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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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alle hier Betheiligten findet keine weitere gerichtliche Verfolgung statt. -- Entge¬
gen dieser deutlichen Bestimmung werden die heimgekehrten Honveds, Offiziere
und Mannschaft, vor das Gericht gefordert und ohne weitere Prozedur assentirt
und dem Militär eingereiht. Der Oberkommandant erließ ein eigenes Circulair,
worin allen Komorner Kapitulirten angedroht wird, falls sie sich nicht freiwillig
stellten, als Deserteure behandelt zu werden.

Ungeachtet des Belagerungszustandes und des Willkürgouvernements hatten
mehrere ehemalige Offiziere der ungarischen Armee den Muth, sich nach Wien
durchzuschmuggeln und bei der östreichischen Regierung auf Erfüllung des gegebe¬
nen Wortes zu dringen. Welches Loos harrt dieser entschlossenen Männer dort
und hier? Treu und Glauben ist aus der herrschenden Welt verschwunden.

Die Untreue der Regierenden führt auch zu manchen possirlichen Verlegen¬
heiten. Die Bauern wollen nichts verkaufen, wenn man ihnen mit ungarischen
Landesanweisuugeu zahlt. Auf diesen Papieren ist der ehemalige Kammerpräsident
Gras Almassy unterzeichnet. Ihr Raisonnement geht dahin, daß Almassy's Pa¬
piere gewiß nichts werth seien, da doch sogar Kossuth's Papiere nichts werth sind.
Die Landleute kaufen für alles östreichische Papiergeld, das sie lösen, sogleich
Waaren, denn sie mißtrauen Allen und sind gewitzigt.

Ueber die neuen Beamten ist es schwer etwas zu sagen; sie genießen keine
Achtung und kein Vertrauen und man betrachtet sie höchstens als östreichische Sol¬
daten ohne Uniformen. Die auf dem Papier blank hergestellte Justizorganisation
erzeugt einen Gährungsprozeß, dessen Abklärung erst erwartet wird. Hätte das
Land nur einen Rechtsschutz gegen Oben, unten würde man sich begnügen bei dem
jahrhundertalten Usus. Mit welchem Rechte werden die Kinder Kossuth's im Kastell
zu Preßburg festgehalten? Man verweigert ihre Freilassung der 7Ljährigen Gro߬
mutter, und diese erhält nicht einmal einen Paß, um ihre Bitte andern Ortes
vortragen zu können. Wo die Freiheit der Person nicht gesichert ist, ist auch
das Besitztum nicht gesichert, und alle Rechtsinstitutivnen entbehren des Werthes.

Ungarn ist rechtlos, schutzlos!




Die Wahlbruderschaft der Serben.



Das Pobratimstvo, die Wahlverbrüderung war in der ältesten Zeit unter
allen Slaven üblich und hat sich heute noch bei fast allen Völkern serbischer
Zunge, bei den Serben im Donaufürsteuthum, den Bosniern, den Bewohnern der
Herzegovina und den Montenegrinern, theilweise auch in Dalmatien, z. B. bet


alle hier Betheiligten findet keine weitere gerichtliche Verfolgung statt. — Entge¬
gen dieser deutlichen Bestimmung werden die heimgekehrten Honveds, Offiziere
und Mannschaft, vor das Gericht gefordert und ohne weitere Prozedur assentirt
und dem Militär eingereiht. Der Oberkommandant erließ ein eigenes Circulair,
worin allen Komorner Kapitulirten angedroht wird, falls sie sich nicht freiwillig
stellten, als Deserteure behandelt zu werden.

Ungeachtet des Belagerungszustandes und des Willkürgouvernements hatten
mehrere ehemalige Offiziere der ungarischen Armee den Muth, sich nach Wien
durchzuschmuggeln und bei der östreichischen Regierung auf Erfüllung des gegebe¬
nen Wortes zu dringen. Welches Loos harrt dieser entschlossenen Männer dort
und hier? Treu und Glauben ist aus der herrschenden Welt verschwunden.

Die Untreue der Regierenden führt auch zu manchen possirlichen Verlegen¬
heiten. Die Bauern wollen nichts verkaufen, wenn man ihnen mit ungarischen
Landesanweisuugeu zahlt. Auf diesen Papieren ist der ehemalige Kammerpräsident
Gras Almassy unterzeichnet. Ihr Raisonnement geht dahin, daß Almassy's Pa¬
piere gewiß nichts werth seien, da doch sogar Kossuth's Papiere nichts werth sind.
Die Landleute kaufen für alles östreichische Papiergeld, das sie lösen, sogleich
Waaren, denn sie mißtrauen Allen und sind gewitzigt.

