Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

werden zu müssen. Jedenfalls steht die Ansprache Louis Napoleon's mit dem
entmuthigenden Berichte der Dnrchsichtscommission und Mit jenem des Petitions-
ausschusses in größeren Einklange. Der Bericht des Herrn von Tocaueville be¬
stätigt, was ich Ihnen vor einigen Wochen gesagt: die Bruchtheile der Ordnungs-
partei können sich nur auf negativem Boden verständigen, und über diesen hinaus
müssen sie den Republikanern, die das Gesetz vertreten, wenn gleich schweren
Herzens, die Hand reichen.

Dieses welthistorische Actenstück beweist aber zugleich die Thorheit, die vielen
Verlegenheiten unsrer gegenwärtigen Situation der Constitution allein in die
Schuhe zu schiebe". Herr von Tocqueville, dem man tiefes, staatsmännisches
Eingehen in das Wesen der Frage, das Streben nach nnparieiischer Beurtheilung
unsrer verwickelten Verhältnisse nicht absprechen kann, hat doch die Vorwürfe,
die seine Freunde und seine noch weiter rechts sitzcndendcn Kollegen der Ver¬
fassung machten, uicht begründen können. Er hat noch weniger die Ansicht seiner
Gegner widerlegen tonnen, daß die Schwierigkeiten des Moments mehr in der
Parteispaltuug, in dem Egoismus der durch die Republik verlassenen Staats¬
männer ihren Grund haben, als in den Mängeln der Verfassung. In der That,
was wirft er der Constiintiou vor? Zunächst die Aufregung, welche die zusam-
menfallenden Wahlen des Präsidenten und der Kammern im Lande hervorrufen
müssen. Nun ist aber erwiesen, daß dieser allerdings Erwägung verdienende
Uebelstand wieder nnr Schuld der monarchischen Parteien Frankreichs sei, da sie
es gewesen, welche das Auseinandergehen der Constituante im Jahre 1849 über
Hals und Kopf durchsetzten. Gegründeter ist der Vorwurf, daß der Präsident,
durch das allgemeine directe Stimmrecht ernannt, der Nationalversammlung gegen-
über eine so unabhängige Stellung einnimmt, als ihm die Verfassung unmöglich
anweisen wollen konnte. Ist es aber uicht unvernünftig, diesem Uebelstande da¬
durch abhelfen zu wollen, daß man die Revision in einem Augenblicke vorschlägt,
wo diese geradezu aus Wiedererwählung des gegenwärtigen Präsidenten abzielt,
das heißt die egoistischen persönlichen Absichten des Kaisersneffen rechtfertigen oder
doch entschuldigen, also das Ansehen der Nationalversammlung noch mehr schwä¬
chen würde. Wäre es nicht besser und würdiger gewesen, der Constitution das
Wort zu reden, und erst, wenn sie dnrch eine Neuwahl die gehörige Kraft als
über jede Revolution erhabenes Grundgesetz erhalten hätte, an Verbesserung ihrer
zahlreichen Mängel zu denken? Der Berichterstatter entschuldigt sich damit, daß
die Majorität der gegenwärtigen Kammer die Republik nicht wolle, aber Etwas
"volle, was sie nicht durchsetzen könne und darum doch die Republik wollen
müsse. Beweist das uicht die Nothwendigkeit der Republik, und hätte in diesem
Falle der ganze Bericht nicht um diesen Punkt sich drehen müssen? Was heißt
es dann weiter, wenn die Commission zu dem Schlüsse kommt, die Revision zu
verlangen, aber sie nnr unter einer Beschränkung zu verlangen, welche sie um-


werden zu müssen. Jedenfalls steht die Ansprache Louis Napoleon's mit dem
entmuthigenden Berichte der Dnrchsichtscommission und Mit jenem des Petitions-
ausschusses in größeren Einklange. Der Bericht des Herrn von Tocaueville be¬
stätigt, was ich Ihnen vor einigen Wochen gesagt: die Bruchtheile der Ordnungs-
partei können sich nur auf negativem Boden verständigen, und über diesen hinaus
müssen sie den Republikanern, die das Gesetz vertreten, wenn gleich schweren
Herzens, die Hand reichen.

