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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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weiter, ein betrunkener Taugenichts, der Buchjäger wird durch diesen sofort zum
Förster gemacht. Nach den Vätern haben sich auch die Söhne gezankt, und eine
bittere Feindschaft entbrennt zwischen den hitzigen, rücksichtslosen Männern.

Das ist die Grundlage des Stückes, der erste Act. Die folgenden drei zei¬
gen, wie durch verletztes Selbstgefühl, Zorn, Mißverständnisse und schlechtes Ein-
wirken dazwischentretender Personen, der Zwiespalt zwischen den Familien unheil¬
bar gemacht, und der alte Förster zum Aeußersten getrieben wird. Er ist abge¬
setzt, der rachsüchtige Buchjäger behandelt seinen Sohn, den der Vater im Walde
beschäftigt hat, als Wilddieb und läßt ihn aufpeitschen, sein Weib kündigt ihm
an, daß sie mit den Kindern zu dem reichen Vetter gehen müsse, weil dieser sonst
die Kinder des Försters, der durch seine eigene Thorheit ein Bettler sei, enterben
wolle, der Advokat in der Stadt läßt ihm sagen, daß das Gesetz ihn nicht schützen
könne, denn sein Recht sei Unrecht vor dem Gesetz, endlich erhält er die (falsche)
Nachricht, daß sein ältester Sohn durch den Sohn seines Feindes erschossen sei.
Aber nicht sein Sohn ist erschossen worden, sondern der Bnchjäger ist durch einen
Wilddieb mit der eutweudeten Flinte seines Sohnes (im dritten Akt) getödtet wor¬
den und die beiden Jünglinge sind wieder Freunde geworden bei der Verfolgung
deS Mörders. So wird er zum Letzten getrieben, seine Bibel verkündet ihm:
Ange um Auge, Zahn um Zahn, er stürzt am Eude des vierten Aktes in den
Wald, den Mörder seines Sohnes zu suchen und zu tödten. Er weiß, daß die¬
ser in einer dunkeln Stelle des Waldes wartet, er weiß aber nicht, daß er auf
des Försters Tochter wartet, der er ein Briefchen hat zustecken lassen und die
durch ihre Mutter getrieben worden ist, zu dem Geliebten zu eilen. Er schießt
auf den Sohn seines Feindes und trifft die eigene Tochter. Erst allmälig wird
ihm und dem Zuschauer im fünften Akt das klar, er endigt mit dem Entschluß,
den Tod bei den Gesetzen des Landes zu suchen.

Schon aus der unvollständigen Darstellung wird sich erkennen lassen, wo die
gefährlichen Stellen dieses Stoffes liegen. Der Förster und der Fabrikant sind
im Grnnde zwei gute Menschen, welche gewöhnt sind, mit einander um Kleinig¬
keiten zu zanken und einander immer wieder zu finden. Ein solcher Zank ist das
"erregende Moment" des Stückes, der Anfang der Handlung. Durch diesen Zank
ist aber der tragische Verlauf der Handlung so wenig motivirr, daß im Gegen¬
theil noch jeden Augenblick bis zur Unthat des Försters ein verständiges Wort,
ein wohlwollendes Aussprechen das gute Verständniß der Familien wiederherstellen
könnte. Dieser bedenkliche Umstand nimmt dem blutigen Inhalt -- zwei Neben¬
figuren werden im 3. Akt tödtlich verwundet, -- und der furchtbaren Katastrophe die
künstlerische Nothwendigkeit und somit ihre Berechtigung. Und es hilft nichts,
daß der Dichter durch fortgesetzte Irrungen und Mißverständnisse die Stimmung
finster, die Feindschaft größer macht, es ist kein großes Schicksal, dessen Wucht
sich auf den Helden legt, sondern es sind kleine Schlechtigkeiten und Beschränkt-


weiter, ein betrunkener Taugenichts, der Buchjäger wird durch diesen sofort zum
Förster gemacht. Nach den Vätern haben sich auch die Söhne gezankt, und eine
bittere Feindschaft entbrennt zwischen den hitzigen, rücksichtslosen Männern.

Das ist die Grundlage des Stückes, der erste Act. Die folgenden drei zei¬
gen, wie durch verletztes Selbstgefühl, Zorn, Mißverständnisse und schlechtes Ein-
wirken dazwischentretender Personen, der Zwiespalt zwischen den Familien unheil¬
bar gemacht, und der alte Förster zum Aeußersten getrieben wird. Er ist abge¬
setzt, der rachsüchtige Buchjäger behandelt seinen Sohn, den der Vater im Walde
beschäftigt hat, als Wilddieb und läßt ihn aufpeitschen, sein Weib kündigt ihm
an, daß sie mit den Kindern zu dem reichen Vetter gehen müsse, weil dieser sonst
die Kinder des Försters, der durch seine eigene Thorheit ein Bettler sei, enterben
wolle, der Advokat in der Stadt läßt ihm sagen, daß das Gesetz ihn nicht schützen
könne, denn sein Recht sei Unrecht vor dem Gesetz, endlich erhält er die (falsche)
Nachricht, daß sein ältester Sohn durch den Sohn seines Feindes erschossen sei.
Aber nicht sein Sohn ist erschossen worden, sondern der Bnchjäger ist durch einen
Wilddieb mit der eutweudeten Flinte seines Sohnes (im dritten Akt) getödtet wor¬
den und die beiden Jünglinge sind wieder Freunde geworden bei der Verfolgung
deS Mörders. So wird er zum Letzten getrieben, seine Bibel verkündet ihm:
Ange um Auge, Zahn um Zahn, er stürzt am Eude des vierten Aktes in den
Wald, den Mörder seines Sohnes zu suchen und zu tödten. Er weiß, daß die¬
ser in einer dunkeln Stelle des Waldes wartet, er weiß aber nicht, daß er auf
des Försters Tochter wartet, der er ein Briefchen hat zustecken lassen und die
durch ihre Mutter getrieben worden ist, zu dem Geliebten zu eilen. Er schießt
auf den Sohn seines Feindes und trifft die eigene Tochter. Erst allmälig wird
ihm und dem Zuschauer im fünften Akt das klar, er endigt mit dem Entschluß,
den Tod bei den Gesetzen des Landes zu suchen.

