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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ten, welche immer in deren Nachbarschaft gedeihen. Man schritt zur Discussion
des fünften Antrags, welcher "den Grundsatz der Nichtintervcntion aufstellt und
,,jedem Staate das absolute, unverletzliche Recht zuerkennt, seine Angelegenheiten
"selbst zu ordnen". Für diesen Antrag sprach Herr Henry Vincent, el" Mann
von kräftigem Körperbau und mächtigem Sprachorgan, aber leider von solchem
cvngestivncllcm Habitus, daß man sich bei jeder Donnerphrase ängstigt, es zer¬
sprenge dem durchglühten Redner ein Blutgefäß, und er stürze todt zu den Füßen
der lautlvöstillen Zuhörerschaft; -- ferner Herr Garnier, der Secretair der Ge¬
sellschaft für Frankreich, welcher unter Anderem bemerkte, wie die Regierungen ihre
Jnterventionögelüste dein bedrohten "Gleichgewichte Europa's" zuschrieben,
das sich gleichwol fortwährend ändert, das z. B. einmal verlangt, daß Belgien
mit Holland einverleibt bleibe, und einige Jahre später wieder, daß es von dem¬
selben getrennt werde! -- Er bekämpft hierauf selbst jene Kriegführung, welche
auf die Verbreitung liberaler Ideen und Institutionen abzielt, indem Niemand ein
Recht habe, selbst Wahrheit durch Gewalt durchzusetzen.

Im Laufe dieser Discussion erschien plötzlich Emil Girardin, und wurde von
Herrn Cobden zu einem Sitz begleitet. Die Versammlung, welche die berühmten
Gesichtszüge*) rasch erkannte, brach in Beifallsgrüße ans, die Girardin mit der
echt Französischen Galanterie erwiderte: "Er sei kein Soldat, aber ein Deser¬
teur, denn er sei ans der Pariser Nationalversammlung desertirt, um das Glück
zu genießen, dem Kongreß der Friedensfreunde beiwohnen zu können." --

Die dritte und letzte Sitzung begann mit Verlesung von Adressen, worunter
die des Erzbischofs von Dublin und Victor Hugo'ö sich befanden. --

Fünfzehn Französische Handwerker verschiedener Gewerbe waren ans Kosten
der Herren Girardin, Lamartine und einiger gleichgesinnter Freunde eigens von
Paris gekommen, um dem Congreß der Friedensfreunde im Namen der Pariser
Arbeiter ihre Huldigung darzubringen, und wurden von dem Englischen Volk'S-
maune Henry Vincent unter großem Jnbel der Versammlung vorgestellt. Einer
der Handwerker, ein Graveur, las mit vieler Wärme eine Ansprache in Fran¬
zösischer Zunge, deren Haupt-Pointen von dem bekannten Reisenden Herrn Sill
Buckingham ius Englische verdollmetscht wurden.

Der erste Redner zu Gunsten der i. Proposition: "Die Verwerflichkeit
öffentlicher Anlehen, als Mittel gegenseitiger Bekriegung n. s. w." war der
Quäker, Buchhändler Charles Gilpin. Ich fürchte mich, den Ohren der con-
tinentalen Leser und noch mehr jenen gewisser Regierungen weh zu thun, wenn ich
die dcrbkräftigen Ausdrücke und Ausfälle wiedergebe, welche im Laufe dieser Dis¬
cussion vou deu verschiedenen Redner" gebraucht wurden. Hier in England ist



Bekanntlich hat Girardin eine frappante Aehnlichkeit mit den Kaiser Napoleon, was
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ten, welche immer in deren Nachbarschaft gedeihen. Man schritt zur Discussion
des fünften Antrags, welcher „den Grundsatz der Nichtintervcntion aufstellt und
,,jedem Staate das absolute, unverletzliche Recht zuerkennt, seine Angelegenheiten
„selbst zu ordnen". Für diesen Antrag sprach Herr Henry Vincent, el» Mann
von kräftigem Körperbau und mächtigem Sprachorgan, aber leider von solchem
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sprenge dem durchglühten Redner ein Blutgefäß, und er stürze todt zu den Füßen
der lautlvöstillen Zuhörerschaft; — ferner Herr Garnier, der Secretair der Ge¬
sellschaft für Frankreich, welcher unter Anderem bemerkte, wie die Regierungen ihre
Jnterventionögelüste dein bedrohten „Gleichgewichte Europa's" zuschrieben,
das sich gleichwol fortwährend ändert, das z. B. einmal verlangt, daß Belgien
mit Holland einverleibt bleibe, und einige Jahre später wieder, daß es von dem¬
selben getrennt werde! — Er bekämpft hierauf selbst jene Kriegführung, welche
auf die Verbreitung liberaler Ideen und Institutionen abzielt, indem Niemand ein
Recht habe, selbst Wahrheit durch Gewalt durchzusetzen.

Im Laufe dieser Discussion erschien plötzlich Emil Girardin, und wurde von
Herrn Cobden zu einem Sitz begleitet. Die Versammlung, welche die berühmten
Gesichtszüge*) rasch erkannte, brach in Beifallsgrüße ans, die Girardin mit der
echt Französischen Galanterie erwiderte: „Er sei kein Soldat, aber ein Deser¬
teur, denn er sei ans der Pariser Nationalversammlung desertirt, um das Glück
zu genießen, dem Kongreß der Friedensfreunde beiwohnen zu können." —

Die dritte und letzte Sitzung begann mit Verlesung von Adressen, worunter
die des Erzbischofs von Dublin und Victor Hugo'ö sich befanden. —

Fünfzehn Französische Handwerker verschiedener Gewerbe waren ans Kosten
der Herren Girardin, Lamartine und einiger gleichgesinnter Freunde eigens von
Paris gekommen, um dem Congreß der Friedensfreunde im Namen der Pariser
Arbeiter ihre Huldigung darzubringen, und wurden von dem Englischen Volk'S-
maune Henry Vincent unter großem Jnbel der Versammlung vorgestellt. Einer
der Handwerker, ein Graveur, las mit vieler Wärme eine Ansprache in Fran¬
zösischer Zunge, deren Haupt-Pointen von dem bekannten Reisenden Herrn Sill
Buckingham ius Englische verdollmetscht wurden.

Der erste Redner zu Gunsten der i. Proposition: „Die Verwerflichkeit
öffentlicher Anlehen, als Mittel gegenseitiger Bekriegung n. s. w." war der
Quäker, Buchhändler Charles Gilpin. Ich fürchte mich, den Ohren der con-
tinentalen Leser und noch mehr jenen gewisser Regierungen weh zu thun, wenn ich
die dcrbkräftigen Ausdrücke und Ausfälle wiedergebe, welche im Laufe dieser Dis¬
cussion vou deu verschiedenen Redner» gebraucht wurden. Hier in England ist



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/273>, abgerufen am 04.07.2024.