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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Lastthier der Gesellschaft, seiner verjährten Bürde zu entäußern. Und dieser Adel, dessen
Vorkämpfer den Neigen führten, als es galt gegen den Art. 108 und für den Art.
105 zu stimmen, dieser Adel, der hartnäckig allen Constitutionalismus verleugnet, soll
jetzt den obersten Platz einnehmen in dem Gebäude unserer neuen Verfassung? Wenden
Sie Ihre Blicke nach Mecklenburg, wo die Junker sich gegen Fürst und Verfassung
auflehnen; wir haben keinen Grund, von unseren Junkern ein Besseres zu erwarten.

Die derben Wahrheiten, welche Herr Dunker dem Adel und nebenbei auch dem
Ministerium sagte, veranlaßten Herrn von Manteuffel wieder zu einer Entgegnung,
welche dieses Mal noch unglücklicher ausfiel, als das erste Mal. Wir wollen hier nicht
von der seltsamen Behauptung des Herrn Ministers, bezüglich der östlichen Landestheile
Preußens sprechen, (wo die Bevölkerung ihre Unfreiheit weniger fühle, weil sie durch
ihre slavische Abkunft an Hörigkeit gewöhnt sei!) sondern nur unser Er¬
staunen darüber ausdrücken, daß Herr von Manteuffel zur Vertheidigung der Rechte
des Adels kein besseres Argumnnt finden konnte, als die nicht mehr ganz neue Phrase
von dem bekannten Blutverspritzen der preußischen Junker auf den Schlachtfeldern.
Dergleichen ist nicht nur verbraucht, sondern auch beleidigend für Bürger und Bauer
der preußischen Monarchie, die an Hingebung und Aufopferung für das Vaterland den
Junkern wahrlich niemals nachgestanden haben. Noch eine charakteristische Aeußerung
des Herrn von Manteuffel müssen wir hervorheben. "Ein geehrter Vorredner (Harkort)
-- sagte er -- hat von der angeblich wohlüberlegten Weise gesprochen, mit wel¬
cher die königliche Botschaft gerade in der zwölften Stunde von uns zur Cabinetsfrage
gemacht worden sei. Das ist unrichtig. Wenn ich zu tadeln bin in meiner Handlungs¬
weise, so kann es nur deshalb sein, daß ich immer ohne Ueberlegung gesprochen,
wie es mir eben aus dem Herzen gekommen, offen und ehrlich!" -- Wir glauben Hru.
von Manteuffel Alles eher, als daß er seine Politik mit dem Herzen mache.

Der Abgeordnete Geppert, welcher jetzt die Tribüne betrat, bedauert, daß die
Allerhöchste Botschaft so spät gekommen, will aber sein Urtheil nickt nach diesem Be¬
dauern einrichten, denn die Botschaft selbst sei gut und löblich. Daraus bewegte er
sich eine halbe Stunde lang in Gemeinplätzen, die nichts weniger, als gut und löblich
waren. Von Zeit zu Zeit suchte er die Versammlung durch ein Citat aus Göthe,
oder durch Witze zu überraschen, deren tiefer Sinn mir vollständig verschlossen blieb.
Z. B. "Bedenken Sie, meine Herren, bevor Sie von den Gefahren sprechen, mit
welchen die Annahme der Negierungsvorschläge uns bedrohe, daß der größte Feind der
Wahrheit die Halbwahrhcit und Uebertreibung ist!" -- "Ob er nicht merkt, wie lang¬
weilig er ist?" frug meine Nachbarin mit einem langgezogenen Seufzer. -- "Irre ich
nicht, meine Herren, so ... -- "Ja, Sie irren!" horte ich hinter mir rufen. --
Herr Geppert aber fuhr in eintöniger Weise fort: "Man hat uns eine Minoritäts¬
kammer genannt! das ist unrecht; denn, meine Herren! wenn ich mein Mandat nicht
für vollgiltig hielte, so wäre ich nimmer hierher gekommen!" -- Er hätte wohl daran
gethan. Selbst die Minister, in deren Juteresse er doch sprach, gähnten während sei¬
ner Rede.

Es wurden verschiedene Anträge auf Schluß der Diskussion eingereicht und
angenommen; unter allgemeiner Aufmerksamkeit nahm der Berichterstatter Simson
das Wort.

Er begann mit dem Versprechen, sehr kurz sein zu wollen, in Betracht der Wich¬
tigkeit des Augenblicks -- hielt aber sein Versprechen nicht. Sein Vortrag war lang
und -- obgleich viele Zeitungen eben diese Rede als ein Meisterstück der Rhetorik ge¬
priesen haben, und die Versammlung selbst am Schluß in lautes Bravorufen ausbrach,
--- wenn ich ehrlich reden soll, ich hatte mehr erwartet, und halte diese. Rede nicht für
seine beste. Es ist mir kein anderer Eindruck geblieben, als daß er eine sehr große
Gewandtheit des Wortes besitzt; seine Citate aus Tacitus ärgerten mich.


