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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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um vermeidet, und die man beim Gebrauch nur mit einer Kneipzange anfaßt, um
sich nicht zu beschmutzen; es gibt Menschen, denen man sich so ferne hält, daß
nicht einmal das Kleid im Vorbeistreifen berührt werde. Einem solchen Menschen
und solchen Dingen gegenüber befindet sich der Kritiker dieses Buches. Die Presse
hat nicht so bald ein ähnliches Erzeugniß der Gemeinheit und Verworfenheit, der
Ignoranz und Böswilligkeit, des Spijzelthumö und der Nadererei auf den Markt
geschleudert. Nur im Sumpfe des Belagerungszustandes können solche Pamphlete
gedeihen.

Die Militärbehörde der Residenz wird aus diesem Libelle erkennen, welche
Spießgesellen unter ihrer Obhut sich als Lobpreiser des Kaisers und der Regie¬
rung hervorwagen dürfen; sie wird erkennen, wohin die Censur führt, welche den
ehrlichen Freimuth erstickt, damit niam den Uhuruf solcher Vögel höre. Wir wür¬
den die persönliche Ehre aller jener Männer angreifen, welche Theil haben an der
Regierung oder an der Execntivgewalt, wenn wir ihnen zumutheten, um die Ver¬
öffentlichung dieses Buches vorher gewußt zu haben; allein es erschien unter ihrer
Aegide, und der Wiener Verleger, Sollinger, glaubte wohl durch dieses Werk sich
einen patriotischen Anstrich zu geben. Unerklärbar bleibt es sonst, daß ein gebil¬
deter Mann durch solche Bücher seiue Handlungsfirma verunzieren läßt.

Nach diesem Vorworte fühlen wir uns verpflichtet, dem freundlichen Leser
eine Einsicht in dieses Werk zu verschaffen; er soll selbst urtheilen, es bedarf nicht
unserer Kritik. Wir werden mehrere Stellen excerpiren, und bemerken nur noch,
daß es sich hier gar uicht um eine politische Tendenz handle; man würde dem
Autor und seiner Schrift unverdiente Ehre erweisen, ihm überhaupt Politik oder
Tendenz zuzumuthen, und die Regierung, der er angeblich dient, hätte Grund
genug, ihm jene Strafe dafür zu Theil werden zu lassen, die er bereits einmal,
da er als gemeiner Kürassier in der Armee diente, envio consnoto erdul¬
den mußte.

Das Tagebuch der Revolution beginnt mit einem Rückblick auf das Jahr 1847,
in welchem ein Ehepaar in der Zips aus Hunger ein bettelndes Mädchen ab¬
schlachtete und verzehrte. "Solche, wenn auch immer nur als psychologische Ano¬
malien (?!) auftauchende Entwürdigungen des Menschengeschlechts dürfen am We¬
nigsten in Ungarn Staunen erregen, allwo die Bewohner der unabsehbaren Pußten
und endlosen Steppe" vor dem in der Wildniß lebenden Thiere sich noch immer
durch nichts Anderes auszeichnen, als einzig und allein durch das Sprachvermö¬
gen, welches einzige Unterscheidungsmerkmal sie aber wieder nur in so' wett zu
gebrauchen wissen, als sie dessen zur Mittheilung und Befriedigung ihrer thieri¬
schen Gelüste unumgänglich bedürfen." '

So beginnt der Herr von Adlerstein; hierauf erzählt er vom Menschenhan-


um vermeidet, und die man beim Gebrauch nur mit einer Kneipzange anfaßt, um
sich nicht zu beschmutzen; es gibt Menschen, denen man sich so ferne hält, daß
nicht einmal das Kleid im Vorbeistreifen berührt werde. Einem solchen Menschen
und solchen Dingen gegenüber befindet sich der Kritiker dieses Buches. Die Presse
hat nicht so bald ein ähnliches Erzeugniß der Gemeinheit und Verworfenheit, der
Ignoranz und Böswilligkeit, des Spijzelthumö und der Nadererei auf den Markt
geschleudert. Nur im Sumpfe des Belagerungszustandes können solche Pamphlete
gedeihen.

Die Militärbehörde der Residenz wird aus diesem Libelle erkennen, welche
Spießgesellen unter ihrer Obhut sich als Lobpreiser des Kaisers und der Regie¬
rung hervorwagen dürfen; sie wird erkennen, wohin die Censur führt, welche den
ehrlichen Freimuth erstickt, damit niam den Uhuruf solcher Vögel höre. Wir wür¬
den die persönliche Ehre aller jener Männer angreifen, welche Theil haben an der
Regierung oder an der Execntivgewalt, wenn wir ihnen zumutheten, um die Ver¬
öffentlichung dieses Buches vorher gewußt zu haben; allein es erschien unter ihrer
Aegide, und der Wiener Verleger, Sollinger, glaubte wohl durch dieses Werk sich
einen patriotischen Anstrich zu geben. Unerklärbar bleibt es sonst, daß ein gebil¬
deter Mann durch solche Bücher seiue Handlungsfirma verunzieren läßt.

