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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Reflexion dadurch zu retten sucht, daß er es bis zum Wahnsinn überbietet. Aber
man fühlt es doch, daß diese Satyren von ihrem Gegensatz unzertrennlich sind,
daß mit dem positiven Interesse gegen das dargestellte Zeitalter auch das In¬
teresse an der Darstellung schwinden muß.

In seinen politischen Ansichten, die hänfig bei ihm einen großen Raum ein-
nehmen, neigt sich Bernard den Legitimisten zu, nicht weil er ihre Vorurtheile und
ihren Glauben theilt, sondern aus einer gewissen Paradoxie, um den liberalen De¬
klamationen ein Paroli zu biegen. Es ist überhaupt merkwürdig, wie die Aristokratie
bei der jungen Schule gewonnen hat. Die Geringschätzung der Bourgeosie, die gern
vornehm sein möchte, und von der vornehmen Welt doch nur die Lächerlichkeiten
adoptirt, die vou ihrer Menschenfreundlichkeit große Worte macht, und es doch nur
bis zum Almosen bringt, hat die Actien des Adels wieder bedeutend zum Steigen
gebracht. Bei dem Adel ist doch eine gewisse Realität vorhanden; er hat seine
Ahnen, die Erinnerung an die ehemalige Macht, das Gefühl, alleu Fürsten ebenbür¬
tig zu sein, feine gesellschaftliche Manieren, die dnrch die Sicherheit der gesellschaft¬
lichen Stellung bedingt werden, und dabei breitet sich über ihn ein gewisser roman¬
tischer Schimmer, da seine Sache doch im Ganzen eine verlorene ist. So schwärmt
Dumas für den militärischen, Balzac für den socialen Adel, aber anch bei ernstem
Schriftstellern, z. B. bei Georges Sand, erscheint die Aristokratie immer noch
in besserm Lichte, als der aus materielle Interessen angewiesene Bürgerstand; und
so ist auch in den neuern belletristischen Erscheinungen, welche die Revolution
hervorgerufen hat, z. B. in dem von uns bereits besprochenen Roman von Jules
Sandean: Geldsäcke und Stammbäume s8aos se pareriemins) die legitimistische
Partei immer diejenige, welche noch am Besten wegkommt.

Bei der Abneigung gegen allen Idealismus und gegen allen Pathos ist
es begreiflich, daß Bernard ein entschiedener Gegner der romantischen Schule
ist. Wo sich irgend eine Gelegenheit darbietet, wird der Schwulst und die Un¬
klarheit dieser Poesie des Kontrastes verspottet: der Verstand triumphirt bei ihm
überall über die Nomanhaftigkeit der Empfindung. Dabei hat er sich aber doch
nicht ganz von den romantischen Schaudergeschichten fern gehalten. Eine seiner
größern Novellen z. B. verm-pers, enthält eine haarsträubende Criminal-
geschichte, die noch weit über Souliv und Balzac hinausgeht, aber freilich viel
seiner nud schärfer gezeichnet, wie ihm überhaupt an Sicherheit in der Charakte¬
ristik kaum ein anderer der neuern Französischen Poeten gleichkommen möchte;
er hat daher auch in England, wo man gerade diese Eigenschaft-sehr wohl zu
würdigen weiß, großen Anklang gesunden.

Am Vortrefflichsten sind die kleinen Erzählungen. Ich führe hier einige an:
^<Z8 int<Z8 ü'Ioare; I^g, emquantairi<z, I-,a peau euz lion, Mratormerrs
(ein Beispiel jener wahrhaft verwirrenden Frechheit in den sittlichen Voraus¬
setzungen) ; l.e xenÄrk; I.'innoL<zr>os ä'un lor^l. Ich habe noch mehrere gelesen, an


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Reflexion dadurch zu retten sucht, daß er es bis zum Wahnsinn überbietet. Aber
man fühlt es doch, daß diese Satyren von ihrem Gegensatz unzertrennlich sind,
daß mit dem positiven Interesse gegen das dargestellte Zeitalter auch das In¬
teresse an der Darstellung schwinden muß.

In seinen politischen Ansichten, die hänfig bei ihm einen großen Raum ein-
nehmen, neigt sich Bernard den Legitimisten zu, nicht weil er ihre Vorurtheile und
ihren Glauben theilt, sondern aus einer gewissen Paradoxie, um den liberalen De¬
klamationen ein Paroli zu biegen. Es ist überhaupt merkwürdig, wie die Aristokratie
bei der jungen Schule gewonnen hat. Die Geringschätzung der Bourgeosie, die gern
vornehm sein möchte, und von der vornehmen Welt doch nur die Lächerlichkeiten
adoptirt, die vou ihrer Menschenfreundlichkeit große Worte macht, und es doch nur
bis zum Almosen bringt, hat die Actien des Adels wieder bedeutend zum Steigen
gebracht. Bei dem Adel ist doch eine gewisse Realität vorhanden; er hat seine
Ahnen, die Erinnerung an die ehemalige Macht, das Gefühl, alleu Fürsten ebenbür¬
tig zu sein, feine gesellschaftliche Manieren, die dnrch die Sicherheit der gesellschaft¬
lichen Stellung bedingt werden, und dabei breitet sich über ihn ein gewisser roman¬
tischer Schimmer, da seine Sache doch im Ganzen eine verlorene ist. So schwärmt
Dumas für den militärischen, Balzac für den socialen Adel, aber anch bei ernstem
Schriftstellern, z. B. bei Georges Sand, erscheint die Aristokratie immer noch
in besserm Lichte, als der aus materielle Interessen angewiesene Bürgerstand; und
so ist auch in den neuern belletristischen Erscheinungen, welche die Revolution
hervorgerufen hat, z. B. in dem von uns bereits besprochenen Roman von Jules
Sandean: Geldsäcke und Stammbäume s8aos se pareriemins) die legitimistische
Partei immer diejenige, welche noch am Besten wegkommt.

