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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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her eine Penston bezog, erweiterten seine Anschauung, und gaben ihm zugleich
das Gefühl, daß er selbst ein Dichter sei. Den wichtigsten Einfluß aber hatte
ans ihn Steffens, der ganz erfüllt von der Deutschen Naturphilosophie und von
deu Doctrinen der romantischen Schule, die. damals in ihrem Zenith war, 1802
nach Dänemark kam und ihn vollständig bekehrte. Zwar wußte er sich in die
Schulsprache des transcendentalen Idealismus nicht besonders zu finden,
desto mehr Eindruck machte der Faust, so wie Tieck und Novalis auf ihn. Er
fing schon damals an sich in Dichtungen zu versuchen, in die er nach der Art
der Deutschen Romantiker einerseits Ottaverimeu, Terzineu, andererseits die nor¬
dische Alliteration und das Nibelungenvcrsmaß, zum Ueberfluß auch uoch die
Griechischen Rhythmen einführte. In dieser Weise war namentlich das Se. Hans¬
spiel geschrieben (1803), ein Fastnachtsstück in der Tieck'schen Manier. Oehlen-
schläger galt jetzt als das Haupt der jungen Schule. Er brach mit Baggesen,
der Goethe angegriffen hatte, trennte sich auch in gesellschaftlicher Beziehung von
den Anhängern der alten Schule, und schrieb mehrere dramatische und epische Ver¬
suche in der ironischen Weise, die damals zum guten Ton gehörte, darunter
"Freya's Altar", ein phantastisches Lustspiel, und deu "Aladdiu" (180/.), das
Hauptwerk jener Periode, auf das wir noch später zurückkommen. Auch die Le¬
bensweise der jungen Dichter richtete sich, ungefähr wie es in Jena und Berlin
der Fall war, nach ihren romantischen Theorien ein. Oehlcnschläger gab jetzt
definitiv die Jurisprudenz aus, gewann sich eine hohe Protection, durch die ihm
ein Reisestipendium vermittelt wurde, und reiste im August 180S nach Deutschland
ab, dem gelobten Lande seiner Sehnsucht.

Es ist den Meisten so gegangen, welche aus der Ferne von den kühnen
Ideen der romantischen Schule angeregt und angezogen wurden, daß sie bei
ihrer nähern Bekanntschaft mit den Persönlichkeiten sich stark enttäuscht sahen.
Ein gesunder Sinn mußte sehr bald dahinter kommen, daß es sich hier zum
großen Theil um Phrasen handelte, hinter denen nicht die geringste reale Be¬
deutung zu suchen war, daß die Kühnheit der Tendenz weit über das productive
Talent hinausging, und daß die Schärfe des Urtheils keineswegs durch ein gutes
Gewissen gerechtfertigt wurde. Ein ausgebildetes und organisirtes Cliquenwesen,
welches sich eben so gegen die nachwachsende Jugend abschloß, als es die alten
Autoritäten erschütterte, eine blinde Nachbeterei dessen, was die Wortführer M
Ganzen und im Detail behauptet hatten, .von Seiten der Schule, und namentlich
eine große Gleichgiltigkeit gegen den eigentlichen Kern aller echten Poesie, die
sittliche Erhebung, das Alles mußte die Berechtigung der neuen Poesie mehr als
zweifelhaft machen. Es ist höchst erfreulich, wie Oehlenschläger's unverdorbene
Natur trotz seiner neuen Doctrinen sich Luft machte, als z. B. Steffens von
Schiller mit wegwerfender Geringschätzung sprach, und als Schlegel sich über
Luther einige verächtliche Bemerkungen erlaubte. Indessen zunächst hatte er es


her eine Penston bezog, erweiterten seine Anschauung, und gaben ihm zugleich
das Gefühl, daß er selbst ein Dichter sei. Den wichtigsten Einfluß aber hatte
ans ihn Steffens, der ganz erfüllt von der Deutschen Naturphilosophie und von
deu Doctrinen der romantischen Schule, die. damals in ihrem Zenith war, 1802
nach Dänemark kam und ihn vollständig bekehrte. Zwar wußte er sich in die
Schulsprache des transcendentalen Idealismus nicht besonders zu finden,
desto mehr Eindruck machte der Faust, so wie Tieck und Novalis auf ihn. Er
fing schon damals an sich in Dichtungen zu versuchen, in die er nach der Art
der Deutschen Romantiker einerseits Ottaverimeu, Terzineu, andererseits die nor¬
dische Alliteration und das Nibelungenvcrsmaß, zum Ueberfluß auch uoch die
Griechischen Rhythmen einführte. In dieser Weise war namentlich das Se. Hans¬
spiel geschrieben (1803), ein Fastnachtsstück in der Tieck'schen Manier. Oehlen-
schläger galt jetzt als das Haupt der jungen Schule. Er brach mit Baggesen,
der Goethe angegriffen hatte, trennte sich auch in gesellschaftlicher Beziehung von
den Anhängern der alten Schule, und schrieb mehrere dramatische und epische Ver¬
suche in der ironischen Weise, die damals zum guten Ton gehörte, darunter
„Freya's Altar", ein phantastisches Lustspiel, und deu „Aladdiu" (180/.), das
Hauptwerk jener Periode, auf das wir noch später zurückkommen. Auch die Le¬
bensweise der jungen Dichter richtete sich, ungefähr wie es in Jena und Berlin
der Fall war, nach ihren romantischen Theorien ein. Oehlcnschläger gab jetzt
definitiv die Jurisprudenz aus, gewann sich eine hohe Protection, durch die ihm
ein Reisestipendium vermittelt wurde, und reiste im August 180S nach Deutschland
ab, dem gelobten Lande seiner Sehnsucht.

Es ist den Meisten so gegangen, welche aus der Ferne von den kühnen
Ideen der romantischen Schule angeregt und angezogen wurden, daß sie bei
ihrer nähern Bekanntschaft mit den Persönlichkeiten sich stark enttäuscht sahen.
Ein gesunder Sinn mußte sehr bald dahinter kommen, daß es sich hier zum
großen Theil um Phrasen handelte, hinter denen nicht die geringste reale Be¬
deutung zu suchen war, daß die Kühnheit der Tendenz weit über das productive
Talent hinausging, und daß die Schärfe des Urtheils keineswegs durch ein gutes
Gewissen gerechtfertigt wurde. Ein ausgebildetes und organisirtes Cliquenwesen,
welches sich eben so gegen die nachwachsende Jugend abschloß, als es die alten
Autoritäten erschütterte, eine blinde Nachbeterei dessen, was die Wortführer M
Ganzen und im Detail behauptet hatten, .von Seiten der Schule, und namentlich
eine große Gleichgiltigkeit gegen den eigentlichen Kern aller echten Poesie, die
sittliche Erhebung, das Alles mußte die Berechtigung der neuen Poesie mehr als
zweifelhaft machen. Es ist höchst erfreulich, wie Oehlenschläger's unverdorbene
Natur trotz seiner neuen Doctrinen sich Luft machte, als z. B. Steffens von
Schiller mit wegwerfender Geringschätzung sprach, und als Schlegel sich über
Luther einige verächtliche Bemerkungen erlaubte. Indessen zunächst hatte er es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/332>, abgerufen am 04.07.2024.