Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lieben Bauern eine Ueberraschung. Man holte ein hübsches, elf Monate altes
Mutterkalb und zwei Schafe herbei und führte sie, nachdem sie der Gutsherr noch
einmal besichtigt und tüchtig befunden, in das Hochzeithaus, in welchem sich zur
Stunde Niemand befand, als eine alte Frau, die das Hochzeitmahl rüstete. In
dieselbe Stube, wo gerade die Tafel servirt wurde, führte man auch die drei
Thiere und band sie an drei Pfähle fest, welche der Oekonom sehr ungenirt in
den Fußboden des Zimmers einschlug.

Darauf erwartete der Oekonom deu Trauzug. Endlich kam er zurück und
Braut und Bräutigam starrten verwundert auf Kalb und Schafe. Da erklärte
der Oekonom mit Würde, daß das Kalb das Hochzeitsgeschenk des gnädigen Herrn,
die Schafe das Hochzeitsgeschenk der gnädigen Frau seien, und erklärte es für
höchst anständig, wenn sich das Brautpaar unverzüglich bedanken gehe. Neuer
Zug der ganzen Hochzeitgesellschaft nach dem Edelhofe, neues Beschenken des Braut¬
paares durch die Edelleute, unter andern mit zwei preußischen Doppelihalern.
Darauf wieder in's Hochzeithaus zurück; uach einer Weile folgt der Grundherr,
seine Familie und wir Gäste.

Ja, so weit ist es gekommen, der Edelmann ist ein Schmeichler des Bauern
geworden; zwar versucht er diese Erniedrigung vor dem Auge des Bauern so völ¬
lig als möglich in das Gewand seines freien Willens und einer zärtlichen Zunei¬
gung zu hüllen, aber er ist doch uicht im Stande vor einem prüfenden Auge deu
Zwang zu verbergen, den er sich anthun muß. Dieses Verhalten der Edelleute
ist Folge einer förmlichen Verabredung des Adels in Betreff der künftigen Be¬
handlung der Bauern.

An dein Hochzeitmahl nahm der ganze Adel aus dem "Palaste" Theil. Da
er aber uicht Lust hatte, nach Sitte der Bauern unmittelbar aus der großen höl¬
zernen Schüssel oder Gelee die Speisen zum Mund zu fuhren, so mußte der Tisch
neu gedeckt und Teller, Messer und Gabeln aus dem Palaste herbeigebracht wer¬
den. Jeder der Hochzeitgäste erhielt diese ungewöhnlichen Instrumente, und es
war sehr lächerlich, diese guten Leute, die an den Gebrauch derartiger Geräthe
nicht recht gewöhnt sind, mit denselben umgehen zu sehen.

Meine beiden Edelherren waren sehr heiter an der bäurischen Hochzeittafel,
aber diese Herablassung kostete ihnen eine ungeheuere Ueberwindung. Man sah
es ihnen nur zu sehr an, daß sie der Noth und einem Grundsatz gehorchten; die
beiden Damen waren viel weniger durch ihre Herablassung genirt: Ihre Unterhal¬
tung mit deu Bauern war unbefangen und natürlich, oft sehr liebenswürdig und
doch nie ohne Selbstgefühl . . Ihre Männer dagegen mußten zu dem traurigen
Mittel greifen, Scherze und Witze zu forciren, während der Mißmuth in einem
Winkel ihrer Augen lauerte. Allerdings war es nicht unmöglich, daß einer von
den Mördern ihrer Verwandten und Freunde mit unter ihren Tischnachbarn war
und über ihre Witze lachte. Für den stillen Beobachter der menschlichen Natur


lieben Bauern eine Ueberraschung. Man holte ein hübsches, elf Monate altes
Mutterkalb und zwei Schafe herbei und führte sie, nachdem sie der Gutsherr noch
einmal besichtigt und tüchtig befunden, in das Hochzeithaus, in welchem sich zur
Stunde Niemand befand, als eine alte Frau, die das Hochzeitmahl rüstete. In
dieselbe Stube, wo gerade die Tafel servirt wurde, führte man auch die drei
Thiere und band sie an drei Pfähle fest, welche der Oekonom sehr ungenirt in
den Fußboden des Zimmers einschlug.

Darauf erwartete der Oekonom deu Trauzug. Endlich kam er zurück und
Braut und Bräutigam starrten verwundert auf Kalb und Schafe. Da erklärte
der Oekonom mit Würde, daß das Kalb das Hochzeitsgeschenk des gnädigen Herrn,
die Schafe das Hochzeitsgeschenk der gnädigen Frau seien, und erklärte es für
höchst anständig, wenn sich das Brautpaar unverzüglich bedanken gehe. Neuer
Zug der ganzen Hochzeitgesellschaft nach dem Edelhofe, neues Beschenken des Braut¬
paares durch die Edelleute, unter andern mit zwei preußischen Doppelihalern.
Darauf wieder in's Hochzeithaus zurück; uach einer Weile folgt der Grundherr,
seine Familie und wir Gäste.

