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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ihrem erquickenden Schleier beschützte, eben nnr eine kurze und noch dazu ange¬
nehme Promenade. Hätten wir auch nicht gewußt, daß wir zu einem Feste gingen,
bei dem eben der Wein den Mittelpunkt bildet, so würden wir darauf aufmerksam
gemacht worden sein, als wir kaum einige hundert Schritte von Lausanne nach
Vevay zu an der erste" Weinschenke ein Transparent aushängen sahen, das aus
der Seite von Lausanne her die Worte: "1" l'un ""mmöiiLL w Me" und auf
der von Vevay her die Worte: "loi, I'on und, I" tete" tragend, seine Wirkung
natürlich bei Denen nicht verfehlte, die gekommen waren, das Weinfest gründlich
zu genießen. Inmitten des oft sehr lästigen Treibens und Drängens langten wir
endlich früh Morgens gegen 3 Uhr in Vevay selbst an, das in seinem-Fcstschmncke
einen lieblichen Anblick darbot. Unterwegs hatten wir Gelegenheit, zwei ver¬
schiedene Industriezweige zu bewundern, von denen wir freilich nur den einen,
wenn anch einen Erfolg besonderer Art haben sahen. Es fiel uns nämlich in¬
mitten der Landstraße bei dieser schonen, sternhellen Nacht ein Mann mit einer
Laterne auf, der, über den Zweck seiner Laterne befragt, zur allgemeinen Belu¬
stigung die naive Antwort gab, daß bei solcher Gelegenheit viele Gegenstände
verloren gingen, die er zu suchen gekommen sei. Wir ließen den Mann sein un¬
sicheres Geschäft fortsetzen, und bemerkten bald, daß es, wenn auch vielleicht weni¬
ger einträglich, doch etwas solider war, als das des andern Glücksritters, der sich
trunken stellend im Vorbeitanmcln an den Häusern die bunten Lämpchen wegnahm,
ein Experiment, das er vielleicht 6 bis 7 Mal in gar. kurzer Zeit zu vollenden
im Stande war, bis ans einmal eine fürchterliche Tracht Prügel, die er von
mehrern mit dieser Art künstlerischer Leistung unzufriedener Wanderer erhielt,
diesem Spiele ein Ende machte, nud dem taumelnden Trunkenen urplötzlich die
Schnelligkeit eines gehetzten Hasen gab, so daß er in der kürzesten Zeit Nichts
mehr von dem ihm nachgesendeten Steinhagel z" fürchten hatte.

In Vevay selbst war schon Alles, trotz der frühen Morgenszeit, Leben,
Drängen und Treiben,, und wir konnten beim Anschauen dieses entsetzlichen Tu-
mults inmitten der Nacht in diesem sonst so friedlichen und ruhigen Städtchen
des heitern Lunam uns uicht enthalten, Diejenigen recht innig zu beklagen, die
um schon die Hälfte ihrer 4 bis 800 Franken verschlafen, und dabei doch keine
Ruhe gesunden hatten, da diese natürlich, wie die billigen Miethen, nicht garantirt
war; denn war auch sämmtlichem Fuhrwerke aller und jeder Zutritt in die Stadt
versagt, so war doch das Tosen der auf- und abströmenden Menschenmenge
schon zu dieser Tageszeit wohl geeignet, auch dem festesten Schlafe im obersten
Dachstübchen ein Ende zu macheu. Das Erste, was nun zu thun, war natürlich
die ans dem großen Marktplatze errichtete amphitheatralische Estrade in Augen¬
schein zu nehmen, und hernach einen von den dem Publicum freigelassenen Plätzen zu
erobern. Die Estrade selbst, zu welcher während der ersten und Hauptvorstellung
der Eintritt und bezüglich 10 Französische Franken kostete, stellte sich unsern


ihrem erquickenden Schleier beschützte, eben nnr eine kurze und noch dazu ange¬
nehme Promenade. Hätten wir auch nicht gewußt, daß wir zu einem Feste gingen,
bei dem eben der Wein den Mittelpunkt bildet, so würden wir darauf aufmerksam
gemacht worden sein, als wir kaum einige hundert Schritte von Lausanne nach
Vevay zu an der erste» Weinschenke ein Transparent aushängen sahen, das aus
der Seite von Lausanne her die Worte: „1« l'un «»mmöiiLL w Me" und auf
der von Vevay her die Worte: „loi, I'on und, I» tete" tragend, seine Wirkung
natürlich bei Denen nicht verfehlte, die gekommen waren, das Weinfest gründlich
zu genießen. Inmitten des oft sehr lästigen Treibens und Drängens langten wir
endlich früh Morgens gegen 3 Uhr in Vevay selbst an, das in seinem-Fcstschmncke
einen lieblichen Anblick darbot. Unterwegs hatten wir Gelegenheit, zwei ver¬
schiedene Industriezweige zu bewundern, von denen wir freilich nur den einen,
wenn anch einen Erfolg besonderer Art haben sahen. Es fiel uns nämlich in¬
mitten der Landstraße bei dieser schonen, sternhellen Nacht ein Mann mit einer
Laterne auf, der, über den Zweck seiner Laterne befragt, zur allgemeinen Belu¬
stigung die naive Antwort gab, daß bei solcher Gelegenheit viele Gegenstände
verloren gingen, die er zu suchen gekommen sei. Wir ließen den Mann sein un¬
sicheres Geschäft fortsetzen, und bemerkten bald, daß es, wenn auch vielleicht weni¬
ger einträglich, doch etwas solider war, als das des andern Glücksritters, der sich
trunken stellend im Vorbeitanmcln an den Häusern die bunten Lämpchen wegnahm,
ein Experiment, das er vielleicht 6 bis 7 Mal in gar. kurzer Zeit zu vollenden
im Stande war, bis ans einmal eine fürchterliche Tracht Prügel, die er von
mehrern mit dieser Art künstlerischer Leistung unzufriedener Wanderer erhielt,
diesem Spiele ein Ende machte, nud dem taumelnden Trunkenen urplötzlich die
Schnelligkeit eines gehetzten Hasen gab, so daß er in der kürzesten Zeit Nichts
mehr von dem ihm nachgesendeten Steinhagel z» fürchten hatte.

In Vevay selbst war schon Alles, trotz der frühen Morgenszeit, Leben,
Drängen und Treiben,, und wir konnten beim Anschauen dieses entsetzlichen Tu-
mults inmitten der Nacht in diesem sonst so friedlichen und ruhigen Städtchen
des heitern Lunam uns uicht enthalten, Diejenigen recht innig zu beklagen, die
um schon die Hälfte ihrer 4 bis 800 Franken verschlafen, und dabei doch keine
Ruhe gesunden hatten, da diese natürlich, wie die billigen Miethen, nicht garantirt
war; denn war auch sämmtlichem Fuhrwerke aller und jeder Zutritt in die Stadt
versagt, so war doch das Tosen der auf- und abströmenden Menschenmenge
schon zu dieser Tageszeit wohl geeignet, auch dem festesten Schlafe im obersten
Dachstübchen ein Ende zu macheu. Das Erste, was nun zu thun, war natürlich
die ans dem großen Marktplatze errichtete amphitheatralische Estrade in Augen¬
schein zu nehmen, und hernach einen von den dem Publicum freigelassenen Plätzen zu
erobern. Die Estrade selbst, zu welcher während der ersten und Hauptvorstellung
der Eintritt und bezüglich 10 Französische Franken kostete, stellte sich unsern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/304>, abgerufen am 30.06.2024.