Bei der Abneigung gegen allen Idealismus und gegen allen Pathos ist
es begreiflich, daß Bernard ein entschiedener Gegner der romantischen Schule
ist. Wo sich irgend eine Gelegenheit darbietet, wird der Schwulst und die Un¬
klarheit dieser Poesie des Kontrastes verspottet: der Verstand triumphirt bei ihm
überall über die Nomanhaftigkeit der Empfindung. Dabei hat er sich aber doch
nicht ganz von den romantischen Schaudergeschichten fern gehalten. Eine seiner
größern Novellen z. B. verm-pers, enthält eine haarsträubende Criminal-
geschichte, die noch weit über Souliv und Balzac hinausgeht, aber freilich viel
seiner nud schärfer gezeichnet, wie ihm überhaupt an Sicherheit in der Charakte¬
ristik kaum ein anderer der neuern Französischen Poeten gleichkommen möchte;
er hat daher auch in England, wo man gerade diese Eigenschaft-sehr wohl zu
würdigen weiß, großen Anklang gesunden.

Am Vortrefflichsten sind die kleinen Erzählungen. Ich führe hier einige an:
^<Z8 int<Z8 ü'Ioare; I^g, emquantairi<z, I-,a peau euz lion, Mratormerrs
(ein Beispiel jener wahrhaft verwirrenden Frechheit in den sittlichen Voraus¬
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[0227] Reflexion dadurch zu retten sucht, daß er es bis zum Wahnsinn überbietet. Aber man fühlt es doch, daß diese Satyren von ihrem Gegensatz unzertrennlich sind, daß mit dem positiven Interesse gegen das dargestellte Zeitalter auch das In¬ teresse an der Darstellung schwinden muß. In seinen politischen Ansichten, die hänfig bei ihm einen großen Raum ein- nehmen, neigt sich Bernard den Legitimisten zu, nicht weil er ihre Vorurtheile und ihren Glauben theilt, sondern aus einer gewissen Paradoxie, um den liberalen De¬ klamationen ein Paroli zu biegen. Es ist überhaupt merkwürdig, wie die Aristokratie bei der jungen Schule gewonnen hat. Die Geringschätzung der Bourgeosie, die gern vornehm sein möchte, und von der vornehmen Welt doch nur die Lächerlichkeiten adoptirt, die vou ihrer Menschenfreundlichkeit große Worte macht, und es doch nur bis zum Almosen bringt, hat die Actien des Adels wieder bedeutend zum Steigen gebracht. Bei dem Adel ist doch eine gewisse Realität vorhanden; er hat seine Ahnen, die Erinnerung an die ehemalige Macht, das Gefühl, alleu Fürsten ebenbür¬ tig zu sein, feine gesellschaftliche Manieren, die dnrch die Sicherheit der gesellschaft¬ lichen Stellung bedingt werden, und dabei breitet sich über ihn ein gewisser roman¬ tischer Schimmer, da seine Sache doch im Ganzen eine verlorene ist. So schwärmt Dumas für den militärischen, Balzac für den socialen Adel, aber anch bei ernstem Schriftstellern, z. B. bei Georges Sand, erscheint die Aristokratie immer noch in besserm Lichte, als der aus materielle Interessen angewiesene Bürgerstand; und so ist auch in den neuern belletristischen Erscheinungen, welche die Revolution hervorgerufen hat, z. B. in dem von uns bereits besprochenen Roman von Jules Sandean: Geldsäcke und Stammbäume s8aos se pareriemins) die legitimistische Partei immer diejenige, welche noch am Besten wegkommt. Bei der Abneigung gegen allen Idealismus und gegen allen Pathos ist es begreiflich, daß Bernard ein entschiedener Gegner der romantischen Schule ist. Wo sich irgend eine Gelegenheit darbietet, wird der Schwulst und die Un¬ klarheit dieser Poesie des Kontrastes verspottet: der Verstand triumphirt bei ihm überall über die Nomanhaftigkeit der Empfindung. Dabei hat er sich aber doch nicht ganz von den romantischen Schaudergeschichten fern gehalten. Eine seiner größern Novellen z. B. verm-pers, enthält eine haarsträubende Criminal- geschichte, die noch weit über Souliv und Balzac hinausgeht, aber freilich viel seiner nud schärfer gezeichnet, wie ihm überhaupt an Sicherheit in der Charakte¬ ristik kaum ein anderer der neuern Französischen Poeten gleichkommen möchte; er hat daher auch in England, wo man gerade diese Eigenschaft-sehr wohl zu würdigen weiß, großen Anklang gesunden. Am Vortrefflichsten sind die kleinen Erzählungen. Ich führe hier einige an: ^<Z8 int<Z8 ü'Ioare; I^g, emquantairi<z, I-,a peau euz lion, Mratormerrs (ein Beispiel jener wahrhaft verwirrenden Frechheit in den sittlichen Voraus¬ setzungen) ; l.e xenÄrk; I.'innoL<zr>os ä'un lor^l. Ich habe noch mehrere gelesen, an 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/227>, abgerufen am 02.07.2024.