Ueber die neuen Beamten ist es schwer etwas zu sagen; sie genießen keine
Achtung und kein Vertrauen und man betrachtet sie höchstens als östreichische Sol¬
daten ohne Uniformen. Die auf dem Papier blank hergestellte Justizorganisation
erzeugt einen Gährungsprozeß, dessen Abklärung erst erwartet wird. Hätte das
Land nur einen Rechtsschutz gegen Oben, unten würde man sich begnügen bei dem
jahrhundertalten Usus. Mit welchem Rechte werden die Kinder Kossuth's im Kastell
zu Preßburg festgehalten? Man verweigert ihre Freilassung der 7Ljährigen Gro߬
mutter, und diese erhält nicht einmal einen Paß, um ihre Bitte andern Ortes
vortragen zu können. Wo die Freiheit der Person nicht gesichert ist, ist auch
das Besitztum nicht gesichert, und alle Rechtsinstitutivnen entbehren des Werthes.

Ungarn ist rechtlos, schutzlos!




Die Wahlbruderschaft der Serben.



Das Pobratimstvo, die Wahlverbrüderung war in der ältesten Zeit unter
allen Slaven üblich und hat sich heute noch bei fast allen Völkern serbischer
Zunge, bei den Serben im Donaufürsteuthum, den Bosniern, den Bewohnern der
Herzegovina und den Montenegrinern, theilweise auch in Dalmatien, z. B. bet


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[0220] alle hier Betheiligten findet keine weitere gerichtliche Verfolgung statt. — Entge¬ gen dieser deutlichen Bestimmung werden die heimgekehrten Honveds, Offiziere und Mannschaft, vor das Gericht gefordert und ohne weitere Prozedur assentirt und dem Militär eingereiht. Der Oberkommandant erließ ein eigenes Circulair, worin allen Komorner Kapitulirten angedroht wird, falls sie sich nicht freiwillig stellten, als Deserteure behandelt zu werden. Ungeachtet des Belagerungszustandes und des Willkürgouvernements hatten mehrere ehemalige Offiziere der ungarischen Armee den Muth, sich nach Wien durchzuschmuggeln und bei der östreichischen Regierung auf Erfüllung des gegebe¬ nen Wortes zu dringen. Welches Loos harrt dieser entschlossenen Männer dort und hier? Treu und Glauben ist aus der herrschenden Welt verschwunden. Die Untreue der Regierenden führt auch zu manchen possirlichen Verlegen¬ heiten. Die Bauern wollen nichts verkaufen, wenn man ihnen mit ungarischen Landesanweisuugeu zahlt. Auf diesen Papieren ist der ehemalige Kammerpräsident Gras Almassy unterzeichnet. Ihr Raisonnement geht dahin, daß Almassy's Pa¬ piere gewiß nichts werth seien, da doch sogar Kossuth's Papiere nichts werth sind. Die Landleute kaufen für alles östreichische Papiergeld, das sie lösen, sogleich Waaren, denn sie mißtrauen Allen und sind gewitzigt. Ueber die neuen Beamten ist es schwer etwas zu sagen; sie genießen keine Achtung und kein Vertrauen und man betrachtet sie höchstens als östreichische Sol¬ daten ohne Uniformen. Die auf dem Papier blank hergestellte Justizorganisation erzeugt einen Gährungsprozeß, dessen Abklärung erst erwartet wird. Hätte das Land nur einen Rechtsschutz gegen Oben, unten würde man sich begnügen bei dem jahrhundertalten Usus. Mit welchem Rechte werden die Kinder Kossuth's im Kastell zu Preßburg festgehalten? Man verweigert ihre Freilassung der 7Ljährigen Gro߬ mutter, und diese erhält nicht einmal einen Paß, um ihre Bitte andern Ortes vortragen zu können. Wo die Freiheit der Person nicht gesichert ist, ist auch das Besitztum nicht gesichert, und alle Rechtsinstitutivnen entbehren des Werthes. Ungarn ist rechtlos, schutzlos! Die Wahlbruderschaft der Serben. Das Pobratimstvo, die Wahlverbrüderung war in der ältesten Zeit unter allen Slaven üblich und hat sich heute noch bei fast allen Völkern serbischer Zunge, bei den Serben im Donaufürsteuthum, den Bosniern, den Bewohnern der Herzegovina und den Montenegrinern, theilweise auch in Dalmatien, z. B. bet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/220>, abgerufen am 24.07.2024.