Dieses welthistorische Actenstück beweist aber zugleich die Thorheit, die vielen
Verlegenheiten unsrer gegenwärtigen Situation der Constitution allein in die
Schuhe zu schiebe». Herr von Tocqueville, dem man tiefes, staatsmännisches
Eingehen in das Wesen der Frage, das Streben nach nnparieiischer Beurtheilung
unsrer verwickelten Verhältnisse nicht absprechen kann, hat doch die Vorwürfe,
die seine Freunde und seine noch weiter rechts sitzcndendcn Kollegen der Ver¬
fassung machten, uicht begründen können. Er hat noch weniger die Ansicht seiner
Gegner widerlegen tonnen, daß die Schwierigkeiten des Moments mehr in der
Parteispaltuug, in dem Egoismus der durch die Republik verlassenen Staats¬
männer ihren Grund haben, als in den Mängeln der Verfassung. In der That,
was wirft er der Constiintiou vor? Zunächst die Aufregung, welche die zusam-
menfallenden Wahlen des Präsidenten und der Kammern im Lande hervorrufen
müssen. Nun ist aber erwiesen, daß dieser allerdings Erwägung verdienende
Uebelstand wieder nnr Schuld der monarchischen Parteien Frankreichs sei, da sie
es gewesen, welche das Auseinandergehen der Constituante im Jahre 1849 über
Hals und Kopf durchsetzten. Gegründeter ist der Vorwurf, daß der Präsident,
durch das allgemeine directe Stimmrecht ernannt, der Nationalversammlung gegen-
über eine so unabhängige Stellung einnimmt, als ihm die Verfassung unmöglich
anweisen wollen konnte. Ist es aber uicht unvernünftig, diesem Uebelstande da¬
durch abhelfen zu wollen, daß man die Revision in einem Augenblicke vorschlägt,
wo diese geradezu aus Wiedererwählung des gegenwärtigen Präsidenten abzielt,
das heißt die egoistischen persönlichen Absichten des Kaisersneffen rechtfertigen oder
doch entschuldigen, also das Ansehen der Nationalversammlung noch mehr schwä¬
chen würde. Wäre es nicht besser und würdiger gewesen, der Constitution das
Wort zu reden, und erst, wenn sie dnrch eine Neuwahl die gehörige Kraft als
über jede Revolution erhabenes Grundgesetz erhalten hätte, an Verbesserung ihrer
zahlreichen Mängel zu denken? Der Berichterstatter entschuldigt sich damit, daß
die Majorität der gegenwärtigen Kammer die Republik nicht wolle, aber Etwas
»volle, was sie nicht durchsetzen könne und darum doch die Republik wollen
müsse. Beweist das uicht die Nothwendigkeit der Republik, und hätte in diesem
Falle der ganze Bericht nicht um diesen Punkt sich drehen müssen? Was heißt
es dann weiter, wenn die Commission zu dem Schlüsse kommt, die Revision zu
verlangen, aber sie nnr unter einer Beschränkung zu verlangen, welche sie um-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280230"/>
          <p xml:id="ID_351" prev="#ID_350"> werden zu müssen. Jedenfalls steht die Ansprache Louis Napoleon's mit dem<lb/>
entmuthigenden Berichte der Dnrchsichtscommission und Mit jenem des Petitions-<lb/>
ausschusses in größeren Einklange. Der Bericht des Herrn von Tocaueville be¬<lb/>
stätigt, was ich Ihnen vor einigen Wochen gesagt: die Bruchtheile der Ordnungs-<lb/>
partei können sich nur auf negativem Boden verständigen, und über diesen hinaus<lb/>
müssen sie den Republikanern, die das Gesetz vertreten, wenn gleich schweren<lb/>
Herzens, die Hand reichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_352" next="#ID_353"> Dieses welthistorische Actenstück beweist aber zugleich die Thorheit, die vielen<lb/>
Verlegenheiten unsrer gegenwärtigen Situation der Constitution allein in die<lb/>
Schuhe zu schiebe». Herr von Tocqueville, dem man tiefes, staatsmännisches<lb/>
Eingehen in das Wesen der Frage, das Streben nach nnparieiischer Beurtheilung<lb/>
unsrer verwickelten Verhältnisse nicht absprechen kann, hat doch die Vorwürfe,<lb/>
die seine Freunde und seine noch weiter rechts sitzcndendcn Kollegen der Ver¬<lb/>
fassung machten, uicht begründen können. Er hat noch weniger die Ansicht seiner<lb/>
Gegner widerlegen tonnen, daß die Schwierigkeiten des Moments mehr in der<lb/>
Parteispaltuug, in dem Egoismus der durch die Republik verlassenen Staats¬<lb/>
männer ihren Grund haben, als in den Mängeln der Verfassung. In der That,<lb/>
was wirft er der Constiintiou vor? Zunächst die Aufregung, welche die zusam-<lb/>
menfallenden Wahlen des Präsidenten und der Kammern im Lande hervorrufen<lb/>
müssen. Nun ist aber erwiesen, daß dieser allerdings Erwägung verdienende<lb/>
Uebelstand wieder nnr Schuld der monarchischen Parteien Frankreichs sei, da sie<lb/>
es gewesen, welche das Auseinandergehen der Constituante im Jahre 1849 über<lb/>
Hals und Kopf durchsetzten. Gegründeter ist der Vorwurf, daß der Präsident,<lb/>
durch das allgemeine directe Stimmrecht ernannt, der Nationalversammlung gegen-<lb/>
