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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Plätze waren mehr, als der rechten; von denen überdies die auf der äußersten,
wieder aus Scheu vor übler Nachrede, zum Theil leer blieben. Bald gab es
daher auf der Rechten, namentlich in deren vordersten Reihen, keine leeren Sitze
mehr, und die Neuankommenden waren wohl oder übel genöthigt, auf der Linken
Platz zu nehmen. Man weiß, welchen Einfluß auf schwache Gemüther solche
Aeußerlichkeiten im Bunde mit dem täglichen Umgang und der fortwährenden un¬
mittelbaren Ansprache von der einen Seite, ohne Gegengewicht von der anderen,
so leicht üben. Hätten die Conservativliberalen dies bedacht und von vornherein
statt mir die sür Viele anstößigen Plätze auf der Rechten zu besetzen, auch über
die vordersten Reihen links sich ausgebreitet, so wäre vielleicht Mancher, der ihnen
jetzt verloren geht, für sie gewonnen worden.

In der ersten Kammer finden diese Uebelstände der Sitzordnung nicht statt;
dort treffen beide Parteien äußerlich ungetrennt in der Mitte zusammen. Dennoch ist
es auch dort zur Bildung eines selbstständigen Centrums nicht gekommen. Die Linke
in der ersten Kammer wird von Joseph in fester Hand gehalten, und wenn bis¬
weilen einzelne Uebergangs- und Vermittlungsmomente von ihr zur Rechten hin
hervorzutreten schienen, so wußte der gefürchtete Führer solche immer wieder in
seine Botmäßigkeit zurückzuführen und eine selbstständige Parteistellung derselben
außerhalb der eigentlichen Linken zu verhindern.

Die ersten, vorbereitenden Sitzungen der Kammern zeigten denn auch uur
zwei Parteien, die sich schroff und unversöhnlich gegenüberzustehen schienen. Es
galt die Prüfung der Wahlen. In den Abtheilungsberathungen darüber hatte
die Rechte den Grundsatz möglichster Liberalität befolgt, theils um die Beschlu߬
fähigkeit der Kammern nicht noch länger zu verzögern, theils aus wirklich ver¬
söhnlicher Gesinnung. So kam es, daß in der zweiten Kammer nicht eine ein¬
zige Wahl eines Abgeordneten der linken Seite beanstandet ward. Allein
die Linke befolgte das von der Rechten gegebene Beispiel nicht, warf sich vielmehr
mit einer schlechtverhehlten persönlichen Feindseligkeit auf die bei einzelnen Wahlen
der rechten Seite vorgekommenen Unregelmäßigkeiten und suchte diese Wahlen, wie¬
wohl vergeblich zu cassiren. Nichts desto weniger that die Rechte einen zweiten ver¬
söhnlichen Schritt, indem sie, die damals in beiden Kammern die Mehrheit besaß,
bei der Wahl der Directorien unaufgefordert einigen Mitgliedern der Gegenseite
Stellen darin einräumte. Die Linke schien jedoch die dargebotene Hand so wenig
ergreifen zu wollen, daß mehrere der Gewählten diese Wahl, gleichsam als eine
ihnen aufgedrungene widerwärtige Verpflichtung ablehnten.

Nach diesem Vorspiel war man aus heftige Principienkämpse mit der Linken
beim Beginn der ordentlichen Sitzungen gefaßt. Unerwarteter Weise kam es an¬
ders. War es klug berechneter Plan oder wirklich gewonnene Einsicht von den
Vortheilen einer gemäßigteren Opposition, war es das Gefühl der moralischen Nie-


Greuzboten. l. 1850. 9

Plätze waren mehr, als der rechten; von denen überdies die auf der äußersten,
wieder aus Scheu vor übler Nachrede, zum Theil leer blieben. Bald gab es
daher auf der Rechten, namentlich in deren vordersten Reihen, keine leeren Sitze
mehr, und die Neuankommenden waren wohl oder übel genöthigt, auf der Linken
Platz zu nehmen. Man weiß, welchen Einfluß auf schwache Gemüther solche
Aeußerlichkeiten im Bunde mit dem täglichen Umgang und der fortwährenden un¬
mittelbaren Ansprache von der einen Seite, ohne Gegengewicht von der anderen,
so leicht üben. Hätten die Conservativliberalen dies bedacht und von vornherein
statt mir die sür Viele anstößigen Plätze auf der Rechten zu besetzen, auch über
die vordersten Reihen links sich ausgebreitet, so wäre vielleicht Mancher, der ihnen
jetzt verloren geht, für sie gewonnen worden.

In der ersten Kammer finden diese Uebelstände der Sitzordnung nicht statt;
dort treffen beide Parteien äußerlich ungetrennt in der Mitte zusammen. Dennoch ist
es auch dort zur Bildung eines selbstständigen Centrums nicht gekommen. Die Linke
in der ersten Kammer wird von Joseph in fester Hand gehalten, und wenn bis¬
weilen einzelne Uebergangs- und Vermittlungsmomente von ihr zur Rechten hin
hervorzutreten schienen, so wußte der gefürchtete Führer solche immer wieder in
seine Botmäßigkeit zurückzuführen und eine selbstständige Parteistellung derselben
außerhalb der eigentlichen Linken zu verhindern.

Die ersten, vorbereitenden Sitzungen der Kammern zeigten denn auch uur
zwei Parteien, die sich schroff und unversöhnlich gegenüberzustehen schienen. Es
galt die Prüfung der Wahlen. In den Abtheilungsberathungen darüber hatte
die Rechte den Grundsatz möglichster Liberalität befolgt, theils um die Beschlu߬
fähigkeit der Kammern nicht noch länger zu verzögern, theils aus wirklich ver¬
söhnlicher Gesinnung. So kam es, daß in der zweiten Kammer nicht eine ein¬
zige Wahl eines Abgeordneten der linken Seite beanstandet ward. Allein
die Linke befolgte das von der Rechten gegebene Beispiel nicht, warf sich vielmehr
mit einer schlechtverhehlten persönlichen Feindseligkeit auf die bei einzelnen Wahlen
der rechten Seite vorgekommenen Unregelmäßigkeiten und suchte diese Wahlen, wie¬
wohl vergeblich zu cassiren. Nichts desto weniger that die Rechte einen zweiten ver¬
söhnlichen Schritt, indem sie, die damals in beiden Kammern die Mehrheit besaß,
bei der Wahl der Directorien unaufgefordert einigen Mitgliedern der Gegenseite
Stellen darin einräumte. Die Linke schien jedoch die dargebotene Hand so wenig
ergreifen zu wollen, daß mehrere der Gewählten diese Wahl, gleichsam als eine
ihnen aufgedrungene widerwärtige Verpflichtung ablehnten.

Nach diesem Vorspiel war man aus heftige Principienkämpse mit der Linken
beim Beginn der ordentlichen Sitzungen gefaßt. Unerwarteter Weise kam es an¬
ders. War es klug berechneter Plan oder wirklich gewonnene Einsicht von den
Vortheilen einer gemäßigteren Opposition, war es das Gefühl der moralischen Nie-


Greuzboten. l. 1850. 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/73>, abgerufen am 24.07.2024.