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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Mächten. Die Sache ist aber völlig bedeutungslos; denn die Privatsehdcn
zwischen den Crnvgorccn und deu Türke" der benachbarten Provinzen sind seit
Jahrhunderten etwas ganz Gewöhnliches, und berechtige" durchaus nichr zu der
Annahme, daß es zu einem eigentlichen Kriege zwischen der Cruogora und der
Türkei kommen werde, da zwischen ihnen gar kein völkerrechtliches Verhältniß
besteht, mithin auch durch Privatstreitigkeiteu nicht verletzt werden kann. Diese
freilich sehr blutigen Kämpfe unternimmt mau beiderseits ans eigene Faust, und
so wenig man deshalb einen Türkischen Wezier verantwortlich machen kann, eben
so wenig trägt der Wladyka eine Responsabitität. Was soll denn da ein Krieg
ausgleichen? -- Das ganze Conjecturalgewebe beruht blos ans der falschen Aus¬
legung von Reden, die im Hauptquartier des Seraskiers geführt wurden. Der Se¬
rastier gedenkt, sobald die Ruhe in Bosnien einigermaßen gesichert wird, einen Zug
nach Albanien zu unternehmen, um auch daselbst den Ilmswml einzuführen. Da
aber die Albanesen für sehr strenge und eifrige Moslemim gelten, und Omer-
Pascha als Besieger der gleichfalls guten Türken Bosniens im Rufe religiöser
Libertinage steht, mithin ein Feldzug gegen Albanien auch gegen deu wahren
Glauben gerichtet wäre, so schien es gerathen, den Plan geheim zu halten, und
zu sagen, daß mau die Dschauri in der Cruogora demüthigen müsse. Auf diese
Art kann man Zeit gewinne", die Armee a" die Grenze" von Albanien zu
bringen, und anstatt gegen die Cruogora, gegen die rechtgläubigen Albanesen zu
richten, welche Letztere kaum glauben, daß der Unglaube des Sultans und des
Seraskiers so weit gehen werde, daß er auch sie, gleich den Bohnischen Türken,
zu Dschaurcn erniedrigen wolle. Diese Ueberraschung ist ihnen aber zugedacht,
und wenn auch alle Welt meinen sollte, daß es ans die Cruogorecu abgesehen
sei. -

Zum Schlüsse noch eine Episode aus der jüngsten Reformperiode, welche
anch Sie interessiren dürfte.

Der Seraskier läßt zwischen den Städten Trawnik und Sarajewo eine
Straße bauen, und die Ortsbehörden cvmmaudirteu die gesammte Einwohnerschaft,
Türken und Christen, Letztere mit ihrem Bischöfe an der Spitze, zur Straßenarbeit.
Es erregte der Umstand, daß der Bischof anch Steine tragen mußte, ein um so
größeres Staunen, als sich Omer-Pascha bis dahin stets freundlich und respect¬
voll gegen den christlichen Klerus benommen hatte. ,,Ein Naja" berichtet dieses
Faktum mit bittern Glossen der "Südslawischen Zeitung", deren Redaction die
Mittheilung aufnahm, aber von Omer-Pascha Aufklärung darüber verlangte. Da
Dieser das Journal liest, erhielten nach kurzer Zeit sowol die "Südslawische",
als die Belgrader "serbische Zeitung" eine von zwei Türkischen Generalöstabs-
capitainen, Emin nud Murad, unterzeichnete gewandt gehaltene Erklärung, in welcher
zwar zugestanden wird, daß der Sarajcwer Bischof Steine tragen mußte, aber die
Sache dadurch ertart wird, daß dies eine im ganzen Westen eingebürgerte Sitte


Mächten. Die Sache ist aber völlig bedeutungslos; denn die Privatsehdcn
zwischen den Crnvgorccn und deu Türke» der benachbarten Provinzen sind seit
Jahrhunderten etwas ganz Gewöhnliches, und berechtige» durchaus nichr zu der
Annahme, daß es zu einem eigentlichen Kriege zwischen der Cruogora und der
Türkei kommen werde, da zwischen ihnen gar kein völkerrechtliches Verhältniß
besteht, mithin auch durch Privatstreitigkeiteu nicht verletzt werden kann. Diese
freilich sehr blutigen Kämpfe unternimmt mau beiderseits ans eigene Faust, und
so wenig man deshalb einen Türkischen Wezier verantwortlich machen kann, eben
so wenig trägt der Wladyka eine Responsabitität. Was soll denn da ein Krieg
ausgleichen? — Das ganze Conjecturalgewebe beruht blos ans der falschen Aus¬
legung von Reden, die im Hauptquartier des Seraskiers geführt wurden. Der Se¬
rastier gedenkt, sobald die Ruhe in Bosnien einigermaßen gesichert wird, einen Zug
nach Albanien zu unternehmen, um auch daselbst den Ilmswml einzuführen. Da
aber die Albanesen für sehr strenge und eifrige Moslemim gelten, und Omer-
Pascha als Besieger der gleichfalls guten Türken Bosniens im Rufe religiöser
Libertinage steht, mithin ein Feldzug gegen Albanien auch gegen deu wahren
Glauben gerichtet wäre, so schien es gerathen, den Plan geheim zu halten, und
zu sagen, daß mau die Dschauri in der Cruogora demüthigen müsse. Auf diese
Art kann man Zeit gewinne», die Armee a» die Grenze» von Albanien zu
bringen, und anstatt gegen die Cruogora, gegen die rechtgläubigen Albanesen zu
richten, welche Letztere kaum glauben, daß der Unglaube des Sultans und des
Seraskiers so weit gehen werde, daß er auch sie, gleich den Bohnischen Türken,
zu Dschaurcn erniedrigen wolle. Diese Ueberraschung ist ihnen aber zugedacht,
und wenn auch alle Welt meinen sollte, daß es ans die Cruogorecu abgesehen
sei. -

Zum Schlüsse noch eine Episode aus der jüngsten Reformperiode, welche
anch Sie interessiren dürfte.

