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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Richtspruch nicht nach der moralischen Ueberzeugung, sondern nach dem Buch¬
staben gefällt wird. Aber fragen wir, wodurch find wir in solche Zustände ge¬
kommen, so kann die Antwort des Unbefangenen wahrlich nicht der demokratischen
Gedankenlosigkeit die Schuld in gleichem Maß aufbürden, als vielmehr jenen
ultrareactionairen Parteimassen, welche, von verschiedenen Standpunkten aus¬
gehend, im Jahre 18i8 den Kampfplatz mieden, darum vielleicht rücksichtsloser als
andere Schichten verletzt wurden, und seit 18!>0 hinter den Regimentern heran¬
zogen, sich als Retter der Monarchie lobpreisend. Noch stehen sie allerdings fast
allenthalben als Sieger; aber ein Vorempfinden geht durch sie, daß ihr Sieg
ohne Bestand, daß sie selber früher oder später nnr die Wahl haben, zwei Mäch¬
ten selber zu versallen. Entweder dem Absolutismus, welchen sie zum Schiboleth
machten, um an seiner Uebermacht Theil zu nehmen, oder der Rache einer zukünf¬
tigen Revolution. Ihr Standpunkt, ihre Anschauungsweise läßt sie glauben (und
vielleicht haben sie Recht), die letzte Gefahr sei minder dringend, als die erste.
So sehen wir sie denn allerwärts urplötzlich, ja fast gleichzeitig eine heftige Oppo¬
sition gegen diejenigen Principien und Persönlichkeiten entfalten, deren sie sich
selber bedienten, um, wie mau es gern ausdrückt: "mit der Revolution zu bre¬
chen" und "die Regierungen stark zu machen." Miuinu, mal, ">äw8u,! doch ver¬
weisen darf man auf die Kreuzzeitnugsritterei in Preußen, ans die Svldaten-
frenndschaft in Oestreich, ans die Ritterschastssache in Hannover, auf die bekann¬
ten Vorgänge im Sächsischen Verein zu Dresden.

Im Baron Ernst Linden sehen wir einen Vertreter derselben Partei, nur
mit katholischer Nuance. Er schrieb eine "Kritische Beleuchtung unsrer poli¬
tischen Zustände." -- Man hatte sich vor 5848 eigentlich vom Herrn Baron
Linden, einem pensionirten Württembergischen Neiterofficier, welcher zu Augsburg
harmlos lebte und seine Muße dadurch ausfüllte, daß er rohe Pferde vortrefflich
zuritt, niemals versehen, daß er sich dereinst auch mit der politischen Zurichtung
Deutschlands beschäftigen werde. Wie schon erwähnt, erwarb er sich seine litera-
"schen Spornen in der Augsburger Postzeitung, verfocht also natürlich die Trias,
die sogenannte Freiheit der Kirche, und was sonst die Dinge waren, welche die
selbstständige Augsburger Postzeitung aus's Schild zu heben pflegte. Seitdem
ihr Format so groß und ihre Selbstständigkeit so gering geworden, hat sich der
Baron (-- und wir loben ihn dann --) von der Postzeitung losgesagt. Die
katholische Krenzzeitungspartei erkannte, daß die Postzeitung eben keine katholische
Kreuzzeitung werden möge oder könne; überhaupt blieb kein Zweifel, daß die
Politische Alliance des Ultramontanismus mit dem profanen Krcuzrittcrthum des
katholischen Südwestdeutschland sich immer mehr lockerte. Dies Kreuzritter-
thmu ist nun ohne journalistisches Organ; es verfolgt seine Ziele praktischer
und directer durch seine unmittelbaren Beziehungen zu den Höfen und Kabinet¬
ten. Freilich ist es principiell dadurch minder geschlossen, als jenes Nvrddcutsch-


Richtspruch nicht nach der moralischen Ueberzeugung, sondern nach dem Buch¬
staben gefällt wird. Aber fragen wir, wodurch find wir in solche Zustände ge¬
kommen, so kann die Antwort des Unbefangenen wahrlich nicht der demokratischen
Gedankenlosigkeit die Schuld in gleichem Maß aufbürden, als vielmehr jenen
ultrareactionairen Parteimassen, welche, von verschiedenen Standpunkten aus¬
gehend, im Jahre 18i8 den Kampfplatz mieden, darum vielleicht rücksichtsloser als
andere Schichten verletzt wurden, und seit 18!>0 hinter den Regimentern heran¬
zogen, sich als Retter der Monarchie lobpreisend. Noch stehen sie allerdings fast
allenthalben als Sieger; aber ein Vorempfinden geht durch sie, daß ihr Sieg
ohne Bestand, daß sie selber früher oder später nnr die Wahl haben, zwei Mäch¬
ten selber zu versallen. Entweder dem Absolutismus, welchen sie zum Schiboleth
machten, um an seiner Uebermacht Theil zu nehmen, oder der Rache einer zukünf¬
tigen Revolution. Ihr Standpunkt, ihre Anschauungsweise läßt sie glauben (und
vielleicht haben sie Recht), die letzte Gefahr sei minder dringend, als die erste.
So sehen wir sie denn allerwärts urplötzlich, ja fast gleichzeitig eine heftige Oppo¬
sition gegen diejenigen Principien und Persönlichkeiten entfalten, deren sie sich
selber bedienten, um, wie mau es gern ausdrückt: „mit der Revolution zu bre¬
chen" und „die Regierungen stark zu machen." Miuinu, mal, «>äw8u,! doch ver¬
weisen darf man auf die Kreuzzeitnugsritterei in Preußen, ans die Svldaten-
frenndschaft in Oestreich, ans die Ritterschastssache in Hannover, auf die bekann¬
ten Vorgänge im Sächsischen Verein zu Dresden.

