein kann, aber schon, wenn man sich zu dem Amt eines Geistlichen vorbereitet,
hat man instinctmäßig die von oben her beliebte Form des Glaubens im Ange;
man richtet seine Studien und seine Empfindungen darnach ein, und das führt leicht
zu einer Selbsttäuschung, die vom hohem sittlichen Standpunkt ans betrachtet
viel schlimmer und viel gefährlicher ist, als jene bewußte Heuchelei.

Es muß uus daher von großer Wichtigkeit sein, auf die Bemühungen unsre
Aufmerksamkeit zu richten, welche innerhalb der Kirche selbst stattfinden, die ein¬
seitige Herrschaft einer extremen Partei zu hintertreiben. In diesen Bemühungen
nimmt das unten angezeigte Werk eine werthvolle Stellung ein. Der Versasser
gehört zu der Schule Schleiermacher's, die sich überhaupt um die Versöhnung des
religiösen Sinnes mit der Humanität große Verdienste erworben hat. Sie hat
allerdings in etwas weit getriebener Toleranz dem Princip des Supranaturalis-
mus Concessionen gemacht, die es zu einer Einheit des Princips bei ihr nicht
recht kommen lassen wollen; dafür hat sie aber mich in ihre Lehren eine Fülle
von sittlichem, gemüthlichem und ästhetischem' Inhalt eingeführt, die gegen die
Dürftigkeit des alten und platten Rationalismus sehr vortheilhaft absticht. Sie
hat außerdem eine viel günstigere Stellung innerhalb der Kirche selbst, als die
Rationalisten, die, je aufrichtiger sie siud, sich immer weiter von der eigentlichen
Kirche entfernen müssen, und denen zuletzt Nichts übrig bleibt, als sich in freie»
Gemeinden zu zerstreuen, wo die eigentliche Leerheit ihres Princips sich auch nur
allzu bald ausspricht.

Herr Eltester geht also nicht auf eine Trennung von der Kirche aus, sondern
auf eine Reform derselben und auf ihre Trennung vom Staat. Bekanntlich ist
von oben her diese Idee gleichfalls ausgesprochen worden, und man hat durch
die Berufung der Generalsynode im Jahre 18i6, wenn auch vergebens, versucht,
etwas Aehnliches anzubahnen. Die evangelische Kirche ist aber in der schlim¬
men Lage, daß sie sich ihre Verfassung nicht selbst geben kann, sondern sich die¬
selbe vom Staat octroyiren lassen muß, denn es fehlt ihr vollständig an einem
Organ, und dienen zu schaffenden kirchlichen Organe sind unter keiner andern
Bedingung denkbar, als daß der Staat sie constituirt: der Staat, das Heißthier
so viel, als die herrschende Partei. Wenn man dies im Auge behält, so erschei¬
nen die Anträge des Verfassers von einer wahrhaft bewundernswürdigen Kühnheit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/436>, abgerufen am 30.06.2024.