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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Die Gleichberechtigung der Nationalitäten.
Offenes Sendschreiben an Frantissek Palacky.



Als wir zum ersten Mal im Lauf der Revolution Ihre gewichtige Stimme
vernahmen, war es für die Integrität Oestreichs gegen die Neuerer, welche den
historischen Kaiserstaat durch die Gewalt der nationalen Ideen in seine Elemente
zersetzen wollten. Die Einheit der deutschen Nation und die Unabhängigkeit des
Königreichs Ungarn schien unverträglich mit dem Fortbestehen des Staatencom-
plexes, welcher seinen Träger bisher lediglich in der Dynastie gefunden hatte.
Heute ist es die umgekehrte Richtung. Sie benutzen das Dogma von der Gleich¬
berechtigung der Nationalitäten, um die rechtliche Unmöglichkeit zu erweisen, aus
Oestreich einen wirklichen, einen Einheitsstaat zu macheu. Denn die gemeinsame
Vertretung der östreichischen Völker auf dem Reichstag würde denselben zwingen,
sich Einer bestimmten Sprache zu bedienen und damit alle andern Sprachen des
Kaiserstaates beeinträchtigen, die nach dem leitenden Grundsatz der neuen Verfassung
gleiche Berechtigung haben sollen. Von diesem Gesichtspunkt aus treiben Sie die
Idee der Decentralisation ans eine Spitze, die in der Geschichte unserer politischen
Entwicklung noch uicht erhört ist, und gebrauchen die "slavische Nation," die
früher den Kitt bilden sollte, die widerstrebenden Bestandtheile Oestreichs zusam¬
men zu halten, als Hebel gegen die engere Zusammenfügung des Staates.

Nach Ihrer Ansicht ist die Idee der Nationalität in unserem Zeitalter dasselbe,
was die Kirche und Religion im 16. und 17. Jahrhundert war. Sie möchten
die blutigen Früchte, die im vergangenen Jahr im Banat und in Siebenbürgen
in eben so greuclvoller Gestalt ans der fixen Idee der Nationalität aufgegangen
sind, als damals in den Religionskriegen, dadurch vermeiden, daß Sie mit dem
Ende jener Kriege anfingen, mit der allseitigen Toleranz. Ich will Sie nicht
daran erinnern, daß ein Princip erst dann tolerant wird, wenn es seine Pro-
ductivität, seine Expansionskrast verloren hat; daß es der religiösen Begeiste¬
rung gar nicht darauf ankommt, ihre Psalmen an den gewaltigen Gott, dessen
Stimme sie vernimmt, im einsamen Kämmerlein zu singen, daß sie vielmehr krie¬
gerische Weisen dafür findet, Schlachtlieder gegen die Ungläubigen, die Feinde


Grenzboten. >. 1350. 11
Die Gleichberechtigung der Nationalitäten.
Offenes Sendschreiben an Frantissek Palacky.



Als wir zum ersten Mal im Lauf der Revolution Ihre gewichtige Stimme
vernahmen, war es für die Integrität Oestreichs gegen die Neuerer, welche den
historischen Kaiserstaat durch die Gewalt der nationalen Ideen in seine Elemente
zersetzen wollten. Die Einheit der deutschen Nation und die Unabhängigkeit des
Königreichs Ungarn schien unverträglich mit dem Fortbestehen des Staatencom-
plexes, welcher seinen Träger bisher lediglich in der Dynastie gefunden hatte.
Heute ist es die umgekehrte Richtung. Sie benutzen das Dogma von der Gleich¬
berechtigung der Nationalitäten, um die rechtliche Unmöglichkeit zu erweisen, aus
Oestreich einen wirklichen, einen Einheitsstaat zu macheu. Denn die gemeinsame
Vertretung der östreichischen Völker auf dem Reichstag würde denselben zwingen,
sich Einer bestimmten Sprache zu bedienen und damit alle andern Sprachen des
Kaiserstaates beeinträchtigen, die nach dem leitenden Grundsatz der neuen Verfassung
gleiche Berechtigung haben sollen. Von diesem Gesichtspunkt aus treiben Sie die
Idee der Decentralisation ans eine Spitze, die in der Geschichte unserer politischen
Entwicklung noch uicht erhört ist, und gebrauchen die „slavische Nation," die
früher den Kitt bilden sollte, die widerstrebenden Bestandtheile Oestreichs zusam¬
men zu halten, als Hebel gegen die engere Zusammenfügung des Staates.

