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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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zeugniß allerdings nicht das beste: Franz Lengyel war ein motorischer Spion;
Emerich Mikei war früher emeritirter Stuhlrichter, später im Vertrauen der unga¬
rischen Negierung, wurde er in mehreren Angelegenheiten derselben als Commissär
verwendet, trat gleich nach dem Einzug Windischgrätz's zu den Kaiserlichen über,
verrieth dem Feinde mehrere verborgene Monturmagazine, und wirkte eifrig als
k. k. Rekrutiruugscommissär in dem Pesther Comitate. Ofen erhielt von der
ungarischen Regierung einige Tausend Gulden Münze zur Errichtung einer Pulver¬
fabrik in Alkofen, er aber behielt das Geld, arbeitete während der Monate Oktober
und Dezember frisch darauf los, lieferte kein Korn seines Fabrikats dem ungari-
schen Ministerium ab, sondern hob es für eine bessere Kundschaft auf; Daniel No¬
wak und Wilhelm Meyer waren Spione von Fach wie Franz Lengyel.

Dazu Einiges über die 5 Ranzen in Groß-Kikinda. -- Es dürste vielleicht
dem deutschen Leser unbekannt sei", daß der raitzische Vertilgungskrieg in diesem
unansehnlichen Provinzialstädtchen seinen Anfang genommen hat, und zwar aus
folgender Veranlassung, Der schnelle Wechsel des Verhältnisses zwischen Edelmann
und Bauer hatte bei dem letztern manche Begriffsverwirrung hervorgebracht, die
nur zum kleinen Theile vou exaltirten sogenannten Volksfreunden, größtentheils
aber von böswilligen oft gedungenen Aufwieglern zu einem wirklichen Chaos ge¬
steigert wurde. Die letztere" hatten eine ähnliche Aufgabe, wie sie sich zuweilen
die Pariser Polizei gestellt hat, nämlich kleine Krawatte hervorzurufen, der Welt
den Teufel des Sozialismus in der Bauernjacke oder Arbeiterblouse zu zeigen
und zuletzt den Staat zu retten.

Bei dem magyarischen und deutschen Volksstamme wollten, Dank dem gesun¬
den und biedern Sinn, der ihnen tnnewvhnt, diese Manoeuvers nicht gelingen,
schnell aber wurden manche slavische und walachische Gemeinden, die übrigens
auch vor dem März nicht viel über die Gebote von Mein und Dein nachgedacht
hatten, von diesem süßen Gifte iufizirt. -- Die Waldungen und Wiesen waren
es besonders, welche zu Uebergriffen vielfache Veranlassung gaben. -- In Ungarn
fand man nämlich vor dem März sehr wenige Dorfgemeinden, die nicht einen
wenigstens 100jährigen Wald- oder Weideprozeß mit der Herrschaft hatten, und
der Reisende, der in eine Schenke trat, oder sich in dem Schatten eines Wein¬
bergs niederließ, fand bald einen Trink- oder Rastgefährten, der ihm nach der
ersten Begrüßung und einigen gestellten Fragen über die Verhältnisse der Dorf¬
bewohner von der einstigen Größe und dem Reichthum des Dorfes erzählte und
gewöhnlich mit den Worten schloß: "Ja das war Alles, bevor die Herrschaft uns un¬
sern großen Wald genommen und jene Wiese, die von der Mühle, oder dem
Hügel, bis zum Hot->r (Grenzstein) des Dorfes sich erstreckt. Jetzt können wir
kein Holz zum Verkauf in die Stadt führen, und jeder Wirth darf nur eine Kuh
halten, denn das Bischen Weide, welches uns die Herrschaft nicht geraubt hat,
reicht nicht hin mehr Vieh zu ernähren" n. f. w. Zuweilen war eine solche


zeugniß allerdings nicht das beste: Franz Lengyel war ein motorischer Spion;
Emerich Mikei war früher emeritirter Stuhlrichter, später im Vertrauen der unga¬
rischen Negierung, wurde er in mehreren Angelegenheiten derselben als Commissär
verwendet, trat gleich nach dem Einzug Windischgrätz's zu den Kaiserlichen über,
verrieth dem Feinde mehrere verborgene Monturmagazine, und wirkte eifrig als
k. k. Rekrutiruugscommissär in dem Pesther Comitate. Ofen erhielt von der
ungarischen Regierung einige Tausend Gulden Münze zur Errichtung einer Pulver¬
fabrik in Alkofen, er aber behielt das Geld, arbeitete während der Monate Oktober
und Dezember frisch darauf los, lieferte kein Korn seines Fabrikats dem ungari-
schen Ministerium ab, sondern hob es für eine bessere Kundschaft auf; Daniel No¬
wak und Wilhelm Meyer waren Spione von Fach wie Franz Lengyel.

Dazu Einiges über die 5 Ranzen in Groß-Kikinda. — Es dürste vielleicht
dem deutschen Leser unbekannt sei», daß der raitzische Vertilgungskrieg in diesem
unansehnlichen Provinzialstädtchen seinen Anfang genommen hat, und zwar aus
folgender Veranlassung, Der schnelle Wechsel des Verhältnisses zwischen Edelmann
und Bauer hatte bei dem letztern manche Begriffsverwirrung hervorgebracht, die
nur zum kleinen Theile vou exaltirten sogenannten Volksfreunden, größtentheils
aber von böswilligen oft gedungenen Aufwieglern zu einem wirklichen Chaos ge¬
steigert wurde. Die letztere» hatten eine ähnliche Aufgabe, wie sie sich zuweilen
die Pariser Polizei gestellt hat, nämlich kleine Krawatte hervorzurufen, der Welt
den Teufel des Sozialismus in der Bauernjacke oder Arbeiterblouse zu zeigen
und zuletzt den Staat zu retten.

