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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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sche von den Russen geschlagen und die Vereinigung Görgey's mit Dembinski
unmöglich gemacht werden, um dem ungarischen Volke die Nothwendigkeit einer
Transaction begreiflich zu machen. Daher seine UntlMgkeit bei Debreczin,
daher sein Anlangen in Arad, nachdem das Nagy'sche Corps bei Vinga zurück¬
geschlagen worden war.

Es bleibt uns nur eine Frage zu lösen, welche Bedingnisse konnten die Russen
dem Rebellengeneral gestellt haben, die ihn zu solch bedenklicher That verleiten
konnten? Daß sich Görgey -- wie später in Haynau's Plataeer ausgesprochen
wurde -- unbedingt ergeben habe, ist bei dem unbeugsamen Stolze dieses
Mannes und den bedeutenden Kräften, die ihm, besonders nach Kossuth's Ab¬
dankung, noch zu Gebote standen, durchaus nicht denkbar; daß es ferner nicht
persönliche Vortheile sein konnten, die ihm das Wohl, ja die Existenz seiner Na¬
tion abkaufen sollten, bezeugt seiue während des ganzen Krieges an den Tag
gelegte Uneigennützigkeit und sein Schicksal nach der gänzlichen Unterjochung Un¬
garns. Was konnten die Höfe von Wien und Petersburg dem Regenten einer
großen und reichen Nation anbieten? Gold? Das muß man genießen können,
um es zu begehren: in Klagenfurt muß eine Million zur drückenden Last werden.
Würde? Görgey lebt als Gefangener, von den Machthabern vergessen, von den
Völkern verflucht in einem Winkel der östreichischen Monarchie. -- Die Bedin¬
gungen können sich also nur ans Ungarn selbst bezogen haben und hier liegt das
finstere Geheimniß, das nur die Zeit zu lichten vermag, und das dem lebendig¬
todter Manne -in Klagenfurt wie ein Alp auf das zerfleischte Herz drücken muß.
-- Nur so können wir uns den auffallenden Unterschied erklären, der zwischen dem
feindlichen Betragen der Russen am Anfang des Feldzuges und ihrer Leutselig¬
keit während und nach der Entwaffnung bei Vilagos so deutlich hervortritt. --
Glaubenswürdige Augenzeugen haben mir von den Erpressungen und Gewaltthätig¬
keiten erzählt, und der Reisende kann sie noch heute in den Obercomitaten aus
dem Munde des Volkes hören, welche sich die Russen, als sie noch an der Grenze
von Galizien in Mähren standen, gegen das ungarische Volk erlaubten und ich
selbst habe mich wieder von dem humanen, ja herzlichen Benehmen überzeugt, wel¬
ches die nordischen Krieger im August angenommen. Paskicwitsch hat hier einen
meisterhaften Streich geführt. Einerseits wurden dem Görgey in unen unsiche¬
ren Hohlspiegel -- der den unpolitischen Soldaten blenden mußte -- glänzende
Aussichten für Ungarn und die Armee gezeigt, während andererseits dadurch, daß
Rußland hier die Rolle des Pacificators übernahm und die Rolle des Richters
und Henkers an Oestreich überließ, mächtige Sympathien für den Czaren im un¬
garischen Volke geweckt wurden, die bei möglichen Eventualitäten als eine furcht¬
bare Waffe im Fleisch Oestreichs gebraucht werden können. Das Leben Görgey's,
welches von den loyalen Blättern in Wien und nach ihren Principien mit vollem
Rechte gefordert wurde, scheint von den Russen ausdrücklich bedungen zu sein und


sche von den Russen geschlagen und die Vereinigung Görgey's mit Dembinski
unmöglich gemacht werden, um dem ungarischen Volke die Nothwendigkeit einer
Transaction begreiflich zu machen. Daher seine UntlMgkeit bei Debreczin,
daher sein Anlangen in Arad, nachdem das Nagy'sche Corps bei Vinga zurück¬
geschlagen worden war.

Es bleibt uns nur eine Frage zu lösen, welche Bedingnisse konnten die Russen
dem Rebellengeneral gestellt haben, die ihn zu solch bedenklicher That verleiten
konnten? Daß sich Görgey — wie später in Haynau's Plataeer ausgesprochen
wurde — unbedingt ergeben habe, ist bei dem unbeugsamen Stolze dieses
Mannes und den bedeutenden Kräften, die ihm, besonders nach Kossuth's Ab¬
dankung, noch zu Gebote standen, durchaus nicht denkbar; daß es ferner nicht
persönliche Vortheile sein konnten, die ihm das Wohl, ja die Existenz seiner Na¬
tion abkaufen sollten, bezeugt seiue während des ganzen Krieges an den Tag
gelegte Uneigennützigkeit und sein Schicksal nach der gänzlichen Unterjochung Un¬
garns. Was konnten die Höfe von Wien und Petersburg dem Regenten einer
großen und reichen Nation anbieten? Gold? Das muß man genießen können,
um es zu begehren: in Klagenfurt muß eine Million zur drückenden Last werden.
Würde? Görgey lebt als Gefangener, von den Machthabern vergessen, von den
Völkern verflucht in einem Winkel der östreichischen Monarchie. — Die Bedin¬
gungen können sich also nur ans Ungarn selbst bezogen haben und hier liegt das
finstere Geheimniß, das nur die Zeit zu lichten vermag, und das dem lebendig¬
todter Manne -in Klagenfurt wie ein Alp auf das zerfleischte Herz drücken muß.
— Nur so können wir uns den auffallenden Unterschied erklären, der zwischen dem
feindlichen Betragen der Russen am Anfang des Feldzuges und ihrer Leutselig¬
keit während und nach der Entwaffnung bei Vilagos so deutlich hervortritt. —
Glaubenswürdige Augenzeugen haben mir von den Erpressungen und Gewaltthätig¬
keiten erzählt, und der Reisende kann sie noch heute in den Obercomitaten aus
dem Munde des Volkes hören, welche sich die Russen, als sie noch an der Grenze
von Galizien in Mähren standen, gegen das ungarische Volk erlaubten und ich
selbst habe mich wieder von dem humanen, ja herzlichen Benehmen überzeugt, wel¬
ches die nordischen Krieger im August angenommen. Paskicwitsch hat hier einen
meisterhaften Streich geführt. Einerseits wurden dem Görgey in unen unsiche¬
ren Hohlspiegel — der den unpolitischen Soldaten blenden mußte — glänzende
Aussichten für Ungarn und die Armee gezeigt, während andererseits dadurch, daß
Rußland hier die Rolle des Pacificators übernahm und die Rolle des Richters
und Henkers an Oestreich überließ, mächtige Sympathien für den Czaren im un¬
garischen Volke geweckt wurden, die bei möglichen Eventualitäten als eine furcht¬
bare Waffe im Fleisch Oestreichs gebraucht werden können. Das Leben Görgey's,
welches von den loyalen Blättern in Wien und nach ihren Principien mit vollem
Rechte gefordert wurde, scheint von den Russen ausdrücklich bedungen zu sein und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/236>, abgerufen am 29.06.2024.