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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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letzten Jahre den Mangel an nachhaltiger Kraft, die kindische fliegende Hitze der
Massen und ihre Planlosigkeit zu tadeln geneigt sind, alle jene unseligen Verhält¬
nisse, unter welchen es der östreichischen Disciplin und den Feinden der italienischen
Einheit gelang, eine Restauration der alten Verhältnisse mit tyrannischer Faust
zurückzuführen, so bitte ich Sie doch, die Erhebung von Sizilien nicht mit dem¬
selben Maße zu messen. Diese war bei Weitem verständiger, weil sie mäßiger
war. Ich werde versuchen das im Folgenden zu beweisen.

Ob die ganze Halbinsel einen einzigen, untheilbaren Staat oder eine Föde¬
ration der verschiedenen bestehenden Staaten oder Stämme, ob sie eine Monarchie
oder eine Republik bilden sollte, darüber war man auf der Halbinsel durchaus
nicht einig, die Meinungen waren im Gegentheil gar sehr verschieden, der neuen
Solons oder Lykurgen waren eine unzählige Menge, und die Preßfreiheit gestat¬
tete jedem derselben seine Ansichten, Pläne und Projekte dem allgemeinen Parla¬
mente, der souveränen Volksmenge zur Belehrung, -- so weit sich dieselbe gerade
belehren zu lassen aufgelegt war -- nach Willkür und Gutdünken vorzulegen. Daß
jeder dieser Staatenbildner und Constitutionenmacher dem eigenen Projekte mit
leidenschaftlicher Vorliebe anhing, ist so ziemlich natürlich, so wie auch, daß er
dasselbe als das einzig richtige der Menge anpries und dasselbe hartnäckig ver¬
theidigte, sich und seinem Plane Anhänger zu machen suchte, dadurch die Be¬
griffe verwirrte. Und wie die italienischen Sprachenschattirungen von den Alpen
bis an's ionische Meer in's Unendliche gehen, so brachte dieses Treiben gerade
auch in der Politik des Volkes die größten Differenzen hervor. Es war wie bei
jenem Thurmbau, frommen Andenkens, man verstand sich gar nicht mehr und der
kaum begonnene Bau fiel zuletzt zusammen. In Neapel war dasselbe Leiden der
Unklarheit, der Leidenschaftlichkeit; nicht ebenso in Sizilien.

Um diese Zustände Ihren Lesern verständlich zu machen, gestatten Sie mir,
einen Blick auf das Treiben der königlichen Bourbonen zu werfen. Wahrlich,
wenn Liebe und Anhänglichkeit der Völker zu ihren Herrschern wie im Verhält¬
nisse der Kinder zu den Eltern durch liebreiche Behandlung hervorgerufen werden
soll, so hat sich die in Neapel herrschende Bourbonenfaniilie -- diese "Fremdlinge,
dieser eingedrungene Stamm" -- ein zu geringes Verdienst um ihre Unterthanen
diesseits nud jenseits der PharoS erworben. -- Denn ihre Liebkosungen waren
immer uur Vorbote" irgeud einer neuen Auflage oder eines schlechten Fiuanzge-
setzes und wenn der jetzige König selbst die Sache überlegt, muß er sich gestehen,
die fremde Herrschaft werde nur mit Neid getragen und des Volkes Haß habe
er mit seinen Voreltern gemein. Und wer Gelegenheit hatte, die Provinzen zu
bereisen, die Gesinnungen der Einwohner zu Stadt und Land zu erforschen und
ihre Aeußerungen über die Regierung, den Hof, den König und seine Familie zu
belauschen, der überzeugte sich, daß


Grenzboten. i> 1350. 35

letzten Jahre den Mangel an nachhaltiger Kraft, die kindische fliegende Hitze der
Massen und ihre Planlosigkeit zu tadeln geneigt sind, alle jene unseligen Verhält¬
nisse, unter welchen es der östreichischen Disciplin und den Feinden der italienischen
Einheit gelang, eine Restauration der alten Verhältnisse mit tyrannischer Faust
zurückzuführen, so bitte ich Sie doch, die Erhebung von Sizilien nicht mit dem¬
selben Maße zu messen. Diese war bei Weitem verständiger, weil sie mäßiger
war. Ich werde versuchen das im Folgenden zu beweisen.

Ob die ganze Halbinsel einen einzigen, untheilbaren Staat oder eine Föde¬
ration der verschiedenen bestehenden Staaten oder Stämme, ob sie eine Monarchie
oder eine Republik bilden sollte, darüber war man auf der Halbinsel durchaus
nicht einig, die Meinungen waren im Gegentheil gar sehr verschieden, der neuen
Solons oder Lykurgen waren eine unzählige Menge, und die Preßfreiheit gestat¬
tete jedem derselben seine Ansichten, Pläne und Projekte dem allgemeinen Parla¬
mente, der souveränen Volksmenge zur Belehrung, — so weit sich dieselbe gerade
belehren zu lassen aufgelegt war -- nach Willkür und Gutdünken vorzulegen. Daß
jeder dieser Staatenbildner und Constitutionenmacher dem eigenen Projekte mit
leidenschaftlicher Vorliebe anhing, ist so ziemlich natürlich, so wie auch, daß er
dasselbe als das einzig richtige der Menge anpries und dasselbe hartnäckig ver¬
theidigte, sich und seinem Plane Anhänger zu machen suchte, dadurch die Be¬
griffe verwirrte. Und wie die italienischen Sprachenschattirungen von den Alpen
bis an's ionische Meer in's Unendliche gehen, so brachte dieses Treiben gerade
auch in der Politik des Volkes die größten Differenzen hervor. Es war wie bei
jenem Thurmbau, frommen Andenkens, man verstand sich gar nicht mehr und der
kaum begonnene Bau fiel zuletzt zusammen. In Neapel war dasselbe Leiden der
Unklarheit, der Leidenschaftlichkeit; nicht ebenso in Sizilien.

