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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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dere, Baron Ernst Linden, seine literarischen Spornen in der Augsburger Post-
zeitung erwarb. Die Schrift des Herrn Gotthelf") erörtert die Frage über die
Rechtsbeständigkeit deö restaurirten Bundestages mit juristischer Schärfe und
pnblicistischer Objectivität.' Die Entscheidung würde vor etwa drei Vierteljah¬
ren sehr interessant gewesen sein, während sie jetzt entweder zu spät kommt, falls
man ein Verehrer des kalt, ireeomM ist, oder zu früh, falls man wirklich glau¬
ben könnte, die Frage über Bestand und Nichtbestand des Bundestages sei noch
schwebend, sein jetziges Leben auch praktisch ein Jntcrimisticum. Von Partei¬
principien und politischen Grundsätzen mischt Herr Gotthelf Nichts in sein Buch;
es ist ein staatsrechtliches Gutachten, nur leider mit Entschcidungsgründen, deren
Charakter mehr civilrcchtlicher Natur. Sollen wir's mit kurzem Worte sagen:
Das Buch ist zu streng und starr juristisch, um irgend einen Eindruck zu machen,
um irgend einen wesentlich neuen Gesichtspunkt sür die Beurtheilung einer Frage
zu geben, worüber die öffentliche Meinung längst entschieden hat. Tone's doch
sogar aus dem Sitze des restaurirten Bundestags selber, daß keine rechte Ueber¬
zeugung von der juristischen Berechtigung seiner Existenz vorhanden, daß nnter
seinen eigenen Mitgliedern viele nur die "staatsrechtliche Nothwendigkeit" als
physiologische Grundbedingung seines Daseins annehmen. So gesehen: und scharf
auch das Buch gedacht und geschrieben ist, so fragt man sich doch vergeblich nach
dem Zwecke. Und Herr v. d. Pfordten wird weder in Dieppe noch in München
etwelche Scrupel über die Zweckmäßigkeit seiner berühmten Znstimmnngsacte vom
April empfinden. Noch viel weniger eine staatsmännische oder juristische
Neue.

Warum also nennen wir das Buch? Nicht sowol um seiner selbst, als um'
seiner symptomatischen Bedeutung willen. Es ist uns eines der vielen Zeichen,
in welcher Weise die Opposition ihre Wege sucht, nachdem das Deutsche (keines¬
wegs blos oder vorzugsweise das Bayerische) Negierungswesen dahin gekommen
ist, die moralische Rechtsfrage mit der materiellen Macht todtzuschlagen., In der
Macht ruht das Recht, nicht im Rechte die Macht. Dahin mußte es allerdings
kommen, nachdem allerwärts die Rechtsbegriffe parteiisch verwirrt, die Regierungs¬
maßnahmen selber ans den Standpunkt der Partei gestellt waren. Die Oppo¬
sition ist also nothwendig gedrängt, zuerst wieder die Verwirrung des Rechtsbe-
griffes, die Verwirrung der Thatsachen zu entwirren, Sie ist, streng genommen,
gar keine politische, sondern eine moralische Opposition, sie hat es thatsächlich
wieder mit deu Urbegriffen des Rechts- und Staatslebens überhaupt zu thun.

Wir ziehen die Folgerungen nicht weiter; denn leider haftet ja anch aus
der Presse und ganz namentlich auf ihr der Fluch deö Zustands, wo die Macht
das Recht giebt. Und die Preßgesetze sind deutsam, komm in letzter Instanz der



*) Der erneuerte Bund-StM "ut die Rechte des Deutsche" Botts. München. G. Franz.

dere, Baron Ernst Linden, seine literarischen Spornen in der Augsburger Post-
zeitung erwarb. Die Schrift des Herrn Gotthelf") erörtert die Frage über die
Rechtsbeständigkeit deö restaurirten Bundestages mit juristischer Schärfe und
pnblicistischer Objectivität.' Die Entscheidung würde vor etwa drei Vierteljah¬
ren sehr interessant gewesen sein, während sie jetzt entweder zu spät kommt, falls
man ein Verehrer des kalt, ireeomM ist, oder zu früh, falls man wirklich glau¬
ben könnte, die Frage über Bestand und Nichtbestand des Bundestages sei noch
schwebend, sein jetziges Leben auch praktisch ein Jntcrimisticum. Von Partei¬
principien und politischen Grundsätzen mischt Herr Gotthelf Nichts in sein Buch;
es ist ein staatsrechtliches Gutachten, nur leider mit Entschcidungsgründen, deren
Charakter mehr civilrcchtlicher Natur. Sollen wir's mit kurzem Worte sagen:
Das Buch ist zu streng und starr juristisch, um irgend einen Eindruck zu machen,
um irgend einen wesentlich neuen Gesichtspunkt sür die Beurtheilung einer Frage
zu geben, worüber die öffentliche Meinung längst entschieden hat. Tone's doch
sogar aus dem Sitze des restaurirten Bundestags selber, daß keine rechte Ueber¬
zeugung von der juristischen Berechtigung seiner Existenz vorhanden, daß nnter
seinen eigenen Mitgliedern viele nur die „staatsrechtliche Nothwendigkeit" als
physiologische Grundbedingung seines Daseins annehmen. So gesehen: und scharf
auch das Buch gedacht und geschrieben ist, so fragt man sich doch vergeblich nach
dem Zwecke. Und Herr v. d. Pfordten wird weder in Dieppe noch in München
etwelche Scrupel über die Zweckmäßigkeit seiner berühmten Znstimmnngsacte vom
April empfinden. Noch viel weniger eine staatsmännische oder juristische
Neue.

