Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.kann. Darum erscheint er uns, die wir unsre Weisheit vornehmlich aus dem Dieser Vergleich wird nnn ans Oersted eigentlich nicht ganz passen, denn 39 *
kann. Darum erscheint er uns, die wir unsre Weisheit vornehmlich aus dem Dieser Vergleich wird nnn ans Oersted eigentlich nicht ganz passen, denn 39 *
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kann. Darum erscheint er uns, die wir unsre Weisheit vornehmlich aus dem
Faust, aus Heine, Gutzkow oder der Nahe! schöpfen, zuweilen sehr nüchtern und
dürftig, wie ein guter Wein dem Branntweintrinker. Es ist diese Eigenthümlichkeit
allerdings vorzugsweise das Verdienst jenes ausgezeichneten Mannes, allem es
kommt ihm dabei auch die Eigenthümlichkeit seines Volks zu Hilfe, nud dies ist
der Punkt, ans den wir hier ein besonderes Gewicht legen möchten, weil er uns
zeigt, daß wir in dein Studium der Dänischen Schriftsteller nicht blos eine müßige
Neugierde befriedigen, sondern daß wir wirklich- Etwas daraus lernen können.
Die Dänische Literatur ist allerdings viel weniger entwickelt, als die unsrige, dafür
herrscht bei ihr aber anch noch nicht diese Verschrobenheit. Die Dänen lesen
Werte, wie den „Faust" immer nur noch in der Art, wie wir etwa eine erotische
Pflanze betrachten; es ist bei ihnen noch nicht zum Dogma geworden, daß man
in der höchsten Philosophie auch das energischeste Sinnenglück empfinden, daß
man, wenn mau die Wunder der Erscheinung übersieht, auch noch über Das, was
hinter den Erscheinungen steckt, träumen müsse. Oersted macht in einer der uns
vorliegenden Abhandlungen die ganz treffende Bemerkung, daß Dänische Schrift¬
steller, welche die Deutsche Philosophie studirt, und in Deutscher Sprache die
wunderbarsten Dinge geschrieben habe», sich viel klarer und bestimmter ausdrücken,
wenn sie sich einmal wieder des Dänischen bedienen, und er führt als Beispiel
namentlich Steffens an. Es gehört nämlich schon eine ganze Zeit dazu, eine
lange und eonseguente Uebung im Unsinn, um so, wie es in dem bei Weitem
größer» Theil unsrer heutigen belletristischen Literatur geschieht, zu denken und zu
empfinden. Gerade weil die Dänen darauf angewiesen sind, von unsern geistigen
„Errungenschaften" zu zehren, kann die Art und Weise, wie sie sich unsre Ideen
aneignen, für uns sehr lehrreich sein. Bei andern Nationen haben wir diesen
Vortheil nicht. Die östlichen Völker sind zu ungestüm und das Gefühl waltet zu
sehr bei ihnen vor, als daß sie die Deutsche Literatur mit wirklichem Nachdenken
verfolgten, und den Franzosen ist es zu unbequem; sie schöpfen den Schaum unsrer
Literatur ab, und das genügt ihnen vollständig. Auch wenn sie uns der Un¬
klarheit und der Mystik beschuldigen, können wir Nichts daraus lernen, denn sie
haben kein Recht dazu; sie sehen nicht uns selbst, sondern nur die Kategorien,
die sie sich' von uns machen. Die Dänen dagegen kommen mir in ihrem Ver¬
hältniß zu uns ungefähr so vor, wie ein aufgeweckter, wißbegieriger Knabe, dem
ein gelehrter, aber etwas confuser Professor einen Vortrag hält. Wenn der Letztere
dabei wirklich einen gesunden Fonds hat, so kann er ans den Fragen und Ant¬
worten des Ersten für seine Bildung gerade eben so viel gewinnen, als Jener
von ihm.
Dieser Vergleich wird nnn ans Oersted eigentlich nicht ganz passen, denn
hier steht uns ein reifer, vollkommen ebenbürtiger Mann gegenüber; allein er
paßt ans die in ihm sich aussprechende Nationalität. Sehr lehrreich sind daher
39 *
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