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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Allein nicht mit Stillschweigen kann man die Anzeige eines Werkes über Ungarn über¬
gehen, dem pomphafte Annoncen vorangehen. Herr Schütte läßt eine Ge¬
schichte der ungarischen Revolution erscheinen. Wir wollen kein Vor-Urtheil fällen;
allein wir sind im guten Recht, wenn wir einige Angaben in der Ankündigung
als nicht richtig bezeichnen, als kalsiu Herr Schütte kennt Ungarn nicht, er
hat nie einen Fuß in dieses Land gesetzt. Das ist aber kein Hinderniß für ein
Talent, die Tagesgeschichte aus den Quellen zu studiren. Herr Schütte kann
nicht ungarisch. Auch das macht nichts. Allein er beruht sich auf die Mitwir¬
kung ungarischer Notabilitäten oder ausgewanderter Kämpfer, und selbst das er¬
klären wir so lange für eine Unwahrheit, bis die Namen bekannt werden; die in
Oestreich blieben, braucht Herr Schütte nicht zu compromittiren, aber die
außerhalb Oestreich leben, und ihm Mittheilungen machen, dürften als Gewähr
des Erzählten genannt werden, denn Herr Schütte selbst weiß nichts von Un¬
garns neuer Geschichte, er kennt nicht einen einzigen seiner Wortführer oder Vor¬
kämpfer, und niemals stand einer derselben mit ihm in Relation. Herr Schütte
nannte den Secretair der ungarischen Gesandtschaft in Paris als seinen Hauptmitarbei-
ter; er weiß aber nicht einmal den Namen desselben richtig zu schreiben (Sarvady
statt Szarvady), und mit Bestimmtheit erklären wir, ohne vorher mit diesem
uns verständigt zu haben, daß er keine Beiträge an Herrn Schütte liefern wird,
eben so wenig wie Pulszkv, den er fälschlich Pnlsky nennt. -- Vielleicht erhielt
jedoch Herr Schütte in Berlin von durchreisenden Magyaren hinlängliches Material,
und er schmückt es mit seiner bekannten Phantasie zu einer hübschen Anekdote aus;
es sei ein willkommener Beitrag, denn es wird wenigstens richtig deutsch geschrie¬
ben sein, was bei den Vorgenannten nicht der Fall ist. -- Wichtiger als alle diese
Speculationsschriften und von historisch-politischem Interesse ist:


Ungarns gutes Recht. Denkschrift von einem Diplomaten.
Erstes Heft. London, 1849. (Watts).

Wenn Pulszky das nicht selbst schrieb, so erschien es doch gewiß nicht ohne
seinen Einfluß. Mit der leidenschaftlichen Sprache des Magyaren werden die Lei¬
den Ungarns unter dem Hause Habsburgs von 1527 bis 1809 erzählt. Ferdi¬
nand I. beschwor die Bulle Andreas II. und alle Landesfreiheiten; er brachte die
Jesuiten in's Land. - Rudolf II. verletzte das Staatsgrnndgesetz der Religionsfrei¬
heit und brachte deutsche und böhmische Beamte nach Ungarn und Söldnerschaaren
unter dem "reißenden wilden Thier" Basta. Gegen diesen König erhob sich Bocs-
kai für das Recht der Nation, und Rudolf mußte die Integrität des Reiches,
vollkommene Religionsfreiheit und Schutz der Verfassung garantiren (1608). Bocs-
kai starb durch Gift. -- Mathias beschwor ebenfalls die Rechte, -- wollte aber
dennoch das Palatinat aufheben und führte die bereits verjagten Jesuiten wieder
ein. -- Ferdinand II. hatte die Verfassung beschworen, aber der Jesuitenzögling
verletzte sie, und erst Bethlens siegende Erhebung zwang ihn zur Beachtung der Na-


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Allein nicht mit Stillschweigen kann man die Anzeige eines Werkes über Ungarn über¬
gehen, dem pomphafte Annoncen vorangehen. Herr Schütte läßt eine Ge¬
schichte der ungarischen Revolution erscheinen. Wir wollen kein Vor-Urtheil fällen;
allein wir sind im guten Recht, wenn wir einige Angaben in der Ankündigung
als nicht richtig bezeichnen, als kalsiu Herr Schütte kennt Ungarn nicht, er
hat nie einen Fuß in dieses Land gesetzt. Das ist aber kein Hinderniß für ein
Talent, die Tagesgeschichte aus den Quellen zu studiren. Herr Schütte kann
nicht ungarisch. Auch das macht nichts. Allein er beruht sich auf die Mitwir¬
kung ungarischer Notabilitäten oder ausgewanderter Kämpfer, und selbst das er¬
klären wir so lange für eine Unwahrheit, bis die Namen bekannt werden; die in
Oestreich blieben, braucht Herr Schütte nicht zu compromittiren, aber die
außerhalb Oestreich leben, und ihm Mittheilungen machen, dürften als Gewähr
des Erzählten genannt werden, denn Herr Schütte selbst weiß nichts von Un¬
garns neuer Geschichte, er kennt nicht einen einzigen seiner Wortführer oder Vor¬
kämpfer, und niemals stand einer derselben mit ihm in Relation. Herr Schütte
nannte den Secretair der ungarischen Gesandtschaft in Paris als seinen Hauptmitarbei-
ter; er weiß aber nicht einmal den Namen desselben richtig zu schreiben (Sarvady
statt Szarvady), und mit Bestimmtheit erklären wir, ohne vorher mit diesem
uns verständigt zu haben, daß er keine Beiträge an Herrn Schütte liefern wird,
eben so wenig wie Pulszkv, den er fälschlich Pnlsky nennt. — Vielleicht erhielt
jedoch Herr Schütte in Berlin von durchreisenden Magyaren hinlängliches Material,
und er schmückt es mit seiner bekannten Phantasie zu einer hübschen Anekdote aus;
es sei ein willkommener Beitrag, denn es wird wenigstens richtig deutsch geschrie¬
ben sein, was bei den Vorgenannten nicht der Fall ist. — Wichtiger als alle diese
Speculationsschriften und von historisch-politischem Interesse ist:


Ungarns gutes Recht. Denkschrift von einem Diplomaten.
Erstes Heft. London, 1849. (Watts).

Wenn Pulszky das nicht selbst schrieb, so erschien es doch gewiß nicht ohne
seinen Einfluß. Mit der leidenschaftlichen Sprache des Magyaren werden die Lei¬
den Ungarns unter dem Hause Habsburgs von 1527 bis 1809 erzählt. Ferdi¬
nand I. beschwor die Bulle Andreas II. und alle Landesfreiheiten; er brachte die
Jesuiten in's Land. - Rudolf II. verletzte das Staatsgrnndgesetz der Religionsfrei¬
heit und brachte deutsche und böhmische Beamte nach Ungarn und Söldnerschaaren
unter dem „reißenden wilden Thier" Basta. Gegen diesen König erhob sich Bocs-
kai für das Recht der Nation, und Rudolf mußte die Integrität des Reiches,
vollkommene Religionsfreiheit und Schutz der Verfassung garantiren (1608). Bocs-
kai starb durch Gift. — Mathias beschwor ebenfalls die Rechte, — wollte aber
dennoch das Palatinat aufheben und führte die bereits verjagten Jesuiten wieder
ein. — Ferdinand II. hatte die Verfassung beschworen, aber der Jesuitenzögling
verletzte sie, und erst Bethlens siegende Erhebung zwang ihn zur Beachtung der Na-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/43>, abgerufen am 20.06.2024.