Nach Ihrer Ansicht ist die Idee der Nationalität in unserem Zeitalter dasselbe,
was die Kirche und Religion im 16. und 17. Jahrhundert war. Sie möchten
die blutigen Früchte, die im vergangenen Jahr im Banat und in Siebenbürgen
in eben so greuclvoller Gestalt ans der fixen Idee der Nationalität aufgegangen
sind, als damals in den Religionskriegen, dadurch vermeiden, daß Sie mit dem
Ende jener Kriege anfingen, mit der allseitigen Toleranz. Ich will Sie nicht
daran erinnern, daß ein Princip erst dann tolerant wird, wenn es seine Pro-
ductivität, seine Expansionskrast verloren hat; daß es der religiösen Begeiste¬
rung gar nicht darauf ankommt, ihre Psalmen an den gewaltigen Gott, dessen
Stimme sie vernimmt, im einsamen Kämmerlein zu singen, daß sie vielmehr krie¬
gerische Weisen dafür findet, Schlachtlieder gegen die Ungläubigen, die Feinde


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[0089] Die Gleichberechtigung der Nationalitäten. Offenes Sendschreiben an Frantissek Palacky. Als wir zum ersten Mal im Lauf der Revolution Ihre gewichtige Stimme vernahmen, war es für die Integrität Oestreichs gegen die Neuerer, welche den historischen Kaiserstaat durch die Gewalt der nationalen Ideen in seine Elemente zersetzen wollten. Die Einheit der deutschen Nation und die Unabhängigkeit des Königreichs Ungarn schien unverträglich mit dem Fortbestehen des Staatencom- plexes, welcher seinen Träger bisher lediglich in der Dynastie gefunden hatte. Heute ist es die umgekehrte Richtung. Sie benutzen das Dogma von der Gleich¬ berechtigung der Nationalitäten, um die rechtliche Unmöglichkeit zu erweisen, aus Oestreich einen wirklichen, einen Einheitsstaat zu macheu. Denn die gemeinsame Vertretung der östreichischen Völker auf dem Reichstag würde denselben zwingen, sich Einer bestimmten Sprache zu bedienen und damit alle andern Sprachen des Kaiserstaates beeinträchtigen, die nach dem leitenden Grundsatz der neuen Verfassung gleiche Berechtigung haben sollen. Von diesem Gesichtspunkt aus treiben Sie die Idee der Decentralisation ans eine Spitze, die in der Geschichte unserer politischen Entwicklung noch uicht erhört ist, und gebrauchen die „slavische Nation," die früher den Kitt bilden sollte, die widerstrebenden Bestandtheile Oestreichs zusam¬ men zu halten, als Hebel gegen die engere Zusammenfügung des Staates. Nach Ihrer Ansicht ist die Idee der Nationalität in unserem Zeitalter dasselbe, was die Kirche und Religion im 16. und 17. Jahrhundert war. Sie möchten die blutigen Früchte, die im vergangenen Jahr im Banat und in Siebenbürgen in eben so greuclvoller Gestalt ans der fixen Idee der Nationalität aufgegangen sind, als damals in den Religionskriegen, dadurch vermeiden, daß Sie mit dem Ende jener Kriege anfingen, mit der allseitigen Toleranz. Ich will Sie nicht daran erinnern, daß ein Princip erst dann tolerant wird, wenn es seine Pro- ductivität, seine Expansionskrast verloren hat; daß es der religiösen Begeiste¬ rung gar nicht darauf ankommt, ihre Psalmen an den gewaltigen Gott, dessen Stimme sie vernimmt, im einsamen Kämmerlein zu singen, daß sie vielmehr krie¬ gerische Weisen dafür findet, Schlachtlieder gegen die Ungläubigen, die Feinde Grenzboten. >. 1350. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/89>, abgerufen am 29.06.2024.