Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihres Gottes. Das Princip der Nationalität erweist sich schon darum als un-
productiv, weil es beschränkt, an lokale Beziehungen gebunden ist. Es ist darum
uicht weniger boshaft, wie Ihr Kcluisellcr n-un pico, wie es die serbisch-rumaini-
schen Schlächtereien bezeugen; aber es hat nichts Erhebendes, es ist nur abweh¬
rend. Aus jenem czechischen Nationallied werden Sie im Leben keine Marseillaise
von welthistorischer Bedeutung machen.

Ich will mich darauf beschränken, Sie auf den Unterschied aufmerksam zu
machen zwischen dem, was man Religionsfreiheit nennt, und dem, was Sie unter
Gleichberechtigung der Nationalitäten verstehen. Die Religionsfreiheit bezieht sich
auf die Individuen: sie verstattet jedem Einzelnen, Gott anzubeten, katholisch
oder protestantisch, wie er Lust hat. Ihre Gleichberechtigung dagegen geht darauf
aus, künstliche Individualitäten zu schaffen. Sie begreifen nämlich die Gemein¬
schaft sämmtlicher Individuen, welche Eine Sprache reden, unter dein Collectiv¬
namen Volk, und verlangen für dies sogenannte Volk politische Autonomie. Sie
finden siehe" solcher Völker in Oestreich, sind aber nicht abgeneigt, deren auch
mehr anzuerkennen. Unter diesen Völkernameu figurirt auch der deutsche. Sie
werden aber zugestehen, daß es schwer fallen dürste, für die im Kaiserstaat ver¬
streuten deutschen Individuen und Gemeinden, von Wien an bis zu den Sachse",
eine gemeinschaftliche Verwaltung und Vertretung einzurichten, die Beamten müßten
denn, wie in den Zeiten Karl des Großen, unausgesetzt von einem Gau zum an¬
dern pilgern. Am bedenklichsten dürfte es in Gegenden sein, wie das Banat, wo
jedes einzelne Dorf wenigstens zu drei verschiedenen Staaten gehören müßte. Im
Eifer ihres abstracten Dogmas haben Sie ganz vergessen, Sich die Frage vor¬
zulegen, ob denn Ihre Völker sich auch nur geographisch construiren, geschweige
denn autonom verwalten lassen.

In dem früheren nationalen Widerstreben gegen die Eingriffe einer gewalt¬
thätigen Negierung muß man zwei ganz verschiedene Fälle unterscheiden.

Entweder bekümmerte sich die Negierung in dem Dünkel, Alles besser zu
wissen, um Dinge, die nur die Gemeinde angingen; sie setzte fremde Gerichte
und Verwaltungen ein, von denen das Volk nichts verstand, und störte zu Gun-
sten der Uniformität die natürliche Entwickelung des Lebens. Uniformität und
Centralisation sind aber zwei ganz verschiedene Begriffe. Es läßt sich z. B. sehr
wohl denken, daß eine Centralregierung und Centralstände das Fortbestehen ver¬
schiedener Gesetzbücher in verschiedenen Provinzen sanktioniren. In jenem Wider¬
streben hat sich die Trägheit und die Barbarei ebenso geltend gemacht, als der
gesunde conservative Sinn; Sie werden das von Ihrem Standpunkte aus von
der magyarischen Reaktion gegen die Reformen des Josephinischen liberalen Abso¬
lutismus selber zugeben. So wohnt unter andern bei uns in Westpreußen ein
Ihnen stammverwandtes Volk -- ich weiß nicht, ob Sie seinen Namen gehört
haben -- die Kaschubeu. Ihre sogenannte Sprache ist ein organischer Ausdruck


ihres Gottes. Das Princip der Nationalität erweist sich schon darum als un-
productiv, weil es beschränkt, an lokale Beziehungen gebunden ist. Es ist darum
uicht weniger boshaft, wie Ihr Kcluisellcr n-un pico, wie es die serbisch-rumaini-
schen Schlächtereien bezeugen; aber es hat nichts Erhebendes, es ist nur abweh¬
rend. Aus jenem czechischen Nationallied werden Sie im Leben keine Marseillaise
von welthistorischer Bedeutung machen.