Schon aus der unvollständigen Darstellung wird sich erkennen lassen, wo die
gefährlichen Stellen dieses Stoffes liegen. Der Förster und der Fabrikant sind
im Grnnde zwei gute Menschen, welche gewöhnt sind, mit einander um Kleinig¬
keiten zu zanken und einander immer wieder zu finden. Ein solcher Zank ist das
„erregende Moment" des Stückes, der Anfang der Handlung. Durch diesen Zank
ist aber der tragische Verlauf der Handlung so wenig motivirr, daß im Gegen¬
theil noch jeden Augenblick bis zur Unthat des Försters ein verständiges Wort,
ein wohlwollendes Aussprechen das gute Verständniß der Familien wiederherstellen
könnte. Dieser bedenkliche Umstand nimmt dem blutigen Inhalt — zwei Neben¬
figuren werden im 3. Akt tödtlich verwundet, — und der furchtbaren Katastrophe die
künstlerische Nothwendigkeit und somit ihre Berechtigung. Und es hilft nichts,
daß der Dichter durch fortgesetzte Irrungen und Mißverständnisse die Stimmung
finster, die Feindschaft größer macht, es ist kein großes Schicksal, dessen Wucht
sich auf den Helden legt, sondern es sind kleine Schlechtigkeiten und Beschränkt-


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[0204] weiter, ein betrunkener Taugenichts, der Buchjäger wird durch diesen sofort zum Förster gemacht. Nach den Vätern haben sich auch die Söhne gezankt, und eine bittere Feindschaft entbrennt zwischen den hitzigen, rücksichtslosen Männern. Das ist die Grundlage des Stückes, der erste Act. Die folgenden drei zei¬ gen, wie durch verletztes Selbstgefühl, Zorn, Mißverständnisse und schlechtes Ein- wirken dazwischentretender Personen, der Zwiespalt zwischen den Familien unheil¬ bar gemacht, und der alte Förster zum Aeußersten getrieben wird. Er ist abge¬ setzt, der rachsüchtige Buchjäger behandelt seinen Sohn, den der Vater im Walde beschäftigt hat, als Wilddieb und läßt ihn aufpeitschen, sein Weib kündigt ihm an, daß sie mit den Kindern zu dem reichen Vetter gehen müsse, weil dieser sonst die Kinder des Försters, der durch seine eigene Thorheit ein Bettler sei, enterben wolle, der Advokat in der Stadt läßt ihm sagen, daß das Gesetz ihn nicht schützen könne, denn sein Recht sei Unrecht vor dem Gesetz, endlich erhält er die (falsche) Nachricht, daß sein ältester Sohn durch den Sohn seines Feindes erschossen sei. Aber nicht sein Sohn ist erschossen worden, sondern der Bnchjäger ist durch einen Wilddieb mit der eutweudeten Flinte seines Sohnes (im dritten Akt) getödtet wor¬ den und die beiden Jünglinge sind wieder Freunde geworden bei der Verfolgung deS Mörders. So wird er zum Letzten getrieben, seine Bibel verkündet ihm: Ange um Auge, Zahn um Zahn, er stürzt am Eude des vierten Aktes in den Wald, den Mörder seines Sohnes zu suchen und zu tödten. Er weiß, daß die¬ ser in einer dunkeln Stelle des Waldes wartet, er weiß aber nicht, daß er auf des Försters Tochter wartet, der er ein Briefchen hat zustecken lassen und die durch ihre Mutter getrieben worden ist, zu dem Geliebten zu eilen. Er schießt auf den Sohn seines Feindes und trifft die eigene Tochter. Erst allmälig wird ihm und dem Zuschauer im fünften Akt das klar, er endigt mit dem Entschluß, den Tod bei den Gesetzen des Landes zu suchen. Schon aus der unvollständigen Darstellung wird sich erkennen lassen, wo die gefährlichen Stellen dieses Stoffes liegen. Der Förster und der Fabrikant sind im Grnnde zwei gute Menschen, welche gewöhnt sind, mit einander um Kleinig¬ keiten zu zanken und einander immer wieder zu finden. Ein solcher Zank ist das „erregende Moment" des Stückes, der Anfang der Handlung. Durch diesen Zank ist aber der tragische Verlauf der Handlung so wenig motivirr, daß im Gegen¬ theil noch jeden Augenblick bis zur Unthat des Försters ein verständiges Wort, ein wohlwollendes Aussprechen das gute Verständniß der Familien wiederherstellen könnte. Dieser bedenkliche Umstand nimmt dem blutigen Inhalt — zwei Neben¬ figuren werden im 3. Akt tödtlich verwundet, — und der furchtbaren Katastrophe die künstlerische Nothwendigkeit und somit ihre Berechtigung. Und es hilft nichts, daß der Dichter durch fortgesetzte Irrungen und Mißverständnisse die Stimmung finster, die Feindschaft größer macht, es ist kein großes Schicksal, dessen Wucht sich auf den Helden legt, sondern es sind kleine Schlechtigkeiten und Beschränkt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/204>, abgerufen am 04.07.2024.