Warum also nennen wir das Buch? Nicht sowol um seiner selbst, als um'
seiner symptomatischen Bedeutung willen. Es ist uns eines der vielen Zeichen,
in welcher Weise die Opposition ihre Wege sucht, nachdem das Deutsche (keines¬
wegs blos oder vorzugsweise das Bayerische) Negierungswesen dahin gekommen
ist, die moralische Rechtsfrage mit der materiellen Macht todtzuschlagen., In der
Macht ruht das Recht, nicht im Rechte die Macht. Dahin mußte es allerdings
kommen, nachdem allerwärts die Rechtsbegriffe parteiisch verwirrt, die Regierungs¬
maßnahmen selber ans den Standpunkt der Partei gestellt waren. Die Oppo¬
sition ist also nothwendig gedrängt, zuerst wieder die Verwirrung des Rechtsbe-
griffes, die Verwirrung der Thatsachen zu entwirren, Sie ist, streng genommen,
gar keine politische, sondern eine moralische Opposition, sie hat es thatsächlich
wieder mit deu Urbegriffen des Rechts- und Staatslebens überhaupt zu thun.

Wir ziehen die Folgerungen nicht weiter; denn leider haftet ja anch aus
der Presse und ganz namentlich auf ihr der Fluch deö Zustands, wo die Macht
das Recht giebt. Und die Preßgesetze sind deutsam, komm in letzter Instanz der



*) Der erneuerte Bund-StM »ut die Rechte des Deutsche» Botts. München. G. Franz.
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[0354] dere, Baron Ernst Linden, seine literarischen Spornen in der Augsburger Post- zeitung erwarb. Die Schrift des Herrn Gotthelf") erörtert die Frage über die Rechtsbeständigkeit deö restaurirten Bundestages mit juristischer Schärfe und pnblicistischer Objectivität.' Die Entscheidung würde vor etwa drei Vierteljah¬ ren sehr interessant gewesen sein, während sie jetzt entweder zu spät kommt, falls man ein Verehrer des kalt, ireeomM ist, oder zu früh, falls man wirklich glau¬ ben könnte, die Frage über Bestand und Nichtbestand des Bundestages sei noch schwebend, sein jetziges Leben auch praktisch ein Jntcrimisticum. Von Partei¬ principien und politischen Grundsätzen mischt Herr Gotthelf Nichts in sein Buch; es ist ein staatsrechtliches Gutachten, nur leider mit Entschcidungsgründen, deren Charakter mehr civilrcchtlicher Natur. Sollen wir's mit kurzem Worte sagen: Das Buch ist zu streng und starr juristisch, um irgend einen Eindruck zu machen, um irgend einen wesentlich neuen Gesichtspunkt sür die Beurtheilung einer Frage zu geben, worüber die öffentliche Meinung längst entschieden hat. Tone's doch sogar aus dem Sitze des restaurirten Bundestags selber, daß keine rechte Ueber¬ zeugung von der juristischen Berechtigung seiner Existenz vorhanden, daß nnter seinen eigenen Mitgliedern viele nur die „staatsrechtliche Nothwendigkeit" als physiologische Grundbedingung seines Daseins annehmen. So gesehen: und scharf auch das Buch gedacht und geschrieben ist, so fragt man sich doch vergeblich nach dem Zwecke. Und Herr v. d. Pfordten wird weder in Dieppe noch in München etwelche Scrupel über die Zweckmäßigkeit seiner berühmten Znstimmnngsacte vom April empfinden. Noch viel weniger eine staatsmännische oder juristische Neue. Warum also nennen wir das Buch? Nicht sowol um seiner selbst, als um' seiner symptomatischen Bedeutung willen. Es ist uns eines der vielen Zeichen, in welcher Weise die Opposition ihre Wege sucht, nachdem das Deutsche (keines¬ wegs blos oder vorzugsweise das Bayerische) Negierungswesen dahin gekommen ist, die moralische Rechtsfrage mit der materiellen Macht todtzuschlagen., In der Macht ruht das Recht, nicht im Rechte die Macht. Dahin mußte es allerdings kommen, nachdem allerwärts die Rechtsbegriffe parteiisch verwirrt, die Regierungs¬ maßnahmen selber ans den Standpunkt der Partei gestellt waren. Die Oppo¬ sition ist also nothwendig gedrängt, zuerst wieder die Verwirrung des Rechtsbe- griffes, die Verwirrung der Thatsachen zu entwirren, Sie ist, streng genommen, gar keine politische, sondern eine moralische Opposition, sie hat es thatsächlich wieder mit deu Urbegriffen des Rechts- und Staatslebens überhaupt zu thun. Wir ziehen die Folgerungen nicht weiter; denn leider haftet ja anch aus der Presse und ganz namentlich auf ihr der Fluch deö Zustands, wo die Macht das Recht giebt. Und die Preßgesetze sind deutsam, komm in letzter Instanz der *) Der erneuerte Bund-StM »ut die Rechte des Deutsche» Botts. München. G. Franz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/354>, abgerufen am 04.07.2024.