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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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da sie die Mittel hat, den Landtag auseinanderjagen und einen Pascha in die
Provinz schicken. An einem Rechtstitel wird es ihr nie fehlen, denn in Böhmen
werden sich die Deutschen über die czechischen Uebergriffe beschwere", im Banat
die verschiedenen neben einander liegenden Nationen, da sie sich mit Worten nicht
verständigen können, handgemein werden, und so wird die Negierung dem unter¬
drückten Element ihre mächtige Hilfe nicht versagen können, nach dem Dogma:

Gleichberechtigung der Nationen.

Erlauben Sie mir, daß ich meine abweichende Ansicht über das Verhältniß
der Centralisation zur Selbstregierung in Oestreich der Ihrigen entgegenstelle.
Ich muß aber eine allgemeine Bemerkung vorausschicke". .

Es geschieht häufig, daß man von einer Lieblingsidee, der man früher unbe¬
dingte Geltung beimaß, sobald man einmal im Glauben erschüttert ist, in's ent¬
gegengesetzte Extrem überspringt. Es ist noch nicht lange her, daß man die Kraft
eines Staats nach der Leichtigkeit abmaß, mit der er über seine Mittel disponirte,
nach der Energie, mit welcher er seine leitende Tendenz bis in die kleinsten Kreise
der politischen Existenz verbreitete, mit Einem Wort, nach dem Grad seiner Cen¬
tralisation. Seitdem man nun aus der neuesten Geschichte Frankreichs gelernt
hat, daß es anch darin eine Grenze gibt, daß mit dem Ueberschreiten derselben
der staatliche Organismus durch Ansammlung aller Säfie an einem einzelnen Punkt
erkrankt, hat man die Idee der Centralisation überhaupt als eine politische Ver-
irrung betrachten lernen, und diejenige Form der Staatsbildung, die man sonst
als die rohste, die primitive geringschätzte, die Föderation, nicht nur als eine Ue-
bergangsform, sondern geradezu als das Ideal eines freien Staates verehrt. Man
hat dabei immer Nordamerika im Auge gehabt, und dabei nur übersehen, daß die
Lage jener weitläufigen Strecken von der Art ist, daß sie eine statte Concentration
der Kräfte weder möglich, noch nöthig macht; daß jene Staaten eine sehr feste
sittlich-politische Grundlage haben, eine gemeinsame Gesinnung und ein gemein¬
sames Interesse, und daß die einzelnen Staaten, weit entfernt, einen qualitativen
Unterschied oder gar einen Gegensatz auszudrücken, nichts anderes vorstellen, als
lokal abgegrenzte Districte, von Einem Volk, von Einer Bildung bewohnt, das auf
den Unterschied der Zunge eben so wenig Gewicht legt, als auf deu des Glau¬
bens. Die Centralregierung ist nichts anderes, als der Gesammtwille der verei¬
nigten Staaten, und diese Staaten nichts anderes, als Krystallisationen von einem
und demselben Stoss.

Ganz das umgekehrte Verhältniß ergibt sich für den Kaiserstaat. Er ist aus
verschiedenen Nationen zusammengesetzt, die nicht nur nach ihrer Sprache und
Geschichte, sondern auch nach ihrer Bildungsstufe unendlich auseinandergehen.
Aus diesem Conglomerat einen Staat zu bilden in der Weise, daß die Regierung
nichts anderes wäre, als der Gesammtausdruck der einzelnen Willen, ist eine


da sie die Mittel hat, den Landtag auseinanderjagen und einen Pascha in die
Provinz schicken. An einem Rechtstitel wird es ihr nie fehlen, denn in Böhmen
werden sich die Deutschen über die czechischen Uebergriffe beschwere», im Banat
die verschiedenen neben einander liegenden Nationen, da sie sich mit Worten nicht
verständigen können, handgemein werden, und so wird die Negierung dem unter¬
drückten Element ihre mächtige Hilfe nicht versagen können, nach dem Dogma:

Gleichberechtigung der Nationen.

Erlauben Sie mir, daß ich meine abweichende Ansicht über das Verhältniß
der Centralisation zur Selbstregierung in Oestreich der Ihrigen entgegenstelle.
Ich muß aber eine allgemeine Bemerkung vorausschicke». .

Es geschieht häufig, daß man von einer Lieblingsidee, der man früher unbe¬
dingte Geltung beimaß, sobald man einmal im Glauben erschüttert ist, in's ent¬
gegengesetzte Extrem überspringt. Es ist noch nicht lange her, daß man die Kraft
eines Staats nach der Leichtigkeit abmaß, mit der er über seine Mittel disponirte,
nach der Energie, mit welcher er seine leitende Tendenz bis in die kleinsten Kreise
der politischen Existenz verbreitete, mit Einem Wort, nach dem Grad seiner Cen¬
tralisation. Seitdem man nun aus der neuesten Geschichte Frankreichs gelernt
hat, daß es anch darin eine Grenze gibt, daß mit dem Ueberschreiten derselben
der staatliche Organismus durch Ansammlung aller Säfie an einem einzelnen Punkt
erkrankt, hat man die Idee der Centralisation überhaupt als eine politische Ver-
irrung betrachten lernen, und diejenige Form der Staatsbildung, die man sonst
als die rohste, die primitive geringschätzte, die Föderation, nicht nur als eine Ue-
bergangsform, sondern geradezu als das Ideal eines freien Staates verehrt. Man
hat dabei immer Nordamerika im Auge gehabt, und dabei nur übersehen, daß die
Lage jener weitläufigen Strecken von der Art ist, daß sie eine statte Concentration
der Kräfte weder möglich, noch nöthig macht; daß jene Staaten eine sehr feste
sittlich-politische Grundlage haben, eine gemeinsame Gesinnung und ein gemein¬
sames Interesse, und daß die einzelnen Staaten, weit entfernt, einen qualitativen
Unterschied oder gar einen Gegensatz auszudrücken, nichts anderes vorstellen, als
lokal abgegrenzte Districte, von Einem Volk, von Einer Bildung bewohnt, das auf
den Unterschied der Zunge eben so wenig Gewicht legt, als auf deu des Glau¬
bens. Die Centralregierung ist nichts anderes, als der Gesammtwille der verei¬
nigten Staaten, und diese Staaten nichts anderes, als Krystallisationen von einem
und demselben Stoss.

Ganz das umgekehrte Verhältniß ergibt sich für den Kaiserstaat. Er ist aus
verschiedenen Nationen zusammengesetzt, die nicht nur nach ihrer Sprache und
Geschichte, sondern auch nach ihrer Bildungsstufe unendlich auseinandergehen.
Aus diesem Conglomerat einen Staat zu bilden in der Weise, daß die Regierung
nichts anderes wäre, als der Gesammtausdruck der einzelnen Willen, ist eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/93>, abgerufen am 04.07.2024.