Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.conservativen, aber doch liberalen Absichten. Stadion war die Ehrlichkeit des In Leipzig lernten wir ihn kennen. Eine große, hagere Gestalt, sehr blasses conservativen, aber doch liberalen Absichten. Stadion war die Ehrlichkeit des In Leipzig lernten wir ihn kennen. Eine große, hagere Gestalt, sehr blasses <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93185"/> <p xml:id="ID_1265" prev="#ID_1264"> conservativen, aber doch liberalen Absichten. Stadion war die Ehrlichkeit des<lb/> Schwarzenbergschen Cabinets. — Von ihm erhielt er schon am 10. December<lb/> einen Ministerialpaß für ein Jahr, um bei besserer Gesundheit in Frankfurt sich-<lb/> Einsicht in die deutschen Verhältnisse zu holen. Er reiste, als der Reichstag sich<lb/> auf 11 Tage vertagte, am 6. März ab, und begegnete in der Nacht den Pikets,<lb/> die gegen Kremsier marschirten, um den Reichstag zu sprengen. Ihren Zweck! er¬<lb/> fuhr er erst in Frankfurt. Dort erkrankte er auf's neue, und hat erst in neue¬<lb/> ster Zeit in Leipzig seine Gesundheit einigermaßen wiederhergestellt. Gegenwär¬<lb/> tig lebt er als, Privatmann in Wien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1266"> In Leipzig lernten wir ihn kennen. Eine große, hagere Gestalt, sehr blasses<lb/> und abgezehrtes Gesicht, dunkles Haar, ein sprechendes Auge und überhaupt in¬<lb/> teressante Züge. Er spricht gut und geläufig, doch eignet sich seine Stimme we¬<lb/> nig für die Rednerbühne. Seine Bildung ist sehr umfassend, sein Verstand scharfe<lb/> und empfänglich, und das Oestreichische in seinem Wesen äußert sich nur in der<lb/> Art seiner Bilder, in deu Sprüngen, durch, welche er die verschiedenen Gebiete<lb/> der Natur und der Geschichte mit einander combinirt. Auch haben die tragischen<lb/> Schicksale, welche über sein Vaterland gekommen sind, die sanguinische Reibung<lb/> seiner Ideen nicht getrübt. Dies sanguinische Wesen hat er, hat seine ganze Par¬<lb/> tei auf dem Reichstag gezeigt; ich glaube, in ganz Oestreich hat in dem Schwin¬<lb/> del der glorreichen Revolution kein Einziger die Nothwendigkeit eines furchtbaren<lb/> Conflicts gefühlt, über deu wir draußen uns nicht- täuschen konnten. Alle Oest¬<lb/> reicher waren heißblutige Jünglinge in der Politik. Die Erfahrung ist aber nicht<lb/> ohne sehr wohlthätige Wirkung an ihm vorübergegangen; und seine momentane<lb/> Entfernung aus Oestreich-hat wesentlich dazu beigetragen, seinen Blick freier zu<lb/> machen. Sein Charakter scheint mir mehr, weich, elastisch, bildungsfähig, als von<lb/> der stählernen Sprödigkeit, die einem Führer in Revolutionszeiten zukommt ; einem<lb/> Sturm Trotz zu bieten, oder ihm die Richtung zu geben, würde er kaum der<lb/> Mann sein. Jedenfalls wird sein großes Talent — als Redner hat auf dem-<lb/> Reichstage keiner mit ihm gewetteifert — sein vorurteilsfreier Blick, seine um¬<lb/> fassende Kenntniß und sein redlicher Wille in Zeiten, wo weder das Bayonnett<lb/> noch die Laterne die Souveränität führt, ihn noch einmal an eine Stelle führen,<lb/> wo er in größeren Kreisen für sein Vaterland wird wirken können.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0362]
conservativen, aber doch liberalen Absichten. Stadion war die Ehrlichkeit des
Schwarzenbergschen Cabinets. — Von ihm erhielt er schon am 10. December
einen Ministerialpaß für ein Jahr, um bei besserer Gesundheit in Frankfurt sich-
Einsicht in die deutschen Verhältnisse zu holen. Er reiste, als der Reichstag sich
auf 11 Tage vertagte, am 6. März ab, und begegnete in der Nacht den Pikets,
die gegen Kremsier marschirten, um den Reichstag zu sprengen. Ihren Zweck! er¬
fuhr er erst in Frankfurt. Dort erkrankte er auf's neue, und hat erst in neue¬
ster Zeit in Leipzig seine Gesundheit einigermaßen wiederhergestellt. Gegenwär¬
tig lebt er als, Privatmann in Wien.
In Leipzig lernten wir ihn kennen. Eine große, hagere Gestalt, sehr blasses
und abgezehrtes Gesicht, dunkles Haar, ein sprechendes Auge und überhaupt in¬
teressante Züge. Er spricht gut und geläufig, doch eignet sich seine Stimme we¬
nig für die Rednerbühne. Seine Bildung ist sehr umfassend, sein Verstand scharfe
und empfänglich, und das Oestreichische in seinem Wesen äußert sich nur in der
Art seiner Bilder, in deu Sprüngen, durch, welche er die verschiedenen Gebiete
der Natur und der Geschichte mit einander combinirt. Auch haben die tragischen
Schicksale, welche über sein Vaterland gekommen sind, die sanguinische Reibung
seiner Ideen nicht getrübt. Dies sanguinische Wesen hat er, hat seine ganze Par¬
tei auf dem Reichstag gezeigt; ich glaube, in ganz Oestreich hat in dem Schwin¬
del der glorreichen Revolution kein Einziger die Nothwendigkeit eines furchtbaren
Conflicts gefühlt, über deu wir draußen uns nicht- täuschen konnten. Alle Oest¬
reicher waren heißblutige Jünglinge in der Politik. Die Erfahrung ist aber nicht
ohne sehr wohlthätige Wirkung an ihm vorübergegangen; und seine momentane
Entfernung aus Oestreich-hat wesentlich dazu beigetragen, seinen Blick freier zu
machen. Sein Charakter scheint mir mehr, weich, elastisch, bildungsfähig, als von
der stählernen Sprödigkeit, die einem Führer in Revolutionszeiten zukommt ; einem
Sturm Trotz zu bieten, oder ihm die Richtung zu geben, würde er kaum der
Mann sein. Jedenfalls wird sein großes Talent — als Redner hat auf dem-
Reichstage keiner mit ihm gewetteifert — sein vorurteilsfreier Blick, seine um¬
fassende Kenntniß und sein redlicher Wille in Zeiten, wo weder das Bayonnett
noch die Laterne die Souveränität führt, ihn noch einmal an eine Stelle führen,
wo er in größeren Kreisen für sein Vaterland wird wirken können.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |