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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Moliüre von Georges Sand.

Das neue Stück der berühmten Dichterin ist am 10. Mai d. I. zum ersten
Male ans dem IdviUre ÄL 1a Kato ausgeführt worden, und hat einen eben so
lebhaften Beifall gefunden, als ihre frühern dramatischen Versuche. Dieser Bei¬
fall beruht theils ans dem wirklichen Werth dieser Stücke im Einzelnen, theils
auf der Pietät der Franzosen für einen großen Namen. Der Hauptgrund ist
aber die immer unverkennbarer hervortretende Reaction gegen das äußerliche,
grob materialistische Wesen des neuen Theaters, wie es von Victor Hugo, Ale¬
xander Dumas und den Mysteriendichtern ins Leben gerufen ist; die Sehnsucht,
einmal etwas Anderes zu sehen, als ewigen Mord und Todtschlag, Giftmischerei,
Henker und Gefolterte; das Verlangen, statt der Zuckungen des Fleisches einmal
die Regungen der Seele zu beobachten. Die eine Form, in welcher diese Re¬
action auftritt, haben wir bereits charaktensirt. Es ist der wiederansgeweckte
Klassicismus, der aber, weil er in seiner Erscheinung eben so äußerlich und ma¬
terialistisch, in seinen Motiven eben so reflectirt ist, als die von ihm bekämpfte
Romantik, als ein wesentlicher Fortschritt der dramatischen Poesie nicht angesehen
werden kann. Die andere Form ist der Versuch, das Interesse des Drama's
aus die Welt der innern Empfindungen zu concentriren, und die Aufmerksamkeit
von dem rein Aeußerlichen, von dem Costum und den Operucffectcn abzuleiten.
Georges Sand hat in der Vorrede an Alexander Dumas, die nach der Franzö¬
sischen Sitte sehr höflich gehalten ist, ihre Ansicht über die Berechtigung dieser
rein innerlichen Poesie offen ausgesprochen, wogegen sie eben so offen die Be¬
rechtigung der andern Seite, der materialistischen Poesie, anerkennt. Hören wir
sie selbst: "Durch die freiwillige Enthaltung von Verwickelungen und Actionen
bildet mein Stück einen entschiedenen Gegensatz gegen die lebhaften und glänzen¬
den Erfindungen, mit deuen Sie das moderne Theater geziert haben. Es soll


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Moliüre von Georges Sand.

Das neue Stück der berühmten Dichterin ist am 10. Mai d. I. zum ersten
Male ans dem IdviUre ÄL 1a Kato ausgeführt worden, und hat einen eben so
lebhaften Beifall gefunden, als ihre frühern dramatischen Versuche. Dieser Bei¬
fall beruht theils ans dem wirklichen Werth dieser Stücke im Einzelnen, theils
auf der Pietät der Franzosen für einen großen Namen. Der Hauptgrund ist
aber die immer unverkennbarer hervortretende Reaction gegen das äußerliche,
grob materialistische Wesen des neuen Theaters, wie es von Victor Hugo, Ale¬
xander Dumas und den Mysteriendichtern ins Leben gerufen ist; die Sehnsucht,
einmal etwas Anderes zu sehen, als ewigen Mord und Todtschlag, Giftmischerei,
Henker und Gefolterte; das Verlangen, statt der Zuckungen des Fleisches einmal
die Regungen der Seele zu beobachten. Die eine Form, in welcher diese Re¬
action auftritt, haben wir bereits charaktensirt. Es ist der wiederansgeweckte
Klassicismus, der aber, weil er in seiner Erscheinung eben so äußerlich und ma¬
terialistisch, in seinen Motiven eben so reflectirt ist, als die von ihm bekämpfte
Romantik, als ein wesentlicher Fortschritt der dramatischen Poesie nicht angesehen
werden kann. Die andere Form ist der Versuch, das Interesse des Drama's
aus die Welt der innern Empfindungen zu concentriren, und die Aufmerksamkeit
von dem rein Aeußerlichen, von dem Costum und den Operucffectcn abzuleiten.
Georges Sand hat in der Vorrede an Alexander Dumas, die nach der Franzö¬
sischen Sitte sehr höflich gehalten ist, ihre Ansicht über die Berechtigung dieser
rein innerlichen Poesie offen ausgesprochen, wogegen sie eben so offen die Be¬
rechtigung der andern Seite, der materialistischen Poesie, anerkennt. Hören wir
sie selbst: „Durch die freiwillige Enthaltung von Verwickelungen und Actionen
bildet mein Stück einen entschiedenen Gegensatz gegen die lebhaften und glänzen¬
den Erfindungen, mit deuen Sie das moderne Theater geziert haben. Es soll


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[0129] Neue D r a in e n i, Moliüre von Georges Sand. Das neue Stück der berühmten Dichterin ist am 10. Mai d. I. zum ersten Male ans dem IdviUre ÄL 1a Kato ausgeführt worden, und hat einen eben so lebhaften Beifall gefunden, als ihre frühern dramatischen Versuche. Dieser Bei¬ fall beruht theils ans dem wirklichen Werth dieser Stücke im Einzelnen, theils auf der Pietät der Franzosen für einen großen Namen. Der Hauptgrund ist aber die immer unverkennbarer hervortretende Reaction gegen das äußerliche, grob materialistische Wesen des neuen Theaters, wie es von Victor Hugo, Ale¬ xander Dumas und den Mysteriendichtern ins Leben gerufen ist; die Sehnsucht, einmal etwas Anderes zu sehen, als ewigen Mord und Todtschlag, Giftmischerei, Henker und Gefolterte; das Verlangen, statt der Zuckungen des Fleisches einmal die Regungen der Seele zu beobachten. Die eine Form, in welcher diese Re¬ action auftritt, haben wir bereits charaktensirt. Es ist der wiederansgeweckte Klassicismus, der aber, weil er in seiner Erscheinung eben so äußerlich und ma¬ terialistisch, in seinen Motiven eben so reflectirt ist, als die von ihm bekämpfte Romantik, als ein wesentlicher Fortschritt der dramatischen Poesie nicht angesehen werden kann. Die andere Form ist der Versuch, das Interesse des Drama's aus die Welt der innern Empfindungen zu concentriren, und die Aufmerksamkeit von dem rein Aeußerlichen, von dem Costum und den Operucffectcn abzuleiten. Georges Sand hat in der Vorrede an Alexander Dumas, die nach der Franzö¬ sischen Sitte sehr höflich gehalten ist, ihre Ansicht über die Berechtigung dieser rein innerlichen Poesie offen ausgesprochen, wogegen sie eben so offen die Be¬ rechtigung der andern Seite, der materialistischen Poesie, anerkennt. Hören wir sie selbst: „Durch die freiwillige Enthaltung von Verwickelungen und Actionen bildet mein Stück einen entschiedenen Gegensatz gegen die lebhaften und glänzen¬ den Erfindungen, mit deuen Sie das moderne Theater geziert haben. Es soll Grenzboten. UI. 1W>. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/129>, abgerufen am 30.06.2024.