Im Baron Ernst Linden sehen wir einen Vertreter derselben Partei, nur
mit katholischer Nuance. Er schrieb eine „Kritische Beleuchtung unsrer poli¬
tischen Zustände." — Man hatte sich vor 5848 eigentlich vom Herrn Baron
Linden, einem pensionirten Württembergischen Neiterofficier, welcher zu Augsburg
harmlos lebte und seine Muße dadurch ausfüllte, daß er rohe Pferde vortrefflich
zuritt, niemals versehen, daß er sich dereinst auch mit der politischen Zurichtung
Deutschlands beschäftigen werde. Wie schon erwähnt, erwarb er sich seine litera-
«schen Spornen in der Augsburger Postzeitung, verfocht also natürlich die Trias,
die sogenannte Freiheit der Kirche, und was sonst die Dinge waren, welche die
selbstständige Augsburger Postzeitung aus's Schild zu heben pflegte. Seitdem
ihr Format so groß und ihre Selbstständigkeit so gering geworden, hat sich der
Baron (— und wir loben ihn dann —) von der Postzeitung losgesagt. Die
katholische Krenzzeitungspartei erkannte, daß die Postzeitung eben keine katholische
Kreuzzeitung werden möge oder könne; überhaupt blieb kein Zweifel, daß die
Politische Alliance des Ultramontanismus mit dem profanen Krcuzrittcrthum des
katholischen Südwestdeutschland sich immer mehr lockerte. Dies Kreuzritter-
thmu ist nun ohne journalistisches Organ; es verfolgt seine Ziele praktischer
und directer durch seine unmittelbaren Beziehungen zu den Höfen und Kabinet¬
ten. Freilich ist es principiell dadurch minder geschlossen, als jenes Nvrddcutsch-


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[0355] Richtspruch nicht nach der moralischen Ueberzeugung, sondern nach dem Buch¬ staben gefällt wird. Aber fragen wir, wodurch find wir in solche Zustände ge¬ kommen, so kann die Antwort des Unbefangenen wahrlich nicht der demokratischen Gedankenlosigkeit die Schuld in gleichem Maß aufbürden, als vielmehr jenen ultrareactionairen Parteimassen, welche, von verschiedenen Standpunkten aus¬ gehend, im Jahre 18i8 den Kampfplatz mieden, darum vielleicht rücksichtsloser als andere Schichten verletzt wurden, und seit 18!>0 hinter den Regimentern heran¬ zogen, sich als Retter der Monarchie lobpreisend. Noch stehen sie allerdings fast allenthalben als Sieger; aber ein Vorempfinden geht durch sie, daß ihr Sieg ohne Bestand, daß sie selber früher oder später nnr die Wahl haben, zwei Mäch¬ ten selber zu versallen. Entweder dem Absolutismus, welchen sie zum Schiboleth machten, um an seiner Uebermacht Theil zu nehmen, oder der Rache einer zukünf¬ tigen Revolution. Ihr Standpunkt, ihre Anschauungsweise läßt sie glauben (und vielleicht haben sie Recht), die letzte Gefahr sei minder dringend, als die erste. So sehen wir sie denn allerwärts urplötzlich, ja fast gleichzeitig eine heftige Oppo¬ sition gegen diejenigen Principien und Persönlichkeiten entfalten, deren sie sich selber bedienten, um, wie mau es gern ausdrückt: „mit der Revolution zu bre¬ chen" und „die Regierungen stark zu machen." Miuinu, mal, «>äw8u,! doch ver¬ weisen darf man auf die Kreuzzeitnugsritterei in Preußen, ans die Svldaten- frenndschaft in Oestreich, ans die Ritterschastssache in Hannover, auf die bekann¬ ten Vorgänge im Sächsischen Verein zu Dresden. Im Baron Ernst Linden sehen wir einen Vertreter derselben Partei, nur mit katholischer Nuance. Er schrieb eine „Kritische Beleuchtung unsrer poli¬ tischen Zustände." — Man hatte sich vor 5848 eigentlich vom Herrn Baron Linden, einem pensionirten Württembergischen Neiterofficier, welcher zu Augsburg harmlos lebte und seine Muße dadurch ausfüllte, daß er rohe Pferde vortrefflich zuritt, niemals versehen, daß er sich dereinst auch mit der politischen Zurichtung Deutschlands beschäftigen werde. Wie schon erwähnt, erwarb er sich seine litera- «schen Spornen in der Augsburger Postzeitung, verfocht also natürlich die Trias, die sogenannte Freiheit der Kirche, und was sonst die Dinge waren, welche die selbstständige Augsburger Postzeitung aus's Schild zu heben pflegte. Seitdem ihr Format so groß und ihre Selbstständigkeit so gering geworden, hat sich der Baron (— und wir loben ihn dann —) von der Postzeitung losgesagt. Die katholische Krenzzeitungspartei erkannte, daß die Postzeitung eben keine katholische Kreuzzeitung werden möge oder könne; überhaupt blieb kein Zweifel, daß die Politische Alliance des Ultramontanismus mit dem profanen Krcuzrittcrthum des katholischen Südwestdeutschland sich immer mehr lockerte. Dies Kreuzritter- thmu ist nun ohne journalistisches Organ; es verfolgt seine Ziele praktischer und directer durch seine unmittelbaren Beziehungen zu den Höfen und Kabinet¬ ten. Freilich ist es principiell dadurch minder geschlossen, als jenes Nvrddcutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/355>, abgerufen am 04.07.2024.