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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ein Kinderspiel gegen die schreckliche Phantasie eines Dante und Breughel, --
sondern crins dadurch, daß die Folterer mitleiden.

Das eigenthümlichste Kapitel hat die Ueberschrift: Harmonie" noMy",;" et
i-eliA'ieuses. Es handelt vorzugsweise von der Poesie der Ruinen und Grat'er
im Verhältniß zu der sie umgebenden Landschaft, und sucht nachzuweisen, daß
durch die christlichen Einrichtungen, die Glocken, die gothischen Kirchen, die präch¬
tigen Auszüge, selbst die lateinische Sprache beim Gottesdienst, diese innere Poesie
des Gemüths mehr beschäftigt werde, als durch die sinnliche Feier der Alten. Ich
habe schon bei einer andern Gelegenheit erwähut, wie die Frivolität soweit geht,
daß die künstlerische Attitüde des gekreuzigten Erlösers unter die Rechtfertigungen
des Christeuthmus mit aufgenommen wird.

Im Lidern Verlauf wird dann der Spiritualismus der Religion gerade we¬
gen seiner hochgespannter Forderungen gebilligt: jemehr ein Gesetzgeber die natür¬
lichen Neigungen bekämpfe, desto mehr sichere er die Dauer seines Wer?S, dann
wird aber gleich darauf die Gerechtigkeit der Gnade dem strengen Gesetz gegen¬
über gepriesen, und vom Christenthum gesagt, es schone Alles, die Empfindsam¬
keit, die Eigenliebe, selbst die Schwäche. -- Zuerst wird es der Religion nachge¬
eifert, daß sie unverständliche Dinge lehre, am Schluß aber doch wieder erklärt:
weit entfernt, die Unterwerfung der Vernunft zu fordern, erheischt die christliche
Wahrheit vielmehr deren sublimste Uebung. -- Beides ist übrigens richtig, aber
Chateaubriand denkt nicht daran, den Widerspruch zu lösen.

Den Schluß des Werks gebe ich wörtlich.

"Das Christenthum ist vollkommen, die Menschen sind unvollkommen. Nun
kann eine vollkommene Folge nicht aus einer unvollkommenen Voraussetzung ent¬
springen. Folglich ist das Christenthum nicht von den Menschen gekommen. Wenn
es von Gott gekommen ist, so können die Menschen es nnr durch Offenbarung
empfangen haben. -- Folglich ist das Christenthum eine offenbarte Religion." --
Das nennt schein Franzose Logik! -- >

Chateaubriand findet zwar die Welt, seitdem die vortreffliche Erziehung der
Jugend durch die Jesuiten aufgehört hat, sehr schlecht, tröstet sich aber mit dem
Gedanken, die Kirche sei im Ueberfluß und in der Ruhe erkrankt, sie habe des
Kreuzes vergessen, seitdem sie das Kreuz wieder getragen, sei sie gerettet. --

Vergleicht man diese oberflächlichen, spielenden Bemerkungen eines Dilettan¬
ten, der in die Tiefe des christlichen Geistes niemals eingedrungen ist, Bemer¬
kungen, die außer der seit Montesquieu hergebrachten äußerlichen Form keine
Spur von methodischer Entwickelung an sich tragen, mit der energischen Mystik
eines Pascal, die selbst wo sie rast, wie König Lear an die ursprüngliche Maje¬
stät des menschlichen Geistes erinnert, so erscheint der Enthusiasmus, mit dem sie
aufgenommen wurden, unbegreiflich. Ich finde auch keine andere Erklärung, als
daß es zeitgemäß, populär und im französischen Geiste gedacht war. Man war


ein Kinderspiel gegen die schreckliche Phantasie eines Dante und Breughel, —
sondern crins dadurch, daß die Folterer mitleiden.

Das eigenthümlichste Kapitel hat die Ueberschrift: Harmonie« noMy»,;» et
i-eliA'ieuses. Es handelt vorzugsweise von der Poesie der Ruinen und Grat'er
im Verhältniß zu der sie umgebenden Landschaft, und sucht nachzuweisen, daß
durch die christlichen Einrichtungen, die Glocken, die gothischen Kirchen, die präch¬
tigen Auszüge, selbst die lateinische Sprache beim Gottesdienst, diese innere Poesie
des Gemüths mehr beschäftigt werde, als durch die sinnliche Feier der Alten. Ich
habe schon bei einer andern Gelegenheit erwähut, wie die Frivolität soweit geht,
daß die künstlerische Attitüde des gekreuzigten Erlösers unter die Rechtfertigungen
des Christeuthmus mit aufgenommen wird.

Im Lidern Verlauf wird dann der Spiritualismus der Religion gerade we¬
gen seiner hochgespannter Forderungen gebilligt: jemehr ein Gesetzgeber die natür¬
lichen Neigungen bekämpfe, desto mehr sichere er die Dauer seines Wer?S, dann
wird aber gleich darauf die Gerechtigkeit der Gnade dem strengen Gesetz gegen¬
über gepriesen, und vom Christenthum gesagt, es schone Alles, die Empfindsam¬
keit, die Eigenliebe, selbst die Schwäche. — Zuerst wird es der Religion nachge¬
eifert, daß sie unverständliche Dinge lehre, am Schluß aber doch wieder erklärt:
weit entfernt, die Unterwerfung der Vernunft zu fordern, erheischt die christliche
Wahrheit vielmehr deren sublimste Uebung. — Beides ist übrigens richtig, aber
Chateaubriand denkt nicht daran, den Widerspruch zu lösen.

Den Schluß des Werks gebe ich wörtlich.

„Das Christenthum ist vollkommen, die Menschen sind unvollkommen. Nun
kann eine vollkommene Folge nicht aus einer unvollkommenen Voraussetzung ent¬
springen. Folglich ist das Christenthum nicht von den Menschen gekommen. Wenn
es von Gott gekommen ist, so können die Menschen es nnr durch Offenbarung
empfangen haben. — Folglich ist das Christenthum eine offenbarte Religion." —
Das nennt schein Franzose Logik! — >

Chateaubriand findet zwar die Welt, seitdem die vortreffliche Erziehung der
Jugend durch die Jesuiten aufgehört hat, sehr schlecht, tröstet sich aber mit dem
Gedanken, die Kirche sei im Ueberfluß und in der Ruhe erkrankt, sie habe des
Kreuzes vergessen, seitdem sie das Kreuz wieder getragen, sei sie gerettet. —

Vergleicht man diese oberflächlichen, spielenden Bemerkungen eines Dilettan¬
ten, der in die Tiefe des christlichen Geistes niemals eingedrungen ist, Bemer¬
kungen, die außer der seit Montesquieu hergebrachten äußerlichen Form keine
Spur von methodischer Entwickelung an sich tragen, mit der energischen Mystik
eines Pascal, die selbst wo sie rast, wie König Lear an die ursprüngliche Maje¬
stät des menschlichen Geistes erinnert, so erscheint der Enthusiasmus, mit dem sie
aufgenommen wurden, unbegreiflich. Ich finde auch keine andere Erklärung, als
daß es zeitgemäß, populär und im französischen Geiste gedacht war. Man war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/381>, abgerufen am 24.07.2024.