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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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erklärt, und die angebliche demokratische Verschwörung hatte sich in einen Pulses
aufgelöst. Am 6. October schien der wahnsinnige Versuch, einige Bataillone vom
Marsch nach Ungarn abzuhalten, mit einem ähnlichen Schlage zu drohn. Jellachich
hatte am 5. in Schönbrunn gespeist! Löhner drängte mit vielen andern vergeblich
bis 5 Uhr Abends auf eine Neichstagssitznng. Strohbach verweigerte sie, bis es
zu spät war; wäre der Reichstag um 3 Uhr zusammengetreten, so war der Kampf
zu vermeiden, Latour war zu retten! Es sollte nicht sein. Der Ausschuß des
Reichstages fand, als er Abends zu Stande kam, weder Gehorsam noch Hilfs¬
mittel. Der Commandant der Nationalgarde hatte nicht zwei Bataillone, mit de¬
nen er das Zeughaus hätte ceruireu können. Es ward erstürmt und geplündert,
und damit das Schicksal Wiens entschieden. Indessen drängten die Anhänger der
Ungarn, man solle sie rufen. Löhner ward wegen der privatim ausgesprochenen
Ueberzeugung, der Reichstag dürfe die Ungarn so wenig rufen, als die Croaten
dulden, verdächtigt, zur Rede gestellt, bedroht. Um 10 Uhr Nachts reiste er mit
Depesche" von Kraus dem Kaiser nach, er versuchte in Znaym alles mögliche,
um durch Franz Karl eine Vermittelung zu bewirke". Die Gerüchte über ein Ge¬
spräch mit der Erzherzogin Sophie sind falsch. -- Er wiederholte seine Versuche
im Auftrag des Reichstags zuletzt in Olmütz am 16., wo er mit einer Depu¬
tation des Reichstages Conferenz hatte. Am 16. Nachts kam er krank in Wien
an, besuchte nur noch am 20. und 21. eine Sitzung, und verließ das Kranken-
lager nur noch, um Anstalten für die Abreise nach Kremsier zu treffen. Dort hin¬
derte ihn sein fortwährender Bluthusten, mehr als 2--3 mal von der Tribüne zu
sprechen. Dafür publicirte er (1. Januar) ein Schreiben an seine Wahlmänner
in der deutschen Frage. In diesem sehr elegant geschriebenen Manifest, in dem
er freilich auf die Möglichkeit hinweist, Deutschland und Oestreich in einem ge¬
meinsamen konstitutionellen (!) Kaisetthum zu einigen, stellt er, diese beschönigende
Eventualität bei Seite gelassen, die Sachlage vollkommen richtig dar. "Als Ein¬
zelner bin ich entschlossen auszuwandern, wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte,
ein Deutscher in Oestreich zu bleiben. Als Ihr Vertreter stehe ich nicht an,
unter bestimmten Voraussetzungen Ihnen zu rathen, Ihren Abgeordneten ans Frank-'
furt zurückzurufen.---Die Einheit des constituirenden Reichstags verträgt sich
nicht mit gleichzeitigem Gesetz-Geben und Nehmen in einem zweiten Parlament....
Schon die Ehre der östreichischen Deputirten erlaubt ihnen nicht, im Frankfurter
Parlamente mitzusitzen, sobald Oestreich sich von dessen Beschlüssen losgesagt,
denn mau kaun nur da mitberathen, wo man für die Befolgung der Beschlüsse
die Bürgschaft mit übernimmt. Und seinerseits kann Deutschland sein Fertigwerden
nicht darum ins Endlose verschieben, weil man mit Oestreich nicht gehen kann,
und ohne Oestreich nicht will." --

Mit Stadion schon früher bekannt, überzeugte sich Löhucr von dessen sehr


Grenzboten. i. 1850. 45

erklärt, und die angebliche demokratische Verschwörung hatte sich in einen Pulses
aufgelöst. Am 6. October schien der wahnsinnige Versuch, einige Bataillone vom
Marsch nach Ungarn abzuhalten, mit einem ähnlichen Schlage zu drohn. Jellachich
hatte am 5. in Schönbrunn gespeist! Löhner drängte mit vielen andern vergeblich
bis 5 Uhr Abends auf eine Neichstagssitznng. Strohbach verweigerte sie, bis es
zu spät war; wäre der Reichstag um 3 Uhr zusammengetreten, so war der Kampf
zu vermeiden, Latour war zu retten! Es sollte nicht sein. Der Ausschuß des
Reichstages fand, als er Abends zu Stande kam, weder Gehorsam noch Hilfs¬
mittel. Der Commandant der Nationalgarde hatte nicht zwei Bataillone, mit de¬
nen er das Zeughaus hätte ceruireu können. Es ward erstürmt und geplündert,
und damit das Schicksal Wiens entschieden. Indessen drängten die Anhänger der
Ungarn, man solle sie rufen. Löhner ward wegen der privatim ausgesprochenen
Ueberzeugung, der Reichstag dürfe die Ungarn so wenig rufen, als die Croaten
dulden, verdächtigt, zur Rede gestellt, bedroht. Um 10 Uhr Nachts reiste er mit
Depesche» von Kraus dem Kaiser nach, er versuchte in Znaym alles mögliche,
um durch Franz Karl eine Vermittelung zu bewirke». Die Gerüchte über ein Ge¬
spräch mit der Erzherzogin Sophie sind falsch. — Er wiederholte seine Versuche
im Auftrag des Reichstags zuletzt in Olmütz am 16., wo er mit einer Depu¬
tation des Reichstages Conferenz hatte. Am 16. Nachts kam er krank in Wien
an, besuchte nur noch am 20. und 21. eine Sitzung, und verließ das Kranken-
lager nur noch, um Anstalten für die Abreise nach Kremsier zu treffen. Dort hin¬
derte ihn sein fortwährender Bluthusten, mehr als 2—3 mal von der Tribüne zu
sprechen. Dafür publicirte er (1. Januar) ein Schreiben an seine Wahlmänner
in der deutschen Frage. In diesem sehr elegant geschriebenen Manifest, in dem
er freilich auf die Möglichkeit hinweist, Deutschland und Oestreich in einem ge¬
meinsamen konstitutionellen (!) Kaisetthum zu einigen, stellt er, diese beschönigende
Eventualität bei Seite gelassen, die Sachlage vollkommen richtig dar. „Als Ein¬
zelner bin ich entschlossen auszuwandern, wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte,
ein Deutscher in Oestreich zu bleiben. Als Ihr Vertreter stehe ich nicht an,
unter bestimmten Voraussetzungen Ihnen zu rathen, Ihren Abgeordneten ans Frank-'
furt zurückzurufen.---Die Einheit des constituirenden Reichstags verträgt sich
nicht mit gleichzeitigem Gesetz-Geben und Nehmen in einem zweiten Parlament....
Schon die Ehre der östreichischen Deputirten erlaubt ihnen nicht, im Frankfurter
Parlamente mitzusitzen, sobald Oestreich sich von dessen Beschlüssen losgesagt,
denn mau kaun nur da mitberathen, wo man für die Befolgung der Beschlüsse
die Bürgschaft mit übernimmt. Und seinerseits kann Deutschland sein Fertigwerden
nicht darum ins Endlose verschieben, weil man mit Oestreich nicht gehen kann,
und ohne Oestreich nicht will." —

