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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Übungen (jedoch nicht Religionsunterricht). In den Staatsanstalten gehört mich
die Russische Sprache dazu, die Polnische Geschichtskunde ist ausgeschlossen.

Sich mit dem Unterrichtswesen zu besassen, ist Jedem frei gestellt, und wird
keine Rücksicht darauf genommen, ob er dafür gebildet worden sei, und was er
früher getrieben habe; nnr muß er eine Prüfung bei der Schulcommission, welche
aus mehrern Professoren des Lyceums unter dem Vorsitze des Procurators zu¬
sammengesetzt ist, bestehen. Mit dieser Prüfung hat es aber nicht viel ans sich,
und ein Mensch, der den Cursus einer Deutschen Bürgerschule durchgemacht, be¬
steht sie mit leichter Mühe. Auch selbst das kleine Stückchen Elementarschulwesen
Polens, das nämlich in Warschau, hat die Negierung mit ihren politischen Plänen
in Verbindung zu bringen gesucht. Seit langer Zeit hat sie es sich angelegen
sein lasse", ausgediente Spione in die Lehrcrstellen zu setzen, und es ist das die
Ursache, daß die Staatsanstalten äußerst schwach frequentirt werden, und so unge¬
heuer viele Privatschulen entstanden sind. Denn Warschau zählt über siebzig Ele¬
mentarschulen, wovon 11 Deutsche sind, und nnr 16 dem Staate angehören.
Ein Mann, der sich dem Procurator als ein Russisch gesinnter Mann beweist,
kann mit Gewißheit darauf rechnen, daß er seine Anstellung als Schullehrer
findet, und hat oftmals nicht einmal das Examen zu fürchten, denn will es der
Procurator, so überhebt er ihn desselben. Man erzählte sich in Warschau vor
etlichen Jahren folgende Geschichte. Ein gewisser W. hatte seine Schreibcrstelle
in einer Consnlatskanzlei wegen Unfähigkeit sowol, als wegen Unehrlichkeit ver¬
loren. Von der Noth gedrängt, beschließt er, um eine Schullehrerstelle sich zu
bemühen. Er geht zum Procurator des Schulwesens, bringt seine Bitte vor, und
glaubt sich, wahrscheinlich aus wohlbegründeter Besorgnis) , von der Fähigkeits¬
prüfung dadurch zu befreien, daß er ein altes Zeitungsblatt vorlegt, ans welchem
er als Redacteur bezeichnet ist, oder wenigstens der Name des Redacteurs mit
dem seinigen übereinstimmt. Allein trotz diesem Respect einflößenden Beweise
von hohen Wissenschaften erscheint dem General das Individuum äußerlich zu re-
ducirt; genug, der arme Mensch wird ohne viele Complimente abgewiesen. In
der höchsten Noth wird er erfinderisch. Er weiß, welches die schwache Seite der
Russen in Polen ist, und von Natur dummdreist, beschließt er den Procurator
daran zu fassen. Er begiebt sich also nochmals zu Demselben, und hält vor ihm
eine klägliche, jedoch höchst pathetische Deutsche Rede, in der er die Russischen
Worte o, I^K box mi iMu^ (o wie Gott mir lieb ist) alle Augenblicke wieder¬
kehren läßt. Dieser Russische Ausruf in der Deutschen Rede wirkte beim Pro¬
curator Wunder; er wendete sich beim Schluß jener Elegie freudigst zufrieden
gegen den kleinen buckligen Professor T., der eben anwesend war, mit der Aeuße¬
rung hin: "Ein sehr beachtenswerther Mann", und noch an demselben Tage erhielt
W. das Fähigkeitszengniß.

Derartige Anekdoten sind nicht immer zu verbürgen und oftmals Erfindungen


Übungen (jedoch nicht Religionsunterricht). In den Staatsanstalten gehört mich
die Russische Sprache dazu, die Polnische Geschichtskunde ist ausgeschlossen.

Sich mit dem Unterrichtswesen zu besassen, ist Jedem frei gestellt, und wird
keine Rücksicht darauf genommen, ob er dafür gebildet worden sei, und was er
früher getrieben habe; nnr muß er eine Prüfung bei der Schulcommission, welche
aus mehrern Professoren des Lyceums unter dem Vorsitze des Procurators zu¬
sammengesetzt ist, bestehen. Mit dieser Prüfung hat es aber nicht viel ans sich,
und ein Mensch, der den Cursus einer Deutschen Bürgerschule durchgemacht, be¬
steht sie mit leichter Mühe. Auch selbst das kleine Stückchen Elementarschulwesen
Polens, das nämlich in Warschau, hat die Negierung mit ihren politischen Plänen
in Verbindung zu bringen gesucht. Seit langer Zeit hat sie es sich angelegen
sein lasse», ausgediente Spione in die Lehrcrstellen zu setzen, und es ist das die
Ursache, daß die Staatsanstalten äußerst schwach frequentirt werden, und so unge¬
heuer viele Privatschulen entstanden sind. Denn Warschau zählt über siebzig Ele¬
mentarschulen, wovon 11 Deutsche sind, und nnr 16 dem Staate angehören.
Ein Mann, der sich dem Procurator als ein Russisch gesinnter Mann beweist,
kann mit Gewißheit darauf rechnen, daß er seine Anstellung als Schullehrer
findet, und hat oftmals nicht einmal das Examen zu fürchten, denn will es der
Procurator, so überhebt er ihn desselben. Man erzählte sich in Warschau vor
etlichen Jahren folgende Geschichte. Ein gewisser W. hatte seine Schreibcrstelle
in einer Consnlatskanzlei wegen Unfähigkeit sowol, als wegen Unehrlichkeit ver¬
loren. Von der Noth gedrängt, beschließt er, um eine Schullehrerstelle sich zu
bemühen. Er geht zum Procurator des Schulwesens, bringt seine Bitte vor, und
glaubt sich, wahrscheinlich aus wohlbegründeter Besorgnis) , von der Fähigkeits¬
prüfung dadurch zu befreien, daß er ein altes Zeitungsblatt vorlegt, ans welchem
er als Redacteur bezeichnet ist, oder wenigstens der Name des Redacteurs mit
dem seinigen übereinstimmt. Allein trotz diesem Respect einflößenden Beweise
von hohen Wissenschaften erscheint dem General das Individuum äußerlich zu re-
ducirt; genug, der arme Mensch wird ohne viele Complimente abgewiesen. In
der höchsten Noth wird er erfinderisch. Er weiß, welches die schwache Seite der
Russen in Polen ist, und von Natur dummdreist, beschließt er den Procurator
daran zu fassen. Er begiebt sich also nochmals zu Demselben, und hält vor ihm
eine klägliche, jedoch höchst pathetische Deutsche Rede, in der er die Russischen
Worte o, I^K box mi iMu^ (o wie Gott mir lieb ist) alle Augenblicke wieder¬
kehren läßt. Dieser Russische Ausruf in der Deutschen Rede wirkte beim Pro¬
curator Wunder; er wendete sich beim Schluß jener Elegie freudigst zufrieden
gegen den kleinen buckligen Professor T., der eben anwesend war, mit der Aeuße¬
rung hin: „Ein sehr beachtenswerther Mann", und noch an demselben Tage erhielt
W. das Fähigkeitszengniß.

Derartige Anekdoten sind nicht immer zu verbürgen und oftmals Erfindungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/205>, abgerufen am 02.07.2024.