Ja, so weit ist es gekommen, der Edelmann ist ein Schmeichler des Bauern
geworden; zwar versucht er diese Erniedrigung vor dem Auge des Bauern so völ¬
lig als möglich in das Gewand seines freien Willens und einer zärtlichen Zunei¬
gung zu hüllen, aber er ist doch uicht im Stande vor einem prüfenden Auge deu
Zwang zu verbergen, den er sich anthun muß. Dieses Verhalten der Edelleute
ist Folge einer förmlichen Verabredung des Adels in Betreff der künftigen Be¬
handlung der Bauern.

An dein Hochzeitmahl nahm der ganze Adel aus dem „Palaste" Theil. Da
er aber uicht Lust hatte, nach Sitte der Bauern unmittelbar aus der großen höl¬
zernen Schüssel oder Gelee die Speisen zum Mund zu fuhren, so mußte der Tisch
neu gedeckt und Teller, Messer und Gabeln aus dem Palaste herbeigebracht wer¬
den. Jeder der Hochzeitgäste erhielt diese ungewöhnlichen Instrumente, und es
war sehr lächerlich, diese guten Leute, die an den Gebrauch derartiger Geräthe
nicht recht gewöhnt sind, mit denselben umgehen zu sehen.

Meine beiden Edelherren waren sehr heiter an der bäurischen Hochzeittafel,
aber diese Herablassung kostete ihnen eine ungeheuere Ueberwindung. Man sah
es ihnen nur zu sehr an, daß sie der Noth und einem Grundsatz gehorchten; die
beiden Damen waren viel weniger durch ihre Herablassung genirt: Ihre Unterhal¬
tung mit deu Bauern war unbefangen und natürlich, oft sehr liebenswürdig und
doch nie ohne Selbstgefühl . . Ihre Männer dagegen mußten zu dem traurigen
Mittel greifen, Scherze und Witze zu forciren, während der Mißmuth in einem
Winkel ihrer Augen lauerte. Allerdings war es nicht unmöglich, daß einer von
den Mördern ihrer Verwandten und Freunde mit unter ihren Tischnachbarn war
und über ihre Witze lachte. Für den stillen Beobachter der menschlichen Natur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93054"/>
          <p xml:id="ID_724" prev="#ID_723"> lieben Bauern eine Ueberraschung. Man holte ein hübsches, elf Monate altes<lb/>
Mutterkalb und zwei Schafe herbei und führte sie, nachdem sie der Gutsherr noch<lb/>
einmal besichtigt und tüchtig befunden, in das Hochzeithaus, in welchem sich zur<lb/>
Stunde Niemand befand, als eine alte Frau, die das Hochzeitmahl rüstete. In<lb/>
dieselbe Stube, wo gerade die Tafel servirt wurde, führte man auch die drei<lb/>
Thiere und band sie an drei Pfähle fest, welche der Oekonom sehr ungenirt in<lb/>
den Fußboden des Zimmers einschlug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_725"> Darauf erwartete der Oekonom deu Trauzug. Endlich kam er zurück und<lb/>
Braut und Bräutigam starrten verwundert auf Kalb und Schafe. Da erklärte<lb/>
der Oekonom mit Würde, daß das Kalb das Hochzeitsgeschenk des gnädigen Herrn,<lb/>
die Schafe das Hochzeitsgeschenk der gnädigen Frau seien, und erklärte es für<lb/>
höchst anständig, wenn sich das Brautpaar unverzüglich bedanken gehe. Neuer<lb/>
Zug der ganzen Hochzeitgesellschaft nach dem Edelhofe, neues Beschenken des Braut¬<lb/>
paares durch die Edelleute, unter andern mit zwei preußischen Doppelihalern.<lb/>
Darauf wieder in's Hochzeithaus zurück; uach einer Weile folgt der Grundherr,<lb/>
seine Familie und wir Gäste.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_726"> Ja, so weit ist es gekommen, der Edelmann ist ein Schmeichler des Bauern<lb/>
geworden; zwar versucht er diese Erniedrigung vor dem Auge des Bauern so völ¬<lb/>
lig als möglich in das Gewand seines freien Willens und einer zärtlichen Zunei¬<lb/>
gung zu hüllen, aber er ist doch uicht im Stande vor einem prüfenden Auge deu<lb/>
Zwang zu verbergen, den er sich anthun muß. Dieses Verhalten der Edelleute<lb/>
ist Folge einer förmlichen Verabredung des Adels in Betreff der künftigen Be¬<lb/>
handlung der Bauern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_727"> An dein Hochzeitmahl nahm der ganze Adel aus dem &#x201E;Palaste" Theil. Da<lb/>
er aber uicht Lust hatte, nach Sitte der Bauern unmittelbar aus der großen höl¬<lb/>
zernen Schüssel oder Gelee die Speisen zum Mund zu fuhren, so mußte der Tisch<lb/>
neu gedeckt und Teller, Messer und Gabeln aus dem Palaste herbeigebracht wer¬<lb/>