Mit Stadion schon früher bekannt, überzeugte sich Löhucr von dessen sehr


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[0361] erklärt, und die angebliche demokratische Verschwörung hatte sich in einen Pulses aufgelöst. Am 6. October schien der wahnsinnige Versuch, einige Bataillone vom Marsch nach Ungarn abzuhalten, mit einem ähnlichen Schlage zu drohn. Jellachich hatte am 5. in Schönbrunn gespeist! Löhner drängte mit vielen andern vergeblich bis 5 Uhr Abends auf eine Neichstagssitznng. Strohbach verweigerte sie, bis es zu spät war; wäre der Reichstag um 3 Uhr zusammengetreten, so war der Kampf zu vermeiden, Latour war zu retten! Es sollte nicht sein. Der Ausschuß des Reichstages fand, als er Abends zu Stande kam, weder Gehorsam noch Hilfs¬ mittel. Der Commandant der Nationalgarde hatte nicht zwei Bataillone, mit de¬ nen er das Zeughaus hätte ceruireu können. Es ward erstürmt und geplündert, und damit das Schicksal Wiens entschieden. Indessen drängten die Anhänger der Ungarn, man solle sie rufen. Löhner ward wegen der privatim ausgesprochenen Ueberzeugung, der Reichstag dürfe die Ungarn so wenig rufen, als die Croaten dulden, verdächtigt, zur Rede gestellt, bedroht. Um 10 Uhr Nachts reiste er mit Depesche» von Kraus dem Kaiser nach, er versuchte in Znaym alles mögliche, um durch Franz Karl eine Vermittelung zu bewirke». Die Gerüchte über ein Ge¬ spräch mit der Erzherzogin Sophie sind falsch. — Er wiederholte seine Versuche im Auftrag des Reichstags zuletzt in Olmütz am 16., wo er mit einer Depu¬ tation des Reichstages Conferenz hatte. Am 16. Nachts kam er krank in Wien an, besuchte nur noch am 20. und 21. eine Sitzung, und verließ das Kranken- lager nur noch, um Anstalten für die Abreise nach Kremsier zu treffen. Dort hin¬ derte ihn sein fortwährender Bluthusten, mehr als 2—3 mal von der Tribüne zu sprechen. Dafür publicirte er (1. Januar) ein Schreiben an seine Wahlmänner in der deutschen Frage. In diesem sehr elegant geschriebenen Manifest, in dem er freilich auf die Möglichkeit hinweist, Deutschland und Oestreich in einem ge¬ meinsamen konstitutionellen (!) Kaisetthum zu einigen, stellt er, diese beschönigende Eventualität bei Seite gelassen, die Sachlage vollkommen richtig dar. „Als Ein¬ zelner bin ich entschlossen auszuwandern, wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte, ein Deutscher in Oestreich zu bleiben. Als Ihr Vertreter stehe ich nicht an, unter bestimmten Voraussetzungen Ihnen zu rathen, Ihren Abgeordneten ans Frank-' furt zurückzurufen.---Die Einheit des constituirenden Reichstags verträgt sich nicht mit gleichzeitigem Gesetz-Geben und Nehmen in einem zweiten Parlament.... Schon die Ehre der östreichischen Deputirten erlaubt ihnen nicht, im Frankfurter Parlamente mitzusitzen, sobald Oestreich sich von dessen Beschlüssen losgesagt, denn mau kaun nur da mitberathen, wo man für die Befolgung der Beschlüsse die Bürgschaft mit übernimmt. Und seinerseits kann Deutschland sein Fertigwerden nicht darum ins Endlose verschieben, weil man mit Oestreich nicht gehen kann, und ohne Oestreich nicht will." — Mit Stadion schon früher bekannt, überzeugte sich Löhucr von dessen sehr Grenzboten. i. 1850. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/361>, abgerufen am 26.06.2024.