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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Gestalt der Himmelskönigin glänzendere Farben an. Neben der Sirttuischen
Madonna, der Jungfrau, welche das erste Gefühl der Liebe mit unnennbarem
Schauder durchbebt, und neben der Holbein'schen Mutter Gottes, der frommen,
züchtigen Hausfrau, die in der Frucht ihres Leibes die Gabe des himmlischen
Vaters pflegt und verehrt, tauchten auch brillante Weiber ans, die in aller Glorie
einer feurigen Liebe zum Himmel emporstrebte", von den Engeln in entzückter
Anbetung getragen, die Krone deö Himmels auf ihrem Haupt, den Mond und
die Erde zu ihren Füßen. Man ersann jene Spanischen Madonnen, die Madon¬
nen von Calderon "ut Murillo, deren Anbetung von. Seiten christlicher Ritter
sehr stark ins Sinnliche überspielte. Ja man ging noch weiter. Mir ist in dem
Berliner Museum eine Venetianische Madonna aufgefallen, die den knienden Ma¬
giern ganz mit dem Anstand einer Edeldame das Kind zur Anbetung entgegen¬
streckt, mit aller Würde einer vornehmen Geburt und allem Bewußtsein einer
höhern Stellung, uur durch die einfache Kleidung an ihre frühere Demuth erin¬
nernd. Da also die frommen christlichen Maler sich berechtigt glaubten, die ver¬
schiedenen Ideale, welche ihre geheime Liebessehnsucht in ihnen erweckte, in die Ge¬
stalt der Auserwählten des Herrn zu verweben, so muß es der modernen, künstlich
ervorbeueu Religiosität auch gestattet sein, ihr eigenes Ideal, die verklärte Fau¬
stine oder Lelia darin zu suchen, und, wenn auch ans einem Umwege, wieder zu
jener Selbstanbetnng zurückzukehren, die nnn nicht mehr mit dem Makel sünd¬
hafter Eitelkeit befleckt ist. Diese Freude, die Befreiung und Verklärung des
Weib's in der ursprünglichen christlichen Kirche legitimirt zu siudeu, von der
umsehn'dig verläumdeten Eva bis zu der holdselige" Magdalena herab, der viel
vergeben wurde, weil sie viel geliebt hatte, und der Haß gegen die verstockten
Protestmten, welche das verklärte Weib wieder ans dem Himmel vertrieben, den
Thron ter Himmelskönigin umstürzte" und an ihre Stelle deu männlichen Gott
setzten, "itweder de" zornerfüllten Messias der Propheten und der Apokalypse
mit dem blutigen Schwert in der Hand, der rücksichtslos den Drachen dieser
Welt in im Staub tritt, oder den sanften Heiland der Bergpredigt, der eine so
allgemeine Liebe, Aufopferung und Hingebung fordert, daß für noble, auserwählte
Gemüther kein Spielraum freier, immenser Thätigkeit übrig bleibt: -- dieses
doppelte Gfühl ist der Leittou des wunderlichen Buches, welches uns über das
himmlische Jerusalem nähere Aufschlüsse geben soll, Aufschlüsse, welche die von
den Pricsteri der innern Mission so eben wieder angeregten Mysterien in der
Geisterkunde 'es seligen Jung-Stilling an Interesse bei Weitem übertreffen. Die
gemeinsame Quelle dieser beiden frommen Propheten, die ihnen freilich vielleicht
nnr durch die Tradition bekannt ist, sind die christlichen Vistonen des Herrn von
Chateaubriand. ^- Gräfin Jda leitet ihre neuen Bücher seit ihrer Wiedergeburt
stets durch den "ristlichen Spruch ein.- Soli ovo sslorm, allein Gott in der Höh'
sei Ehr'. Aber el ist mit diesem Spruch nicht so ernst gemeint, sie macht vielmehr


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Gestalt der Himmelskönigin glänzendere Farben an. Neben der Sirttuischen
Madonna, der Jungfrau, welche das erste Gefühl der Liebe mit unnennbarem
Schauder durchbebt, und neben der Holbein'schen Mutter Gottes, der frommen,
züchtigen Hausfrau, die in der Frucht ihres Leibes die Gabe des himmlischen
Vaters pflegt und verehrt, tauchten auch brillante Weiber ans, die in aller Glorie
einer feurigen Liebe zum Himmel emporstrebte», von den Engeln in entzückter
Anbetung getragen, die Krone deö Himmels auf ihrem Haupt, den Mond und
die Erde zu ihren Füßen. Man ersann jene Spanischen Madonnen, die Madon¬
nen von Calderon »ut Murillo, deren Anbetung von. Seiten christlicher Ritter
sehr stark ins Sinnliche überspielte. Ja man ging noch weiter. Mir ist in dem
Berliner Museum eine Venetianische Madonna aufgefallen, die den knienden Ma¬
giern ganz mit dem Anstand einer Edeldame das Kind zur Anbetung entgegen¬
streckt, mit aller Würde einer vornehmen Geburt und allem Bewußtsein einer
höhern Stellung, uur durch die einfache Kleidung an ihre frühere Demuth erin¬
nernd. Da also die frommen christlichen Maler sich berechtigt glaubten, die ver¬
schiedenen Ideale, welche ihre geheime Liebessehnsucht in ihnen erweckte, in die Ge¬
stalt der Auserwählten des Herrn zu verweben, so muß es der modernen, künstlich
ervorbeueu Religiosität auch gestattet sein, ihr eigenes Ideal, die verklärte Fau¬
stine oder Lelia darin zu suchen, und, wenn auch ans einem Umwege, wieder zu
jener Selbstanbetnng zurückzukehren, die nnn nicht mehr mit dem Makel sünd¬
