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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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möglich macht, wie die Commission selber zugeben muß. Es ist wahr, diese
Schranke ist das Gesetz, die Constitution selber; wenn dem aber so ist, dann
hätte die Commission eben wieder die reine Aufrechterhaltung der Constitution
verlangen müssen, und zwar einstimmig, indem diese Einstimmigkeit einen solchen
moralischen Einfluß auf das Land ausgeübt hätte, daß jeder Staatsstreich von
oben, so wie jede Konspiration von unten, ihr Termin verloren hätte. Von den
realistischen Bruchtheilen wäre das kein großes Opfer gewesen, weil sie ja eben
im Berichte selbst zugestehen, daß sie sür die nächste Zeit jede Hoffnung auf
Durchsetzung ihrer Pläne ausgeben müssen. Eine solche Handlungsweise wäre
der Versammlung würdiger gewesen, als zu sagen, wir wollen eine Unmöglichkeit,
und erst, wenn wir diese nicht erreicht haben werden, wollen wir uns in Resignation
und Geduld in die Möglichkeit fügen. Und diese Möglichkeit ist das Gesetz!
Man schwächt also von vorn herein die schützende Kraft des alleinigen Hafens,
in dem man doch eingestandener Weise die letzte Zuflucht zu finden hofft. Wie
soll mau erst die Inconsequenz bezeichnen, mit der sich der Bericht auf die öffent¬
liche Meinung beruft in einem Augenblicke, wo eine Unterabtheilung derselben
Commission diesen Ausdruck der öffentlichen Meinung als einen verfälschten, durch
den Einfluß der mächtigen interesstrten Regierung verfälschten bezeichnet. Von
einer Million Unterschriften ist etwa der dritte Theil vielleicht mehr als ungiltig
zu betrachten, und wie würde sich erst das Verhältniß gestalten, wenn man in
Erwägung zieht, daß unter den Unterzeichnern viele vom Wahlrechte als unwürdig
oder unfähig Ausgeschlossene sich befinden? Leute, die nicht die Fähigkeit, das
Recht haben, auf ihre Commuualaugelegenheiten Einfluß zu üben, sollen nun auf
einmal das Recht gewinnen, durch ihren Rath die Verfassung, das Grundgesetz des
Staates, umzuändern! Der Bericht wimmelt von solchen Widersprüchen, obgleich
er unläugbar mit großem Talente und mit anerkennenswerther Ruhe und Sach¬
lichkeit geschrieben ist. Herr von Tocqueville vertheidigt die Revision vorzüglich,
weil zu den Massen des directen Stimmrechts nicht leicht ein Name dringt, und
daß daher sonst nur Louis Napoleon's Wiedererwählung oder die Wahl eines
jener Revolutionairs möglich wäre, die durch ihre Vorspiegelungen dem Volke sich
zugänglich zu machen wissen. Wenn dies wirklich der Fall ist und eine so aus¬
gemachte Sache, wie die Commission glaubt, dann hätte die Majorität wenigstens
so viel Resignation besitzen sollen, und die Sache des Präsidenten zu der ihrigen
machen und mit Hilfe der Regierung die wenn gleich uncvustitutiouelle, so doch
-- uach ihrer Ansicht von der Nothwendigkeit gebotene -- Durchsicht der Ver¬
fassung ü, tout prix verlangen müssen. Wenn die öffentliche Meinung, auf die
man sich beruft, wirklich sür die Revision ist, dann wäre diese auszuführen, und
die Erschütterung, welche daraus erfolgte, noch immer jenem zufälligen unvorher¬
gesehenen Zusammenstoße vorzuziehen gewesen, dem die Commission durch ihre"
Beschluß eine weite Thür offen ließ. Die Legislative aber hat nur den Muth


möglich macht, wie die Commission selber zugeben muß. Es ist wahr, diese
Schranke ist das Gesetz, die Constitution selber; wenn dem aber so ist, dann
hätte die Commission eben wieder die reine Aufrechterhaltung der Constitution
verlangen müssen, und zwar einstimmig, indem diese Einstimmigkeit einen solchen
moralischen Einfluß auf das Land ausgeübt hätte, daß jeder Staatsstreich von
oben, so wie jede Konspiration von unten, ihr Termin verloren hätte. Von den
realistischen Bruchtheilen wäre das kein großes Opfer gewesen, weil sie ja eben
im Berichte selbst zugestehen, daß sie sür die nächste Zeit jede Hoffnung auf
Durchsetzung ihrer Pläne ausgeben müssen. Eine solche Handlungsweise wäre
der Versammlung würdiger gewesen, als zu sagen, wir wollen eine Unmöglichkeit,
und erst, wenn wir diese nicht erreicht haben werden, wollen wir uns in Resignation
und Geduld in die Möglichkeit fügen. Und diese Möglichkeit ist das Gesetz!
Man schwächt also von vorn herein die schützende Kraft des alleinigen Hafens,
in dem man doch eingestandener Weise die letzte Zuflucht zu finden hofft. Wie
soll mau erst die Inconsequenz bezeichnen, mit der sich der Bericht auf die öffent¬
liche Meinung beruft in einem Augenblicke, wo eine Unterabtheilung derselben
Commission diesen Ausdruck der öffentlichen Meinung als einen verfälschten, durch
den Einfluß der mächtigen interesstrten Regierung verfälschten bezeichnet. Von
einer Million Unterschriften ist etwa der dritte Theil vielleicht mehr als ungiltig
zu betrachten, und wie würde sich erst das Verhältniß gestalten, wenn man in
Erwägung zieht, daß unter den Unterzeichnern viele vom Wahlrechte als unwürdig
oder unfähig Ausgeschlossene sich befinden? Leute, die nicht die Fähigkeit, das
Recht haben, auf ihre Commuualaugelegenheiten Einfluß zu üben, sollen nun auf
einmal das Recht gewinnen, durch ihren Rath die Verfassung, das Grundgesetz des
Staates, umzuändern! Der Bericht wimmelt von solchen Widersprüchen, obgleich
er unläugbar mit großem Talente und mit anerkennenswerther Ruhe und Sach¬
lichkeit geschrieben ist. Herr von Tocqueville vertheidigt die Revision vorzüglich,
weil zu den Massen des directen Stimmrechts nicht leicht ein Name dringt, und
daß daher sonst nur Louis Napoleon's Wiedererwählung oder die Wahl eines
jener Revolutionairs möglich wäre, die durch ihre Vorspiegelungen dem Volke sich
zugänglich zu machen wissen. Wenn dies wirklich der Fall ist und eine so aus¬
gemachte Sache, wie die Commission glaubt, dann hätte die Majorität wenigstens
so viel Resignation besitzen sollen, und die Sache des Präsidenten zu der ihrigen
machen und mit Hilfe der Regierung die wenn gleich uncvustitutiouelle, so doch
— uach ihrer Ansicht von der Nothwendigkeit gebotene — Durchsicht der Ver¬
fassung ü, tout prix verlangen müssen. Wenn die öffentliche Meinung, auf die
man sich beruft, wirklich sür die Revision ist, dann wäre diese auszuführen, und
die Erschütterung, welche daraus erfolgte, noch immer jenem zufälligen unvorher¬
gesehenen Zusammenstoße vorzuziehen gewesen, dem die Commission durch ihre»
Beschluß eine weite Thür offen ließ. Die Legislative aber hat nur den Muth


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/144>, abgerufen am 03.07.2024.