Ich will mich darauf beschränken, Sie auf den Unterschied aufmerksam zu
machen zwischen dem, was man Religionsfreiheit nennt, und dem, was Sie unter
Gleichberechtigung der Nationalitäten verstehen. Die Religionsfreiheit bezieht sich
auf die Individuen: sie verstattet jedem Einzelnen, Gott anzubeten, katholisch
oder protestantisch, wie er Lust hat. Ihre Gleichberechtigung dagegen geht darauf
aus, künstliche Individualitäten zu schaffen. Sie begreifen nämlich die Gemein¬
schaft sämmtlicher Individuen, welche Eine Sprache reden, unter dein Collectiv¬
namen Volk, und verlangen für dies sogenannte Volk politische Autonomie. Sie
finden siehe» solcher Völker in Oestreich, sind aber nicht abgeneigt, deren auch
mehr anzuerkennen. Unter diesen Völkernameu figurirt auch der deutsche. Sie
werden aber zugestehen, daß es schwer fallen dürste, für die im Kaiserstaat ver¬
streuten deutschen Individuen und Gemeinden, von Wien an bis zu den Sachse»,
eine gemeinschaftliche Verwaltung und Vertretung einzurichten, die Beamten müßten
denn, wie in den Zeiten Karl des Großen, unausgesetzt von einem Gau zum an¬
dern pilgern. Am bedenklichsten dürfte es in Gegenden sein, wie das Banat, wo
jedes einzelne Dorf wenigstens zu drei verschiedenen Staaten gehören müßte. Im
Eifer ihres abstracten Dogmas haben Sie ganz vergessen, Sich die Frage vor¬
zulegen, ob denn Ihre Völker sich auch nur geographisch construiren, geschweige
denn autonom verwalten lassen.

In dem früheren nationalen Widerstreben gegen die Eingriffe einer gewalt¬
thätigen Negierung muß man zwei ganz verschiedene Fälle unterscheiden.

Entweder bekümmerte sich die Negierung in dem Dünkel, Alles besser zu
wissen, um Dinge, die nur die Gemeinde angingen; sie setzte fremde Gerichte
und Verwaltungen ein, von denen das Volk nichts verstand, und störte zu Gun-
sten der Uniformität die natürliche Entwickelung des Lebens. Uniformität und
Centralisation sind aber zwei ganz verschiedene Begriffe. Es läßt sich z. B. sehr
wohl denken, daß eine Centralregierung und Centralstände das Fortbestehen ver¬
schiedener Gesetzbücher in verschiedenen Provinzen sanktioniren. In jenem Wider¬
streben hat sich die Trägheit und die Barbarei ebenso geltend gemacht, als der
gesunde conservative Sinn; Sie werden das von Ihrem Standpunkte aus von
der magyarischen Reaktion gegen die Reformen des Josephinischen liberalen Abso¬
lutismus selber zugeben. So wohnt unter andern bei uns in Westpreußen ein
Ihnen stammverwandtes Volk — ich weiß nicht, ob Sie seinen Namen gehört
haben — die Kaschubeu. Ihre sogenannte Sprache ist ein organischer Ausdruck