Bei dem magyarischen und deutschen Volksstamme wollten, Dank dem gesun¬
den und biedern Sinn, der ihnen tnnewvhnt, diese Manoeuvers nicht gelingen,
schnell aber wurden manche slavische und walachische Gemeinden, die übrigens
auch vor dem März nicht viel über die Gebote von Mein und Dein nachgedacht
hatten, von diesem süßen Gifte iufizirt. — Die Waldungen und Wiesen waren
es besonders, welche zu Uebergriffen vielfache Veranlassung gaben. — In Ungarn
fand man nämlich vor dem März sehr wenige Dorfgemeinden, die nicht einen
wenigstens 100jährigen Wald- oder Weideprozeß mit der Herrschaft hatten, und
der Reisende, der in eine Schenke trat, oder sich in dem Schatten eines Wein¬
bergs niederließ, fand bald einen Trink- oder Rastgefährten, der ihm nach der
ersten Begrüßung und einigen gestellten Fragen über die Verhältnisse der Dorf¬
bewohner von der einstigen Größe und dem Reichthum des Dorfes erzählte und
gewöhnlich mit den Worten schloß: „Ja das war Alles, bevor die Herrschaft uns un¬
sern großen Wald genommen und jene Wiese, die von der Mühle, oder dem
Hügel, bis zum Hot->r (Grenzstein) des Dorfes sich erstreckt. Jetzt können wir
kein Holz zum Verkauf in die Stadt führen, und jeder Wirth darf nur eine Kuh
halten, denn das Bischen Weide, welches uns die Herrschaft nicht geraubt hat,
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[0517] zeugniß allerdings nicht das beste: Franz Lengyel war ein motorischer Spion; Emerich Mikei war früher emeritirter Stuhlrichter, später im Vertrauen der unga¬ rischen Negierung, wurde er in mehreren Angelegenheiten derselben als Commissär verwendet, trat gleich nach dem Einzug Windischgrätz's zu den Kaiserlichen über, verrieth dem Feinde mehrere verborgene Monturmagazine, und wirkte eifrig als k. k. Rekrutiruugscommissär in dem Pesther Comitate. Ofen erhielt von der ungarischen Regierung einige Tausend Gulden Münze zur Errichtung einer Pulver¬ fabrik in Alkofen, er aber behielt das Geld, arbeitete während der Monate Oktober und Dezember frisch darauf los, lieferte kein Korn seines Fabrikats dem ungari- schen Ministerium ab, sondern hob es für eine bessere Kundschaft auf; Daniel No¬ wak und Wilhelm Meyer waren Spione von Fach wie Franz Lengyel. Dazu Einiges über die 5 Ranzen in Groß-Kikinda. — Es dürste vielleicht dem deutschen Leser unbekannt sei», daß der raitzische Vertilgungskrieg in diesem unansehnlichen Provinzialstädtchen seinen Anfang genommen hat, und zwar aus folgender Veranlassung, Der schnelle Wechsel des Verhältnisses zwischen Edelmann und Bauer hatte bei dem letztern manche Begriffsverwirrung hervorgebracht, die nur zum kleinen Theile vou exaltirten sogenannten Volksfreunden, größtentheils aber von böswilligen oft gedungenen Aufwieglern zu einem wirklichen Chaos ge¬ steigert wurde. Die letztere» hatten eine ähnliche Aufgabe, wie sie sich zuweilen die Pariser Polizei gestellt hat, nämlich kleine Krawatte hervorzurufen, der Welt den Teufel des Sozialismus in der Bauernjacke oder Arbeiterblouse zu zeigen und zuletzt den Staat zu retten. Bei dem magyarischen und deutschen Volksstamme wollten, Dank dem gesun¬ den und biedern Sinn, der ihnen tnnewvhnt, diese Manoeuvers nicht gelingen, schnell aber wurden manche slavische und walachische Gemeinden, die übrigens auch vor dem März nicht viel über die Gebote von Mein und Dein nachgedacht hatten, von diesem süßen Gifte iufizirt. — Die Waldungen und Wiesen waren es besonders, welche zu Uebergriffen vielfache Veranlassung gaben. — In Ungarn fand man nämlich vor dem März sehr wenige Dorfgemeinden, die nicht einen wenigstens 100jährigen Wald- oder Weideprozeß mit der Herrschaft hatten, und der Reisende, der in eine Schenke trat, oder sich in dem Schatten eines Wein¬ bergs niederließ, fand bald einen Trink- oder Rastgefährten, der ihm nach der ersten Begrüßung und einigen gestellten Fragen über die Verhältnisse der Dorf¬ bewohner von der einstigen Größe und dem Reichthum des Dorfes erzählte und gewöhnlich mit den Worten schloß: „Ja das war Alles, bevor die Herrschaft uns un¬ sern großen Wald genommen und jene Wiese, die von der Mühle, oder dem Hügel, bis zum Hot->r (Grenzstein) des Dorfes sich erstreckt. Jetzt können wir kein Holz zum Verkauf in die Stadt führen, und jeder Wirth darf nur eine Kuh halten, denn das Bischen Weide, welches uns die Herrschaft nicht geraubt hat, reicht nicht hin mehr Vieh zu ernähren" n. f. w. Zuweilen war eine solche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/517>, abgerufen am 23.06.2024.