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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Zeit zwanzig Auflagen. Es wurde auch in Deutschland bald bekannt, nament-
lich durch eine glänzende Ausführung, die 1822 ans dem Schloß zu Berlin in
Gegenwart des damaligen Großfürsten Nikolaus stattfand. Theils in lebenden
Bildern, theils in wirklich arrangirten Scenen wurden die einzelnen Episoden
des Gedichts im glänzendsten Orientalischen Costum dargestellt. -- Der Werth
des Gedichts ist eigentlich zweifelhaft. Die prosaische Erzählung von der Braut-
fahrt der Prinzessin Lalla Rook, welche nicht blos den Faden der Handlung
bildet, sondern auch die Selbstkritik des Verfassers enthält, ist eigentlich schwach,
und unterscheidet sich nicht wesentlich vou deu Wieland'scheu Erzählungen im ähn¬
lichen Genre. Die vier poetischen Erzählungen: der verhüllte Prophet von
Khorassan, das Paradies und die Perl, die Feueranbeter, und das Licht des
Harems, werden nur durch die gleichmäßige Färbung mit einander verknüpft;
einzeln genommen, sind sie alle viel schwächer, als Byron's Orientalische Gedichte.
Vou der Gluth der Sprache, welche diesen einen unendlichen Reiz verleiht, ist
keine Rede. Der Dichter hat sehr gründliche Studien gemacht, und daher haben
namentlich seine landschaftlichen Schilderungen eine große Naturfrische; aber die
Studien treten gar zu zudringlich hervor, nicht blos in deu Anmerkungen, sondern
im Gedicht selbst, wo durch eine unendliche Reihe barbarisch klingender Namen
die Aufmerksamkeit sowol auf das Thatsächliche, als auf die Melodie gestört
wird. Die dritte und vierte Episode ist ganz im Genre von Byron. Die erste,
welche neuerdings von dem Königsberger Kapellmeister Sobvlewski zu einer
Oper benutzt ist, hat in ihrem abenteuerlichen Problem etwas Gemachtes. Ein
Betrüger, der mit der vollständigsten Kälte des Herzens eine große Gluth der
Phantasie verbindet, und daher den Fanatismus beweglicher Gemüther soweit zu
"regen im Staude ist, daß sie ihrem Gefühl mehr trauen, als ihren Sinnen,
wäre an sich ein guter Vorwurf, aber daß die Bosheit dieses Charakters sich
anch in der Scheußlichkeit des Gesichtes darstellt, und daß der Prophet daher
genöthigt ist, um nicht durch den Eindruck seiner Erscheinung den Eindruck seiner
Lehre zu schwächen, beständig in einem Schleier zu gehen, ist ein unwahrer und
daher uicht ergreifender Zug, und das wird keineswegs dadurch gut gemacht, daß
er dem Buchstaben der wirklichen Sage entnommen ist". Trotz dem ist in diesen
Gedichten ein großes Verdienst. Die große sinnliche Energie, mit welcher die
Taschenspielereieu deö Zauberers und der Taumel, den dieselben in den Seelen
seiner Gläubigen erregen, dargestellt werden, ist zuweilen echt poetisch, freilich von
jener materialistischen Poesie, die wir im Princip verwerfen. -- Einen ganz
eigenthümlichen Charakter zeigt die zweite Erzählung: das Paradies und die
Perl. Es ist eine einfache Legende oder vielmehr Parabel, der Anlage nach ohne
alle sinnliche Realität und nur durch eingestreute, das Wesen der Sache uicht
berührende Schilderungen belebt. Aber ein wie großer Schal; von Melodie in
diesem Gedicht liegt, hat Robert Schumann sehr glücklich herausgefunden. Der


Zeit zwanzig Auflagen. Es wurde auch in Deutschland bald bekannt, nament-
lich durch eine glänzende Ausführung, die 1822 ans dem Schloß zu Berlin in
Gegenwart des damaligen Großfürsten Nikolaus stattfand. Theils in lebenden
Bildern, theils in wirklich arrangirten Scenen wurden die einzelnen Episoden
des Gedichts im glänzendsten Orientalischen Costum dargestellt. — Der Werth
des Gedichts ist eigentlich zweifelhaft. Die prosaische Erzählung von der Braut-
fahrt der Prinzessin Lalla Rook, welche nicht blos den Faden der Handlung
bildet, sondern auch die Selbstkritik des Verfassers enthält, ist eigentlich schwach,
und unterscheidet sich nicht wesentlich vou deu Wieland'scheu Erzählungen im ähn¬
lichen Genre. Die vier poetischen Erzählungen: der verhüllte Prophet von
Khorassan, das Paradies und die Perl, die Feueranbeter, und das Licht des
Harems, werden nur durch die gleichmäßige Färbung mit einander verknüpft;
einzeln genommen, sind sie alle viel schwächer, als Byron's Orientalische Gedichte.
Vou der Gluth der Sprache, welche diesen einen unendlichen Reiz verleiht, ist
keine Rede. Der Dichter hat sehr gründliche Studien gemacht, und daher haben
namentlich seine landschaftlichen Schilderungen eine große Naturfrische; aber die
Studien treten gar zu zudringlich hervor, nicht blos in deu Anmerkungen, sondern
im Gedicht selbst, wo durch eine unendliche Reihe barbarisch klingender Namen
die Aufmerksamkeit sowol auf das Thatsächliche, als auf die Melodie gestört
wird. Die dritte und vierte Episode ist ganz im Genre von Byron. Die erste,
welche neuerdings von dem Königsberger Kapellmeister Sobvlewski zu einer
Oper benutzt ist, hat in ihrem abenteuerlichen Problem etwas Gemachtes. Ein
Betrüger, der mit der vollständigsten Kälte des Herzens eine große Gluth der
Phantasie verbindet, und daher den Fanatismus beweglicher Gemüther soweit zu
«regen im Staude ist, daß sie ihrem Gefühl mehr trauen, als ihren Sinnen,
wäre an sich ein guter Vorwurf, aber daß die Bosheit dieses Charakters sich
anch in der Scheußlichkeit des Gesichtes darstellt, und daß der Prophet daher
genöthigt ist, um nicht durch den Eindruck seiner Erscheinung den Eindruck seiner
Lehre zu schwächen, beständig in einem Schleier zu gehen, ist ein unwahrer und
daher uicht ergreifender Zug, und das wird keineswegs dadurch gut gemacht, daß
er dem Buchstaben der wirklichen Sage entnommen ist». Trotz dem ist in diesen
Gedichten ein großes Verdienst. Die große sinnliche Energie, mit welcher die
Taschenspielereieu deö Zauberers und der Taumel, den dieselben in den Seelen
seiner Gläubigen erregen, dargestellt werden, ist zuweilen echt poetisch, freilich von
jener materialistischen Poesie, die wir im Princip verwerfen. — Einen ganz
eigenthümlichen Charakter zeigt die zweite Erzählung: das Paradies und die
Perl. Es ist eine einfache Legende oder vielmehr Parabel, der Anlage nach ohne
alle sinnliche Realität und nur durch eingestreute, das Wesen der Sache uicht
berührende Schilderungen belebt. Aber ein wie großer Schal; von Melodie in
diesem Gedicht liegt, hat Robert Schumann sehr glücklich herausgefunden. Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/261>, abgerufen am 04.07.2024.