Nach diesem Vorworte fühlen wir uns verpflichtet, dem freundlichen Leser
eine Einsicht in dieses Werk zu verschaffen; er soll selbst urtheilen, es bedarf nicht
unserer Kritik. Wir werden mehrere Stellen excerpiren, und bemerken nur noch,
daß es sich hier gar uicht um eine politische Tendenz handle; man würde dem
Autor und seiner Schrift unverdiente Ehre erweisen, ihm überhaupt Politik oder
Tendenz zuzumuthen, und die Regierung, der er angeblich dient, hätte Grund
genug, ihm jene Strafe dafür zu Theil werden zu lassen, die er bereits einmal,
da er als gemeiner Kürassier in der Armee diente, envio consnoto erdul¬
den mußte.

Das Tagebuch der Revolution beginnt mit einem Rückblick auf das Jahr 1847,
in welchem ein Ehepaar in der Zips aus Hunger ein bettelndes Mädchen ab¬
schlachtete und verzehrte. „Solche, wenn auch immer nur als psychologische Ano¬
malien (?!) auftauchende Entwürdigungen des Menschengeschlechts dürfen am We¬
nigsten in Ungarn Staunen erregen, allwo die Bewohner der unabsehbaren Pußten
und endlosen Steppe» vor dem in der Wildniß lebenden Thiere sich noch immer
durch nichts Anderes auszeichnen, als einzig und allein durch das Sprachvermö¬
gen, welches einzige Unterscheidungsmerkmal sie aber wieder nur in so' wett zu
gebrauchen wissen, als sie dessen zur Mittheilung und Befriedigung ihrer thieri¬
schen Gelüste unumgänglich bedürfen." '

So beginnt der Herr von Adlerstein; hierauf erzählt er vom Menschenhan-


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[0272] um vermeidet, und die man beim Gebrauch nur mit einer Kneipzange anfaßt, um sich nicht zu beschmutzen; es gibt Menschen, denen man sich so ferne hält, daß nicht einmal das Kleid im Vorbeistreifen berührt werde. Einem solchen Menschen und solchen Dingen gegenüber befindet sich der Kritiker dieses Buches. Die Presse hat nicht so bald ein ähnliches Erzeugniß der Gemeinheit und Verworfenheit, der Ignoranz und Böswilligkeit, des Spijzelthumö und der Nadererei auf den Markt geschleudert. Nur im Sumpfe des Belagerungszustandes können solche Pamphlete gedeihen. Die Militärbehörde der Residenz wird aus diesem Libelle erkennen, welche Spießgesellen unter ihrer Obhut sich als Lobpreiser des Kaisers und der Regie¬ rung hervorwagen dürfen; sie wird erkennen, wohin die Censur führt, welche den ehrlichen Freimuth erstickt, damit niam den Uhuruf solcher Vögel höre. Wir wür¬ den die persönliche Ehre aller jener Männer angreifen, welche Theil haben an der Regierung oder an der Execntivgewalt, wenn wir ihnen zumutheten, um die Ver¬ öffentlichung dieses Buches vorher gewußt zu haben; allein es erschien unter ihrer Aegide, und der Wiener Verleger, Sollinger, glaubte wohl durch dieses Werk sich einen patriotischen Anstrich zu geben. Unerklärbar bleibt es sonst, daß ein gebil¬ deter Mann durch solche Bücher seiue Handlungsfirma verunzieren läßt. Nach diesem Vorworte fühlen wir uns verpflichtet, dem freundlichen Leser eine Einsicht in dieses Werk zu verschaffen; er soll selbst urtheilen, es bedarf nicht unserer Kritik. Wir werden mehrere Stellen excerpiren, und bemerken nur noch, daß es sich hier gar uicht um eine politische Tendenz handle; man würde dem Autor und seiner Schrift unverdiente Ehre erweisen, ihm überhaupt Politik oder Tendenz zuzumuthen, und die Regierung, der er angeblich dient, hätte Grund genug, ihm jene Strafe dafür zu Theil werden zu lassen, die er bereits einmal, da er als gemeiner Kürassier in der Armee diente, envio consnoto erdul¬ den mußte. Das Tagebuch der Revolution beginnt mit einem Rückblick auf das Jahr 1847, in welchem ein Ehepaar in der Zips aus Hunger ein bettelndes Mädchen ab¬ schlachtete und verzehrte. „Solche, wenn auch immer nur als psychologische Ano¬ malien (?!) auftauchende Entwürdigungen des Menschengeschlechts dürfen am We¬ nigsten in Ungarn Staunen erregen, allwo die Bewohner der unabsehbaren Pußten und endlosen Steppe» vor dem in der Wildniß lebenden Thiere sich noch immer durch nichts Anderes auszeichnen, als einzig und allein durch das Sprachvermö¬ gen, welches einzige Unterscheidungsmerkmal sie aber wieder nur in so' wett zu gebrauchen wissen, als sie dessen zur Mittheilung und Befriedigung ihrer thieri¬ schen Gelüste unumgänglich bedürfen." ' So beginnt der Herr von Adlerstein; hierauf erzählt er vom Menschenhan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/272>, abgerufen am 27.06.2024.