Lastthier der Gesellschaft, seiner verjährten Bürde zu entäußern. Und dieser Adel, dessen
Vorkämpfer den Neigen führten, als es galt gegen den Art. 108 und für den Art.
105 zu stimmen, dieser Adel, der hartnäckig allen Constitutionalismus verleugnet, soll
jetzt den obersten Platz einnehmen in dem Gebäude unserer neuen Verfassung? Wenden
Sie Ihre Blicke nach Mecklenburg, wo die Junker sich gegen Fürst und Verfassung
auflehnen; wir haben keinen Grund, von unseren Junkern ein Besseres zu erwarten.

Die derben Wahrheiten, welche Herr Dunker dem Adel und nebenbei auch dem
Ministerium sagte, veranlaßten Herrn von Manteuffel wieder zu einer Entgegnung,
welche dieses Mal noch unglücklicher ausfiel, als das erste Mal. Wir wollen hier nicht
von der seltsamen Behauptung des Herrn Ministers, bezüglich der östlichen Landestheile
Preußens sprechen, (wo die Bevölkerung ihre Unfreiheit weniger fühle, weil sie durch
ihre slavische Abkunft an Hörigkeit gewöhnt sei!) sondern nur unser Er¬
staunen darüber ausdrücken, daß Herr von Manteuffel zur Vertheidigung der Rechte
des Adels kein besseres Argumnnt finden konnte, als die nicht mehr ganz neue Phrase
von dem bekannten Blutverspritzen der preußischen Junker auf den Schlachtfeldern.
Dergleichen ist nicht nur verbraucht, sondern auch beleidigend für Bürger und Bauer
der preußischen Monarchie, die an Hingebung und Aufopferung für das Vaterland den
Junkern wahrlich niemals nachgestanden haben. Noch eine charakteristische Aeußerung
des Herrn von Manteuffel müssen wir hervorheben. „Ein geehrter Vorredner (Harkort)
— sagte er — hat von der angeblich wohlüberlegten Weise gesprochen, mit wel¬
cher die königliche Botschaft gerade in der zwölften Stunde von uns zur Cabinetsfrage
gemacht worden sei. Das ist unrichtig. Wenn ich zu tadeln bin in meiner Handlungs¬
weise, so kann es nur deshalb sein, daß ich immer ohne Ueberlegung gesprochen,
wie es mir eben aus dem Herzen gekommen, offen und ehrlich!" — Wir glauben Hru.
von Manteuffel Alles eher, als daß er seine Politik mit dem Herzen mache.

Der Abgeordnete Geppert, welcher jetzt die Tribüne betrat, bedauert, daß die
Allerhöchste Botschaft so spät gekommen, will aber sein Urtheil nickt nach diesem Be¬
dauern einrichten, denn die Botschaft selbst sei gut und löblich. Daraus bewegte er
sich eine halbe Stunde lang in Gemeinplätzen, die nichts weniger, als gut und löblich
waren. Von Zeit zu Zeit suchte er die Versammlung durch ein Citat aus Göthe,
oder durch Witze zu überraschen, deren tiefer Sinn mir vollständig verschlossen blieb.
Z. B. „Bedenken Sie, meine Herren, bevor Sie von den Gefahren sprechen, mit
welchen die Annahme der Negierungsvorschläge uns bedrohe, daß der größte Feind der
Wahrheit die Halbwahrhcit und Uebertreibung ist!" — „Ob er nicht merkt, wie lang¬
weilig er ist?" frug meine Nachbarin mit einem langgezogenen Seufzer. — „Irre ich
nicht, meine Herren, so ... — „Ja, Sie irren!" horte ich hinter mir rufen. —
Herr Geppert aber fuhr in eintöniger Weise fort: „Man hat uns eine Minoritäts¬
kammer genannt! das ist unrecht; denn, meine Herren! wenn ich mein Mandat nicht
für vollgiltig hielte, so wäre ich nimmer hierher gekommen!" — Er hätte wohl daran
gethan. Selbst die Minister, in deren Juteresse er doch sprach, gähnten während sei¬
ner Rede.

Es wurden verschiedene Anträge auf Schluß der Diskussion eingereicht und
angenommen; unter allgemeiner Aufmerksamkeit nahm der Berichterstatter Simson
das Wort.

Er begann mit dem Versprechen, sehr kurz sein zu wollen, in Betracht der Wich¬
tigkeit des Augenblicks — hielt aber sein Versprechen nicht. Sein Vortrag war lang
und — obgleich viele Zeitungen eben diese Rede als ein Meisterstück der Rhetorik ge¬
priesen haben, und die Versammlung selbst am Schluß in lautes Bravorufen ausbrach,
—- wenn ich ehrlich reden soll, ich hatte mehr erwartet, und halte diese. Rede nicht für
seine beste. Es ist mir kein anderer Eindruck geblieben, als daß er eine sehr große
Gewandtheit des Wortes besitzt; seine Citate aus Tacitus ärgerten mich.


