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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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keit. Indem er seine eigenen Bedürfnisse auf das Allernothwendigste beschränkt,
stellt er seine Arbeit zur Disposition Derjenigen, die nicht reich genug sind, ihn
zu bezahle"; er ist von einer hohen Religiosität und hat eben so richtige Vor¬
stellungen von Gott, von der Unsterblichkeit der Seele, von der Bestimmung des
Menschen und seineu Pflichten, als irgend eine Jdyllensigur. Herr vou Lamar¬
tine begnügt sich nicht, diese ideale Gestalt zu zeichnen, er bringt ihn in Rap¬
port mit sich selbst, und führt die weisesten Dialoge, gerade wie in der Vorrede
zu Genevieve mit'der Mademoiselle Reine, der tugendhaften und philosophischen
Grisette. Außerdem zerstreut er die Aufmerksamkeit fortwährend durch ausführ¬
liche und ziemlich gesuchte Landschaftsschilderungeii, durch überladene Perioden,
die kein Ende nehmen, und deren Verständniß durch die überschwänglichen und
unklare" Ausdrücke uoch schwerer wird. Seine Empfindungsweise ist die eines
nervösen Weibes; vo" einem wahren nud tiefen Gefühl ist bei ihm nie die Rede,
und sein Bauerucostum selbst ist nur die interessante Caprice eines vornehmen
Herrn.

Während Lamartine mit vergeblicher Anstrengung die zur Modesache gewordene
Volksthümlichkeit anstrebt, schreitet jene literarische Bewegung, die wir schon in
Georges Sand's Idyllen nachgewiesen haben, nach alle" Seiten hin vorwärts.
Die Journale bringen in unermüdlichem Wetteifer Lvcalgeschichten und Localsagen,
und die Salons werden mit Dorfgeschichten angefüllt. Es ist auch darin noch
viel Gemachtes, aber man findet doch einige erfreuliche Erscheinungen, z. B. das
neue Buch von Emile Souvcstrc: (!und'<zö"lors ü'zur uuvrior, welches in einem
edlen, einfache" Styl geschrieben ist, und die allgcmei" menschlichen Empfindungen
mit Energie und Wahrheit wiedergiebt. Durch diese Darstellungen vou dem
Glück, welches auch in den niedern Ständen ein fester Wille und ein gutes Herz
bereitet, arbeitet man den krankhaften Gelüsten des Kommunismus mit Erfolg
entgegen.

Bei dieser Gelegenheit führen wir eine" der besten Volksdichter an, Pierre
Dupont, dessen Gedichte so eben gesammelt sind. Es sind darunter auch einige
leidenschaftlich demokratische, die offenbar den geringsten Werth haben; dagegen
gehören die idyllischen Schilderungen, aus dem kleinen Leben der Bauern "no
Handwerker zu dem Vortrefflichsten, was die volkstümliche Muse in Frankreich
hervorgebracht hat. Neben der kräftigen, derben Ausdrucksweise und der sichern
Zeichnung erfreut uus auch eine bei den Franzosen sehr seltene Erscheinung, em
liebenswürdiger nud feiner Humor.

Von den: andern bedeutendern Werk Lamartine's, der "Geschickte der Re¬
stauration", behalten wir uns vor, einen ausführlichen Bericht zu geben. Wir
beschränkn, uns hier aus die Vorrede, die eben so viel Coquetterie zeigt, wie alles
halb oder ganz Historische, was in den letzten Jahren ans der Feder des Herrn
v. Lamartine geflossen ist. Er coquettirt nämlich mit dem beständigen Conflict


keit. Indem er seine eigenen Bedürfnisse auf das Allernothwendigste beschränkt,
stellt er seine Arbeit zur Disposition Derjenigen, die nicht reich genug sind, ihn
zu bezahle»; er ist von einer hohen Religiosität und hat eben so richtige Vor¬
stellungen von Gott, von der Unsterblichkeit der Seele, von der Bestimmung des
Menschen und seineu Pflichten, als irgend eine Jdyllensigur. Herr vou Lamar¬
tine begnügt sich nicht, diese ideale Gestalt zu zeichnen, er bringt ihn in Rap¬
port mit sich selbst, und führt die weisesten Dialoge, gerade wie in der Vorrede
zu Genevieve mit'der Mademoiselle Reine, der tugendhaften und philosophischen
Grisette. Außerdem zerstreut er die Aufmerksamkeit fortwährend durch ausführ¬
liche und ziemlich gesuchte Landschaftsschilderungeii, durch überladene Perioden,
die kein Ende nehmen, und deren Verständniß durch die überschwänglichen und
unklare» Ausdrücke uoch schwerer wird. Seine Empfindungsweise ist die eines
nervösen Weibes; vo» einem wahren nud tiefen Gefühl ist bei ihm nie die Rede,
und sein Bauerucostum selbst ist nur die interessante Caprice eines vornehmen
Herrn.