Um diese Zustände Ihren Lesern verständlich zu machen, gestatten Sie mir,
einen Blick auf das Treiben der königlichen Bourbonen zu werfen. Wahrlich,
wenn Liebe und Anhänglichkeit der Völker zu ihren Herrschern wie im Verhält¬
nisse der Kinder zu den Eltern durch liebreiche Behandlung hervorgerufen werden
soll, so hat sich die in Neapel herrschende Bourbonenfaniilie — diese „Fremdlinge,
dieser eingedrungene Stamm" — ein zu geringes Verdienst um ihre Unterthanen
diesseits nud jenseits der PharoS erworben. — Denn ihre Liebkosungen waren
immer uur Vorbote» irgeud einer neuen Auflage oder eines schlechten Fiuanzge-
setzes und wenn der jetzige König selbst die Sache überlegt, muß er sich gestehen,
die fremde Herrschaft werde nur mit Neid getragen und des Volkes Haß habe
er mit seinen Voreltern gemein. Und wer Gelegenheit hatte, die Provinzen zu
bereisen, die Gesinnungen der Einwohner zu Stadt und Land zu erforschen und
ihre Aeußerungen über die Regierung, den Hof, den König und seine Familie zu
belauschen, der überzeugte sich, daß


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[0281] letzten Jahre den Mangel an nachhaltiger Kraft, die kindische fliegende Hitze der Massen und ihre Planlosigkeit zu tadeln geneigt sind, alle jene unseligen Verhält¬ nisse, unter welchen es der östreichischen Disciplin und den Feinden der italienischen Einheit gelang, eine Restauration der alten Verhältnisse mit tyrannischer Faust zurückzuführen, so bitte ich Sie doch, die Erhebung von Sizilien nicht mit dem¬ selben Maße zu messen. Diese war bei Weitem verständiger, weil sie mäßiger war. Ich werde versuchen das im Folgenden zu beweisen. Ob die ganze Halbinsel einen einzigen, untheilbaren Staat oder eine Föde¬ ration der verschiedenen bestehenden Staaten oder Stämme, ob sie eine Monarchie oder eine Republik bilden sollte, darüber war man auf der Halbinsel durchaus nicht einig, die Meinungen waren im Gegentheil gar sehr verschieden, der neuen Solons oder Lykurgen waren eine unzählige Menge, und die Preßfreiheit gestat¬ tete jedem derselben seine Ansichten, Pläne und Projekte dem allgemeinen Parla¬ mente, der souveränen Volksmenge zur Belehrung, — so weit sich dieselbe gerade belehren zu lassen aufgelegt war -- nach Willkür und Gutdünken vorzulegen. Daß jeder dieser Staatenbildner und Constitutionenmacher dem eigenen Projekte mit leidenschaftlicher Vorliebe anhing, ist so ziemlich natürlich, so wie auch, daß er dasselbe als das einzig richtige der Menge anpries und dasselbe hartnäckig ver¬ theidigte, sich und seinem Plane Anhänger zu machen suchte, dadurch die Be¬ griffe verwirrte. Und wie die italienischen Sprachenschattirungen von den Alpen bis an's ionische Meer in's Unendliche gehen, so brachte dieses Treiben gerade auch in der Politik des Volkes die größten Differenzen hervor. Es war wie bei jenem Thurmbau, frommen Andenkens, man verstand sich gar nicht mehr und der kaum begonnene Bau fiel zuletzt zusammen. In Neapel war dasselbe Leiden der Unklarheit, der Leidenschaftlichkeit; nicht ebenso in Sizilien. Um diese Zustände Ihren Lesern verständlich zu machen, gestatten Sie mir, einen Blick auf das Treiben der königlichen Bourbonen zu werfen. Wahrlich, wenn Liebe und Anhänglichkeit der Völker zu ihren Herrschern wie im Verhält¬ nisse der Kinder zu den Eltern durch liebreiche Behandlung hervorgerufen werden soll, so hat sich die in Neapel herrschende Bourbonenfaniilie — diese „Fremdlinge, dieser eingedrungene Stamm" — ein zu geringes Verdienst um ihre Unterthanen diesseits nud jenseits der PharoS erworben. — Denn ihre Liebkosungen waren immer uur Vorbote» irgeud einer neuen Auflage oder eines schlechten Fiuanzge- setzes und wenn der jetzige König selbst die Sache überlegt, muß er sich gestehen, die fremde Herrschaft werde nur mit Neid getragen und des Volkes Haß habe er mit seinen Voreltern gemein. Und wer Gelegenheit hatte, die Provinzen zu bereisen, die Gesinnungen der Einwohner zu Stadt und Land zu erforschen und ihre Aeußerungen über die Regierung, den Hof, den König und seine Familie zu belauschen, der überzeugte sich, daß Grenzboten. i> 1350. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/281>, abgerufen am 20.06.2024.