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92913"/>
          <p xml:id="ID_278" prev="#ID_277"> ihres Gottes. Das Princip der Nationalität erweist sich schon darum als un-<lb/>
productiv, weil es beschränkt, an lokale Beziehungen gebunden ist. Es ist darum<lb/>
uicht weniger boshaft, wie Ihr Kcluisellcr n-un pico, wie es die serbisch-rumaini-<lb/>
schen Schlächtereien bezeugen; aber es hat nichts Erhebendes, es ist nur abweh¬<lb/>
rend. Aus jenem czechischen Nationallied werden Sie im Leben keine Marseillaise<lb/>
von welthistorischer Bedeutung machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_279"> Ich will mich darauf beschränken, Sie auf den Unterschied aufmerksam zu<lb/>
machen zwischen dem, was man Religionsfreiheit nennt, und dem, was Sie unter<lb/>
Gleichberechtigung der Nationalitäten verstehen. Die Religionsfreiheit bezieht sich<lb/>
auf die Individuen: sie verstattet jedem Einzelnen, Gott anzubeten, katholisch<lb/>
oder protestantisch, wie er Lust hat. Ihre Gleichberechtigung dagegen geht darauf<lb/>
aus, künstliche Individualitäten zu schaffen. Sie begreifen nämlich die Gemein¬<lb/>
schaft sämmtlicher Individuen, welche Eine Sprache reden, unter dein Collectiv¬<lb/>
namen Volk, und verlangen für dies sogenannte Volk politische Autonomie. Sie<lb/>
finden siehe» solcher Völker in Oestreich, sind aber nicht abgeneigt, deren auch<lb/>
mehr anzuerkennen. Unter diesen Völkernameu figurirt auch der deutsche. Sie<lb/>
werden aber zugestehen, daß es schwer fallen dürste, für die im Kaiserstaat ver¬<lb/>
streuten deutschen Individuen und Gemeinden, von Wien an bis zu den Sachse»,<lb/>
eine gemeinschaftliche Verwaltung und Vertretung einzurichten, die Beamten müßten<lb/>
denn, wie in den Zeiten Karl des Großen, unausgesetzt von einem Gau zum an¬<lb/>
dern pilgern. Am bedenklichsten dürfte es in Gegenden sein, wie das Banat, wo<lb/>
jedes einzelne Dorf wenigstens zu drei verschiedenen Staaten gehören müßte. Im<lb/>
Eifer ihres abstracten Dogmas haben Sie ganz vergessen, Sich die Frage vor¬<lb/>
zulegen, ob denn Ihre Völker sich auch nur geographisch construiren, geschweige<lb/>
denn autonom verwalten lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_280"> In dem früheren nationalen Widerstreben gegen die Eingriffe einer gewalt¬<lb/>
thätigen Negierung muß man zwei ganz verschiedene Fälle unterscheiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_281" next="#ID_282"> Entweder bekümmerte sich die Negierung in dem Dünkel, Alles besser zu<lb/>
wissen, um Dinge, die nur die Gemeinde angingen; sie setzte fremde Gerichte<lb/>
und Verwaltungen ein, von denen das Volk nichts verstand, und störte zu Gun-<lb/>
sten der Uniformität die natürliche Entwickelung des Lebens. Uniformität und<lb/>
Centralisation sind aber zwei ganz verschiedene Begriffe. Es läßt sich z. B. sehr<lb/>
wohl denken, daß eine Centralregierung und Centralstände das Fortbestehen ver¬<lb/>
schiedener Gesetzbücher in verschiedenen Provinzen sanktioniren. In jenem Wider¬<lb/>
streben hat sich die Trägheit und die Barbarei ebenso geltend gemacht, als der<lb/>
gesunde conservative Sinn; Sie werden das von Ihrem Standpunkte aus von<lb/>
der magyarischen Reaktion gegen die Reformen des Josephinischen liberalen Abso¬<lb/>
lutismus selber zugeben. So wohnt unter andern bei uns in Westpreußen ein<lb/>
Ihnen stammverwandtes Volk &#x2014; ich weiß nicht, ob Sie seinen Namen gehört<lb/>
haben &#x2014; die Kaschubeu.  Ihre sogenannte Sprache ist ein organischer Ausdruck</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] ihres Gottes. Das Princip der Nationalität erweist sich schon darum als un- productiv, weil es beschränkt, an lokale Beziehungen gebunden ist. Es ist darum uicht weniger boshaft, wie Ihr Kcluisellcr n-un pico, wie es die serbisch-rumaini- schen Schlächtereien bezeugen; aber es hat nichts Erhebendes, es ist nur abweh¬ rend. Aus jenem czechischen Nationallied werden Sie im Leben keine Marseillaise von welthistorischer Bedeutung machen. Ich will mich darauf beschränken, Sie auf den Unterschied aufmerksam zu machen zwischen dem, was man Religionsfreiheit nennt, und dem, was Sie unter Gleichberechtigung der Nationalitäten verstehen. Die Religionsfreiheit bezieht sich auf die Individuen: sie verstattet jedem Einzelnen, Gott anzubeten, katholisch oder protestantisch, wie er Lust hat. Ihre Gleichberechtigung dagegen geht darauf aus, künstliche Individualitäten zu schaffen. Sie begreifen nämlich die Gemein¬ schaft sämmtlicher Individuen, welche Eine Sprache reden, unter dein Collectiv¬ namen Volk, und verlangen für dies sogenannte Volk politische Autonomie. Sie finden siehe» solcher Völker in Oestreich, sind aber nicht abgeneigt, deren auch mehr anzuerkennen. Unter diesen Völkernameu figurirt auch der deutsche. Sie werden aber zugestehen, daß es schwer fallen dürste, für die im Kaiserstaat ver¬ streuten deutschen Individuen und Gemeinden, von Wien an bis zu den Sachse», eine gemeinschaftliche Verwaltung und Vertretung einzurichten, die Beamten müßten denn, wie in den Zeiten Karl des Großen, unausgesetzt von einem Gau zum an¬ dern pilgern. Am bedenklichsten dürfte es in Gegenden sein, wie das Banat, wo jedes einzelne Dorf wenigstens zu drei verschiedenen Staaten gehören müßte. Im Eifer ihres abstracten Dogmas haben Sie ganz vergessen, Sich die Frage vor¬ zulegen, ob denn Ihre Völker sich auch nur geographisch construiren, geschweige denn autonom verwalten lassen. In dem früheren nationalen Widerstreben gegen die Eingriffe einer gewalt¬ thätigen Negierung muß man zwei ganz verschiedene Fälle unterscheiden. Entweder bekümmerte sich die Negierung in dem Dünkel, Alles besser zu wissen, um Dinge, die nur die Gemeinde angingen; sie setzte fremde Gerichte und Verwaltungen ein, von denen das Volk nichts verstand, und störte zu Gun- sten der Uniformität die natürliche Entwickelung des Lebens. Uniformität und Centralisation sind aber zwei ganz verschiedene Begriffe. Es läßt sich z. B. sehr wohl denken, daß eine Centralregierung und Centralstände das Fortbestehen ver¬ schiedener Gesetzbücher in verschiedenen Provinzen sanktioniren. In jenem Wider¬ streben hat sich die Trägheit und die Barbarei ebenso geltend gemacht, als der gesunde conservative Sinn; Sie werden das von Ihrem Standpunkte aus von der magyarischen Reaktion gegen die Reformen des Josephinischen liberalen Abso¬ lutismus selber zugeben. So wohnt unter andern bei uns in Westpreußen ein Ihnen stammverwandtes Volk — ich weiß nicht, ob Sie seinen Namen gehört haben — die Kaschubeu. Ihre sogenannte Sprache ist ein organischer Ausdruck

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/90
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/90>, abgerufen am 01.07.2024.