über eine so unabhängige Stellung einnimmt, als ihm die Verfassung unmöglich<lb/>
anweisen wollen konnte. Ist es aber uicht unvernünftig, diesem Uebelstande da¬<lb/>
durch abhelfen zu wollen, daß man die Revision in einem Augenblicke vorschlägt,<lb/>
wo diese geradezu aus Wiedererwählung des gegenwärtigen Präsidenten abzielt,<lb/>
das heißt die egoistischen persönlichen Absichten des Kaisersneffen rechtfertigen oder<lb/>
doch entschuldigen, also das Ansehen der Nationalversammlung noch mehr schwä¬<lb/>
chen würde. Wäre es nicht besser und würdiger gewesen, der Constitution das<lb/>
Wort zu reden, und erst, wenn sie dnrch eine Neuwahl die gehörige Kraft als<lb/>
über jede Revolution erhabenes Grundgesetz erhalten hätte, an Verbesserung ihrer<lb/>
zahlreichen Mängel zu denken? Der Berichterstatter entschuldigt sich damit, daß<lb/>
die Majorität der gegenwärtigen Kammer die Republik nicht wolle, aber Etwas<lb/>
»volle, was sie nicht durchsetzen könne und darum doch die Republik wollen<lb/>
müsse. Beweist das uicht die Nothwendigkeit der Republik, und hätte in diesem<lb/>
Falle der ganze Bericht nicht um diesen Punkt sich drehen müssen? Was heißt<lb/>
es dann weiter, wenn die Commission zu dem Schlüsse kommt, die Revision zu<lb/>
verlangen, aber sie nnr unter einer Beschränkung zu verlangen, welche sie um-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0143] werden zu müssen. Jedenfalls steht die Ansprache Louis Napoleon's mit dem entmuthigenden Berichte der Dnrchsichtscommission und Mit jenem des Petitions- ausschusses in größeren Einklange. Der Bericht des Herrn von Tocaueville be¬ stätigt, was ich Ihnen vor einigen Wochen gesagt: die Bruchtheile der Ordnungs- partei können sich nur auf negativem Boden verständigen, und über diesen hinaus müssen sie den Republikanern, die das Gesetz vertreten, wenn gleich schweren Herzens, die Hand reichen. Dieses welthistorische Actenstück beweist aber zugleich die Thorheit, die vielen Verlegenheiten unsrer gegenwärtigen Situation der Constitution allein in die Schuhe zu schiebe». Herr von Tocqueville, dem man tiefes, staatsmännisches Eingehen in das Wesen der Frage, das Streben nach nnparieiischer Beurtheilung unsrer verwickelten Verhältnisse nicht absprechen kann, hat doch die Vorwürfe, die seine Freunde und seine noch weiter rechts sitzcndendcn Kollegen der Ver¬ fassung machten, uicht begründen können. Er hat noch weniger die Ansicht seiner Gegner widerlegen tonnen, daß die Schwierigkeiten des Moments mehr in der Parteispaltuug, in dem Egoismus der durch die Republik verlassenen Staats¬ männer ihren Grund haben, als in den Mängeln der Verfassung. In der That, was wirft er der Constiintiou vor? Zunächst die Aufregung, welche die zusam- menfallenden Wahlen des Präsidenten und der Kammern im Lande hervorrufen müssen. Nun ist aber erwiesen, daß dieser allerdings Erwägung verdienende Uebelstand wieder nnr Schuld der monarchischen Parteien Frankreichs sei, da sie es gewesen, welche das Auseinandergehen der Constituante im Jahre 1849 über Hals und Kopf durchsetzten. Gegründeter ist der Vorwurf, daß der Präsident, durch das allgemeine directe Stimmrecht ernannt, der Nationalversammlung gegen- über eine so unabhängige Stellung einnimmt, als ihm die Verfassung unmöglich anweisen wollen konnte. Ist es aber uicht unvernünftig, diesem Uebelstande da¬ durch abhelfen zu wollen, daß man die Revision in einem Augenblicke vorschlägt, wo diese geradezu aus Wiedererwählung des gegenwärtigen Präsidenten abzielt, das heißt die egoistischen persönlichen Absichten des Kaisersneffen rechtfertigen oder doch entschuldigen, also das Ansehen der Nationalversammlung noch mehr schwä¬ chen würde. Wäre es nicht besser und würdiger gewesen, der Constitution das Wort zu reden, und erst, wenn sie dnrch eine Neuwahl die gehörige Kraft als über jede Revolution erhabenes Grundgesetz erhalten hätte, an Verbesserung ihrer zahlreichen Mängel zu denken? Der Berichterstatter entschuldigt sich damit, daß die Majorität der gegenwärtigen Kammer die Republik nicht wolle, aber Etwas »volle, was sie nicht durchsetzen könne und darum doch die Republik wollen müsse. Beweist das uicht die Nothwendigkeit der Republik, und hätte in diesem Falle der ganze Bericht nicht um diesen Punkt sich drehen müssen? Was heißt es dann weiter, wenn die Commission zu dem Schlüsse kommt, die Revision zu verlangen, aber sie nnr unter einer Beschränkung zu verlangen, welche sie um-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/143
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/143>, abgerufen am 27.06.2024.