den. Jeder der Hochzeitgäste erhielt diese ungewöhnlichen Instrumente, und es<lb/>
war sehr lächerlich, diese guten Leute, die an den Gebrauch derartiger Geräthe<lb/>
nicht recht gewöhnt sind, mit denselben umgehen zu sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_728" next="#ID_729"> Meine beiden Edelherren waren sehr heiter an der bäurischen Hochzeittafel,<lb/>
aber diese Herablassung kostete ihnen eine ungeheuere Ueberwindung. Man sah<lb/>
es ihnen nur zu sehr an, daß sie der Noth und einem Grundsatz gehorchten; die<lb/>
beiden Damen waren viel weniger durch ihre Herablassung genirt: Ihre Unterhal¬<lb/>
tung mit deu Bauern war unbefangen und natürlich, oft sehr liebenswürdig und<lb/>
doch nie ohne Selbstgefühl . . Ihre Männer dagegen mußten zu dem traurigen<lb/>
Mittel greifen, Scherze und Witze zu forciren, während der Mißmuth in einem<lb/>
Winkel ihrer Augen lauerte. Allerdings war es nicht unmöglich, daß einer von<lb/>
den Mördern ihrer Verwandten und Freunde mit unter ihren Tischnachbarn war<lb/>
und über ihre Witze lachte.  Für den stillen Beobachter der menschlichen Natur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] lieben Bauern eine Ueberraschung. Man holte ein hübsches, elf Monate altes Mutterkalb und zwei Schafe herbei und führte sie, nachdem sie der Gutsherr noch einmal besichtigt und tüchtig befunden, in das Hochzeithaus, in welchem sich zur Stunde Niemand befand, als eine alte Frau, die das Hochzeitmahl rüstete. In dieselbe Stube, wo gerade die Tafel servirt wurde, führte man auch die drei Thiere und band sie an drei Pfähle fest, welche der Oekonom sehr ungenirt in den Fußboden des Zimmers einschlug. Darauf erwartete der Oekonom deu Trauzug. Endlich kam er zurück und Braut und Bräutigam starrten verwundert auf Kalb und Schafe. Da erklärte der Oekonom mit Würde, daß das Kalb das Hochzeitsgeschenk des gnädigen Herrn, die Schafe das Hochzeitsgeschenk der gnädigen Frau seien, und erklärte es für höchst anständig, wenn sich das Brautpaar unverzüglich bedanken gehe. Neuer Zug der ganzen Hochzeitgesellschaft nach dem Edelhofe, neues Beschenken des Braut¬ paares durch die Edelleute, unter andern mit zwei preußischen Doppelihalern. Darauf wieder in's Hochzeithaus zurück; uach einer Weile folgt der Grundherr, seine Familie und wir Gäste. Ja, so weit ist es gekommen, der Edelmann ist ein Schmeichler des Bauern geworden; zwar versucht er diese Erniedrigung vor dem Auge des Bauern so völ¬ lig als möglich in das Gewand seines freien Willens und einer zärtlichen Zunei¬ gung zu hüllen, aber er ist doch uicht im Stande vor einem prüfenden Auge deu Zwang zu verbergen, den er sich anthun muß. Dieses Verhalten der Edelleute ist Folge einer förmlichen Verabredung des Adels in Betreff der künftigen Be¬ handlung der Bauern. An dein Hochzeitmahl nahm der ganze Adel aus dem „Palaste" Theil. Da er aber uicht Lust hatte, nach Sitte der Bauern unmittelbar aus der großen höl¬ zernen Schüssel oder Gelee die Speisen zum Mund zu fuhren, so mußte der Tisch neu gedeckt und Teller, Messer und Gabeln aus dem Palaste herbeigebracht wer¬ den. Jeder der Hochzeitgäste erhielt diese ungewöhnlichen Instrumente, und es war sehr lächerlich, diese guten Leute, die an den Gebrauch derartiger Geräthe nicht recht gewöhnt sind, mit denselben umgehen zu sehen. Meine beiden Edelherren waren sehr heiter an der bäurischen Hochzeittafel, aber diese Herablassung kostete ihnen eine ungeheuere Ueberwindung. Man sah es ihnen nur zu sehr an, daß sie der Noth und einem Grundsatz gehorchten; die beiden Damen waren viel weniger durch ihre Herablassung genirt: Ihre Unterhal¬ tung mit deu Bauern war unbefangen und natürlich, oft sehr liebenswürdig und doch nie ohne Selbstgefühl . . Ihre Männer dagegen mußten zu dem traurigen Mittel greifen, Scherze und Witze zu forciren, während der Mißmuth in einem Winkel ihrer Augen lauerte. Allerdings war es nicht unmöglich, daß einer von den Mördern ihrer Verwandten und Freunde mit unter ihren Tischnachbarn war und über ihre Witze lachte. Für den stillen Beobachter der menschlichen Natur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/231>, abgerufen am 24.07.2024.