Während Lamartine mit vergeblicher Anstrengung die zur Modesache gewordene
Volksthümlichkeit anstrebt, schreitet jene literarische Bewegung, die wir schon in
Georges Sand's Idyllen nachgewiesen haben, nach alle» Seiten hin vorwärts.
Die Journale bringen in unermüdlichem Wetteifer Lvcalgeschichten und Localsagen,
und die Salons werden mit Dorfgeschichten angefüllt. Es ist auch darin noch
viel Gemachtes, aber man findet doch einige erfreuliche Erscheinungen, z. B. das
neue Buch von Emile Souvcstrc: (!und'<zö»lors ü'zur uuvrior, welches in einem
edlen, einfache» Styl geschrieben ist, und die allgcmei» menschlichen Empfindungen
mit Energie und Wahrheit wiedergiebt. Durch diese Darstellungen vou dem
Glück, welches auch in den niedern Ständen ein fester Wille und ein gutes Herz
bereitet, arbeitet man den krankhaften Gelüsten des Kommunismus mit Erfolg
entgegen.

Bei dieser Gelegenheit führen wir eine« der besten Volksdichter an, Pierre
Dupont, dessen Gedichte so eben gesammelt sind. Es sind darunter auch einige
leidenschaftlich demokratische, die offenbar den geringsten Werth haben; dagegen
gehören die idyllischen Schilderungen, aus dem kleinen Leben der Bauern »no
Handwerker zu dem Vortrefflichsten, was die volkstümliche Muse in Frankreich
hervorgebracht hat. Neben der kräftigen, derben Ausdrucksweise und der sichern
Zeichnung erfreut uus auch eine bei den Franzosen sehr seltene Erscheinung, em
liebenswürdiger nud feiner Humor.

Von den: andern bedeutendern Werk Lamartine's, der „Geschickte der Re¬
stauration", behalten wir uns vor, einen ausführlichen Bericht zu geben. Wir
beschränkn, uns hier aus die Vorrede, die eben so viel Coquetterie zeigt, wie alles
halb oder ganz Historische, was in den letzten Jahren ans der Feder des Herrn
v. Lamartine geflossen ist. Er coquettirt nämlich mit dem beständigen Conflict


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[0318] keit. Indem er seine eigenen Bedürfnisse auf das Allernothwendigste beschränkt, stellt er seine Arbeit zur Disposition Derjenigen, die nicht reich genug sind, ihn zu bezahle»; er ist von einer hohen Religiosität und hat eben so richtige Vor¬ stellungen von Gott, von der Unsterblichkeit der Seele, von der Bestimmung des Menschen und seineu Pflichten, als irgend eine Jdyllensigur. Herr vou Lamar¬ tine begnügt sich nicht, diese ideale Gestalt zu zeichnen, er bringt ihn in Rap¬ port mit sich selbst, und führt die weisesten Dialoge, gerade wie in der Vorrede zu Genevieve mit'der Mademoiselle Reine, der tugendhaften und philosophischen Grisette. Außerdem zerstreut er die Aufmerksamkeit fortwährend durch ausführ¬ liche und ziemlich gesuchte Landschaftsschilderungeii, durch überladene Perioden, die kein Ende nehmen, und deren Verständniß durch die überschwänglichen und unklare» Ausdrücke uoch schwerer wird. Seine Empfindungsweise ist die eines nervösen Weibes; vo» einem wahren nud tiefen Gefühl ist bei ihm nie die Rede, und sein Bauerucostum selbst ist nur die interessante Caprice eines vornehmen Herrn. Während Lamartine mit vergeblicher Anstrengung die zur Modesache gewordene Volksthümlichkeit anstrebt, schreitet jene literarische Bewegung, die wir schon in Georges Sand's Idyllen nachgewiesen haben, nach alle» Seiten hin vorwärts. Die Journale bringen in unermüdlichem Wetteifer Lvcalgeschichten und Localsagen, und die Salons werden mit Dorfgeschichten angefüllt. Es ist auch darin noch viel Gemachtes, aber man findet doch einige erfreuliche Erscheinungen, z. B. das neue Buch von Emile Souvcstrc: (!und'<zö»lors ü'zur uuvrior, welches in einem edlen, einfache» Styl geschrieben ist, und die allgcmei» menschlichen Empfindungen mit Energie und Wahrheit wiedergiebt. Durch diese Darstellungen vou dem Glück, welches auch in den niedern Ständen ein fester Wille und ein gutes Herz bereitet, arbeitet man den krankhaften Gelüsten des Kommunismus mit Erfolg entgegen. Bei dieser Gelegenheit führen wir eine« der besten Volksdichter an, Pierre Dupont, dessen Gedichte so eben gesammelt sind. Es sind darunter auch einige leidenschaftlich demokratische, die offenbar den geringsten Werth haben; dagegen gehören die idyllischen Schilderungen, aus dem kleinen Leben der Bauern »no Handwerker zu dem Vortrefflichsten, was die volkstümliche Muse in Frankreich hervorgebracht hat. Neben der kräftigen, derben Ausdrucksweise und der sichern Zeichnung erfreut uus auch eine bei den Franzosen sehr seltene Erscheinung, em liebenswürdiger nud feiner Humor. Von den: andern bedeutendern Werk Lamartine's, der „Geschickte der Re¬ stauration", behalten wir uns vor, einen ausführlichen Bericht zu geben. Wir beschränkn, uns hier aus die Vorrede, die eben so viel Coquetterie zeigt, wie alles halb oder ganz Historische, was in den letzten Jahren ans der Feder des Herrn v. Lamartine geflossen ist. Er coquettirt nämlich mit dem beständigen Conflict

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/318>, abgerufen am 04.07.2024.