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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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vorbringt. Obgleich Bernard in seiner Form nie sentimental ist, im Gegentheil
in seiner Leichtfertigkeit zuweilen so weit geht, daß es uns Deutsche erschreck, so
merkt man doch hinter dieser objectiven Heiterkeit eine subjective Verstimmung,
welche die Färbung des Ganzen wesentlich ändert.

Schon in frühem Zeiten ist der Gegensatz dieser beiden Richtungen in
Frankreich hervorgetreten. Der nationalste aller Dichter, Mvliöre, ging von einer
getreuen Nachahmung der Natur aus. Er zeichnete seine Charaktere im Großen
und Ganze", nach lebendigen Modellen, nicht nach der Vermittelung von Büchern
und Grundrissen, Menschen, die nicht einer bestimmten culturhistorischen Richtung an¬
gehörten, zu deren Verständniß daher gewisse Voraussetzungen nöthig waren, son¬
dern Typen, wie sie sich überall vorfinden, weil sie das allgemein Menschliche aus-
drücken. Den Terenz können wir noch heut zu Tage lesen; ich möchte aber wissen,
ob man in unsern jungdeutschen Lustspielen über dreißig Jahre auch nur eine
Zeile verstehen wird. -- Diese Naivetät der komischen Poesie hat nicht lange
gedauert; bald strebte man nach jenen kleinen raffinirten, nur dem bewaffneten
Auge wahrnehmbaren Zügen, jenen eleganten und mamerirten Formen, welche
den gebildeten Geist beschäftigen, blenden, aber anch ermüden. Man warf sich
auf die Beobachtung jener sonderbaren Wesen, die nur uuter Bedingungen mög¬
lich sind, welche schon den folgenden Tag verschwinden, und für die daher die
kommenden Jahrhunderte kein Auge mehr haben. Dem gemäß schränkte die dich¬
terische Eitelkeit die Scene ein, man gab sich nur mit distinguirten Personen ab,
und der Reiz derselben bezog sich theils auf literarische Reminiscenzen, theils ge¬
radezu auf das Costum. Es war eine neue Art von Kothurn, die man ins Lust¬
spiel wie in die Novelle einführte. Wie in der guten Gesellschaft Alles blässer,
farbloser, verwaschener ist, so subtilisirte sich auch die Komik. Die Empfindungen,
die Witze, die Eigenthümlichkeiten wurden so sein und so ans dem menschlichen
Zusammenhang herausgerissen, daß man sie kaum mehr bemerkte, und diese zier¬
lichen, kalten Nococobilder ersetzten das große Gemälde der Nation. Die Sprache
verlor sich in einen studirten Jargon, der Geschmack in kleine Dinge, in conven-
tionelle Schönheiten, die menschliche Natur in gesellschaftliche Beziehungen. Der
Marquis verdrängte den Bourgeois, weil die dichterische Ohnmacht sich nur noch
an solchen Erscheinungen begeisterte, welche der Einbildung allein angehörten.
Diese physiognomielosen Personen, in ihrer Gestalt mit dem Erbfehler ihres Ur¬
sprungs befleckt, hinterließen dem Gedächtniß keinen Eindruck, und wirkten daher
nicht befruchtend auf den öffentlichen Geist, denn der Luxus, aus dem sie entsprun¬
gen waren, hatte mit dem Herzen Nichts zu thun. Diese reflectirten Schöpfun¬
gen einer überfeinerten Bildung glichen den blassen welken Kindern, auf deren
ermüdeten interessantem Gesicht sich das bleiche Abbild eines verweichlichten, in
frühen Lüsten erschöpften Vaters ausprägt.

Bernard hat ein tiefes Gefühl für die Natur. Er geht von dem eifrigen


Grenzl'öde", M. -1831. 28

vorbringt. Obgleich Bernard in seiner Form nie sentimental ist, im Gegentheil
in seiner Leichtfertigkeit zuweilen so weit geht, daß es uns Deutsche erschreck, so
merkt man doch hinter dieser objectiven Heiterkeit eine subjective Verstimmung,
welche die Färbung des Ganzen wesentlich ändert.

Schon in frühem Zeiten ist der Gegensatz dieser beiden Richtungen in
Frankreich hervorgetreten. Der nationalste aller Dichter, Mvliöre, ging von einer
getreuen Nachahmung der Natur aus. Er zeichnete seine Charaktere im Großen
und Ganze», nach lebendigen Modellen, nicht nach der Vermittelung von Büchern
und Grundrissen, Menschen, die nicht einer bestimmten culturhistorischen Richtung an¬
gehörten, zu deren Verständniß daher gewisse Voraussetzungen nöthig waren, son¬
dern Typen, wie sie sich überall vorfinden, weil sie das allgemein Menschliche aus-
drücken. Den Terenz können wir noch heut zu Tage lesen; ich möchte aber wissen,
ob man in unsern jungdeutschen Lustspielen über dreißig Jahre auch nur eine
Zeile verstehen wird. — Diese Naivetät der komischen Poesie hat nicht lange
gedauert; bald strebte man nach jenen kleinen raffinirten, nur dem bewaffneten
Auge wahrnehmbaren Zügen, jenen eleganten und mamerirten Formen, welche
den gebildeten Geist beschäftigen, blenden, aber anch ermüden. Man warf sich
auf die Beobachtung jener sonderbaren Wesen, die nur uuter Bedingungen mög¬
lich sind, welche schon den folgenden Tag verschwinden, und für die daher die
kommenden Jahrhunderte kein Auge mehr haben. Dem gemäß schränkte die dich¬
terische Eitelkeit die Scene ein, man gab sich nur mit distinguirten Personen ab,
und der Reiz derselben bezog sich theils auf literarische Reminiscenzen, theils ge¬
radezu auf das Costum. Es war eine neue Art von Kothurn, die man ins Lust¬
spiel wie in die Novelle einführte. Wie in der guten Gesellschaft Alles blässer,
farbloser, verwaschener ist, so subtilisirte sich auch die Komik. Die Empfindungen,
die Witze, die Eigenthümlichkeiten wurden so sein und so ans dem menschlichen
Zusammenhang herausgerissen, daß man sie kaum mehr bemerkte, und diese zier¬
lichen, kalten Nococobilder ersetzten das große Gemälde der Nation. Die Sprache
verlor sich in einen studirten Jargon, der Geschmack in kleine Dinge, in conven-
tionelle Schönheiten, die menschliche Natur in gesellschaftliche Beziehungen. Der
Marquis verdrängte den Bourgeois, weil die dichterische Ohnmacht sich nur noch
an solchen Erscheinungen begeisterte, welche der Einbildung allein angehörten.
Diese physiognomielosen Personen, in ihrer Gestalt mit dem Erbfehler ihres Ur¬
sprungs befleckt, hinterließen dem Gedächtniß keinen Eindruck, und wirkten daher
nicht befruchtend auf den öffentlichen Geist, denn der Luxus, aus dem sie entsprun¬
gen waren, hatte mit dem Herzen Nichts zu thun. Diese reflectirten Schöpfun¬
gen einer überfeinerten Bildung glichen den blassen welken Kindern, auf deren
ermüdeten interessantem Gesicht sich das bleiche Abbild eines verweichlichten, in
frühen Lüsten erschöpften Vaters ausprägt.

Bernard hat ein tiefes Gefühl für die Natur. Er geht von dem eifrigen


Grenzl'öde», M. -1831. 28
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/225>, abgerufen am 30.06.2024.