hafter Eitelkeit befleckt ist. Diese Freude, die Befreiung und Verklärung des
Weib's in der ursprünglichen christlichen Kirche legitimirt zu siudeu, von der
umsehn'dig verläumdeten Eva bis zu der holdselige» Magdalena herab, der viel
vergeben wurde, weil sie viel geliebt hatte, und der Haß gegen die verstockten
Protestmten, welche das verklärte Weib wieder ans dem Himmel vertrieben, den
Thron ter Himmelskönigin umstürzte« und an ihre Stelle deu männlichen Gott
setzten, »itweder de» zornerfüllten Messias der Propheten und der Apokalypse
mit dem blutigen Schwert in der Hand, der rücksichtslos den Drachen dieser
Welt in im Staub tritt, oder den sanften Heiland der Bergpredigt, der eine so
allgemeine Liebe, Aufopferung und Hingebung fordert, daß für noble, auserwählte
Gemüther kein Spielraum freier, immenser Thätigkeit übrig bleibt: — dieses
doppelte Gfühl ist der Leittou des wunderlichen Buches, welches uns über das
himmlische Jerusalem nähere Aufschlüsse geben soll, Aufschlüsse, welche die von
den Pricsteri der innern Mission so eben wieder angeregten Mysterien in der
Geisterkunde 'es seligen Jung-Stilling an Interesse bei Weitem übertreffen. Die
gemeinsame Quelle dieser beiden frommen Propheten, die ihnen freilich vielleicht
nnr durch die Tradition bekannt ist, sind die christlichen Vistonen des Herrn von
Chateaubriand. ^- Gräfin Jda leitet ihre neuen Bücher seit ihrer Wiedergeburt
stets durch den »ristlichen Spruch ein.- Soli ovo sslorm, allein Gott in der Höh'
sei Ehr'. Aber el ist mit diesem Spruch nicht so ernst gemeint, sie macht vielmehr


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[0395] Gestalt der Himmelskönigin glänzendere Farben an. Neben der Sirttuischen Madonna, der Jungfrau, welche das erste Gefühl der Liebe mit unnennbarem Schauder durchbebt, und neben der Holbein'schen Mutter Gottes, der frommen, züchtigen Hausfrau, die in der Frucht ihres Leibes die Gabe des himmlischen Vaters pflegt und verehrt, tauchten auch brillante Weiber ans, die in aller Glorie einer feurigen Liebe zum Himmel emporstrebte», von den Engeln in entzückter Anbetung getragen, die Krone deö Himmels auf ihrem Haupt, den Mond und die Erde zu ihren Füßen. Man ersann jene Spanischen Madonnen, die Madon¬ nen von Calderon »ut Murillo, deren Anbetung von. Seiten christlicher Ritter sehr stark ins Sinnliche überspielte. Ja man ging noch weiter. Mir ist in dem Berliner Museum eine Venetianische Madonna aufgefallen, die den knienden Ma¬ giern ganz mit dem Anstand einer Edeldame das Kind zur Anbetung entgegen¬ streckt, mit aller Würde einer vornehmen Geburt und allem Bewußtsein einer höhern Stellung, uur durch die einfache Kleidung an ihre frühere Demuth erin¬ nernd. Da also die frommen christlichen Maler sich berechtigt glaubten, die ver¬ schiedenen Ideale, welche ihre geheime Liebessehnsucht in ihnen erweckte, in die Ge¬ stalt der Auserwählten des Herrn zu verweben, so muß es der modernen, künstlich ervorbeueu Religiosität auch gestattet sein, ihr eigenes Ideal, die verklärte Fau¬ stine oder Lelia darin zu suchen, und, wenn auch ans einem Umwege, wieder zu jener Selbstanbetnng zurückzukehren, die nnn nicht mehr mit dem Makel sünd¬ hafter Eitelkeit befleckt ist. Diese Freude, die Befreiung und Verklärung des Weib's in der ursprünglichen christlichen Kirche legitimirt zu siudeu, von der umsehn'dig verläumdeten Eva bis zu der holdselige» Magdalena herab, der viel vergeben wurde, weil sie viel geliebt hatte, und der Haß gegen die verstockten Protestmten, welche das verklärte Weib wieder ans dem Himmel vertrieben, den Thron ter Himmelskönigin umstürzte« und an ihre Stelle deu männlichen Gott setzten, »itweder de» zornerfüllten Messias der Propheten und der Apokalypse mit dem blutigen Schwert in der Hand, der rücksichtslos den Drachen dieser Welt in im Staub tritt, oder den sanften Heiland der Bergpredigt, der eine so allgemeine Liebe, Aufopferung und Hingebung fordert, daß für noble, auserwählte Gemüther kein Spielraum freier, immenser Thätigkeit übrig bleibt: — dieses doppelte Gfühl ist der Leittou des wunderlichen Buches, welches uns über das himmlische Jerusalem nähere Aufschlüsse geben soll, Aufschlüsse, welche die von den Pricsteri der innern Mission so eben wieder angeregten Mysterien in der Geisterkunde 'es seligen Jung-Stilling an Interesse bei Weitem übertreffen. Die gemeinsame Quelle dieser beiden frommen Propheten, die ihnen freilich vielleicht nnr durch die Tradition bekannt ist, sind die christlichen Vistonen des Herrn von Chateaubriand. ^- Gräfin Jda leitet ihre neuen Bücher seit ihrer Wiedergeburt stets durch den »ristlichen Spruch ein.- Soli ovo sslorm, allein Gott in der Höh' sei Ehr'. Aber el ist mit diesem Spruch nicht so ernst gemeint, sie macht vielmehr 49*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/395>, abgerufen am 04.07.2024.