Der Seraskier läßt zwischen den Städten Trawnik und Sarajewo eine
Straße bauen, und die Ortsbehörden cvmmaudirteu die gesammte Einwohnerschaft,
Türken und Christen, Letztere mit ihrem Bischöfe an der Spitze, zur Straßenarbeit.
Es erregte der Umstand, daß der Bischof anch Steine tragen mußte, ein um so
größeres Staunen, als sich Omer-Pascha bis dahin stets freundlich und respect¬
voll gegen den christlichen Klerus benommen hatte. ,,Ein Naja" berichtet dieses
Faktum mit bittern Glossen der „Südslawischen Zeitung", deren Redaction die
Mittheilung aufnahm, aber von Omer-Pascha Aufklärung darüber verlangte. Da
Dieser das Journal liest, erhielten nach kurzer Zeit sowol die „Südslawische",
als die Belgrader „serbische Zeitung" eine von zwei Türkischen Generalöstabs-
capitainen, Emin nud Murad, unterzeichnete gewandt gehaltene Erklärung, in welcher
zwar zugestanden wird, daß der Sarajcwer Bischof Steine tragen mußte, aber die
Sache dadurch ertart wird, daß dies eine im ganzen Westen eingebürgerte Sitte


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[0266] Mächten. Die Sache ist aber völlig bedeutungslos; denn die Privatsehdcn zwischen den Crnvgorccn und deu Türke» der benachbarten Provinzen sind seit Jahrhunderten etwas ganz Gewöhnliches, und berechtige» durchaus nichr zu der Annahme, daß es zu einem eigentlichen Kriege zwischen der Cruogora und der Türkei kommen werde, da zwischen ihnen gar kein völkerrechtliches Verhältniß besteht, mithin auch durch Privatstreitigkeiteu nicht verletzt werden kann. Diese freilich sehr blutigen Kämpfe unternimmt mau beiderseits ans eigene Faust, und so wenig man deshalb einen Türkischen Wezier verantwortlich machen kann, eben so wenig trägt der Wladyka eine Responsabitität. Was soll denn da ein Krieg ausgleichen? — Das ganze Conjecturalgewebe beruht blos ans der falschen Aus¬ legung von Reden, die im Hauptquartier des Seraskiers geführt wurden. Der Se¬ rastier gedenkt, sobald die Ruhe in Bosnien einigermaßen gesichert wird, einen Zug nach Albanien zu unternehmen, um auch daselbst den Ilmswml einzuführen. Da aber die Albanesen für sehr strenge und eifrige Moslemim gelten, und Omer- Pascha als Besieger der gleichfalls guten Türken Bosniens im Rufe religiöser Libertinage steht, mithin ein Feldzug gegen Albanien auch gegen deu wahren Glauben gerichtet wäre, so schien es gerathen, den Plan geheim zu halten, und zu sagen, daß mau die Dschauri in der Cruogora demüthigen müsse. Auf diese Art kann man Zeit gewinne», die Armee a» die Grenze» von Albanien zu bringen, und anstatt gegen die Cruogora, gegen die rechtgläubigen Albanesen zu richten, welche Letztere kaum glauben, daß der Unglaube des Sultans und des Seraskiers so weit gehen werde, daß er auch sie, gleich den Bohnischen Türken, zu Dschaurcn erniedrigen wolle. Diese Ueberraschung ist ihnen aber zugedacht, und wenn auch alle Welt meinen sollte, daß es ans die Cruogorecu abgesehen sei. - Zum Schlüsse noch eine Episode aus der jüngsten Reformperiode, welche anch Sie interessiren dürfte. Der Seraskier läßt zwischen den Städten Trawnik und Sarajewo eine Straße bauen, und die Ortsbehörden cvmmaudirteu die gesammte Einwohnerschaft, Türken und Christen, Letztere mit ihrem Bischöfe an der Spitze, zur Straßenarbeit. Es erregte der Umstand, daß der Bischof anch Steine tragen mußte, ein um so größeres Staunen, als sich Omer-Pascha bis dahin stets freundlich und respect¬ voll gegen den christlichen Klerus benommen hatte. ,,Ein Naja" berichtet dieses Faktum mit bittern Glossen der „Südslawischen Zeitung", deren Redaction die Mittheilung aufnahm, aber von Omer-Pascha Aufklärung darüber verlangte. Da Dieser das Journal liest, erhielten nach kurzer Zeit sowol die „Südslawische", als die Belgrader „serbische Zeitung" eine von zwei Türkischen Generalöstabs- capitainen, Emin nud Murad, unterzeichnete gewandt gehaltene Erklärung, in welcher zwar zugestanden wird, daß der Sarajcwer Bischof Steine tragen mußte, aber die Sache dadurch ertart wird, daß dies eine im ganzen Westen eingebürgerte Sitte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/266>, abgerufen am 30.06.2024.