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[0245] Lastthier der Gesellschaft, seiner verjährten Bürde zu entäußern. Und dieser Adel, dessen Vorkämpfer den Neigen führten, als es galt gegen den Art. 108 und für den Art. 105 zu stimmen, dieser Adel, der hartnäckig allen Constitutionalismus verleugnet, soll jetzt den obersten Platz einnehmen in dem Gebäude unserer neuen Verfassung? Wenden Sie Ihre Blicke nach Mecklenburg, wo die Junker sich gegen Fürst und Verfassung auflehnen; wir haben keinen Grund, von unseren Junkern ein Besseres zu erwarten. Die derben Wahrheiten, welche Herr Dunker dem Adel und nebenbei auch dem Ministerium sagte, veranlaßten Herrn von Manteuffel wieder zu einer Entgegnung, welche dieses Mal noch unglücklicher ausfiel, als das erste Mal. Wir wollen hier nicht von der seltsamen Behauptung des Herrn Ministers, bezüglich der östlichen Landestheile Preußens sprechen, (wo die Bevölkerung ihre Unfreiheit weniger fühle, weil sie durch ihre slavische Abkunft an Hörigkeit gewöhnt sei!) sondern nur unser Er¬ staunen darüber ausdrücken, daß Herr von Manteuffel zur Vertheidigung der Rechte des Adels kein besseres Argumnnt finden konnte, als die nicht mehr ganz neue Phrase von dem bekannten Blutverspritzen der preußischen Junker auf den Schlachtfeldern. Dergleichen ist nicht nur verbraucht, sondern auch beleidigend für Bürger und Bauer der preußischen Monarchie, die an Hingebung und Aufopferung für das Vaterland den Junkern wahrlich niemals nachgestanden haben. Noch eine charakteristische Aeußerung des Herrn von Manteuffel müssen wir hervorheben. „Ein geehrter Vorredner (Harkort) — sagte er — hat von der angeblich wohlüberlegten Weise gesprochen, mit wel¬ cher die königliche Botschaft gerade in der zwölften Stunde von uns zur Cabinetsfrage gemacht worden sei. Das ist unrichtig. Wenn ich zu tadeln bin in meiner Handlungs¬ weise, so kann es nur deshalb sein, daß ich immer ohne Ueberlegung gesprochen, wie es mir eben aus dem Herzen gekommen, offen und ehrlich!" — Wir glauben Hru. von Manteuffel Alles eher, als daß er seine Politik mit dem Herzen mache. Der Abgeordnete Geppert, welcher jetzt die Tribüne betrat, bedauert, daß die Allerhöchste Botschaft so spät gekommen, will aber sein Urtheil nickt nach diesem Be¬ dauern einrichten, denn die Botschaft selbst sei gut und löblich. Daraus bewegte er sich eine halbe Stunde lang in Gemeinplätzen, die nichts weniger, als gut und löblich waren. Von Zeit zu Zeit suchte er die Versammlung durch ein Citat aus Göthe, oder durch Witze zu überraschen, deren tiefer Sinn mir vollständig verschlossen blieb. Z. B. „Bedenken Sie, meine Herren, bevor Sie von den Gefahren sprechen, mit welchen die Annahme der Negierungsvorschläge uns bedrohe, daß der größte Feind der Wahrheit die Halbwahrhcit und Uebertreibung ist!" — „Ob er nicht merkt, wie lang¬ weilig er ist?" frug meine Nachbarin mit einem langgezogenen Seufzer. — „Irre ich nicht, meine Herren, so ... — „Ja, Sie irren!" horte ich hinter mir rufen. — Herr Geppert aber fuhr in eintöniger Weise fort: „Man hat uns eine Minoritäts¬ kammer genannt! das ist unrecht; denn, meine Herren! wenn ich mein Mandat nicht für vollgiltig hielte, so wäre ich nimmer hierher gekommen!" — Er hätte wohl daran gethan. Selbst die Minister, in deren Juteresse er doch sprach, gähnten während sei¬ ner Rede. Es wurden verschiedene Anträge auf Schluß der Diskussion eingereicht und angenommen; unter allgemeiner Aufmerksamkeit nahm der Berichterstatter Simson das Wort. Er begann mit dem Versprechen, sehr kurz sein zu wollen, in Betracht der Wich¬ tigkeit des Augenblicks — hielt aber sein Versprechen nicht. Sein Vortrag war lang und — obgleich viele Zeitungen eben diese Rede als ein Meisterstück der Rhetorik ge¬ priesen haben, und die Versammlung selbst am Schluß in lautes Bravorufen ausbrach, —- wenn ich ehrlich reden soll, ich hatte mehr erwartet, und halte diese. Rede nicht für seine beste. Es ist mir kein anderer Eindruck geblieben, als daß er eine sehr große Gewandtheit des Wortes besitzt; seine Citate aus Tacitus ärgerten mich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/245>, abgerufen am 29.06.2024.