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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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kommen! -- In einer offenen vierspännigen Kalesche kam Bem heran, ganz allein
im Wagen, auf dem Haupt einen weißen Kvssnthhut mit langer weißer Straußen¬
feder. Rüstig sprang er herab, das narbige, bleiche Gesicht so voll von stolzer
Zuversicht und freudiger Kraft wie nur je; sonst ging er wankend und vorwärts-
gcneigt, aber heut war sein Schritt fest, seine Haltung grade und stramm, seine
geistige Kraft war in dieser Stunde Siegerin über seinen hinfälligen, von Wunden
gelähmten Körper. Man empfing ihn mit stürmischem Eljen, unser Cirkel öffnete
sich, er trat in die Mitte und eine feierliche Stille legte sich auf die erwartende
Menge, man konnte das Summen einer Fliege hören. Der Dämmerglanz des Abend¬
himmels legte einen feierlichen Schimmer über die verhängnißvolle Scene, welche
jetzt anfing. Bem begann sogleich mit diesen Worten in seinem gebrochenen Deutsch:
Meine Herren, ich komme im Namen der Regierung und in meinem eigenen Na¬
men als Obercommandant zu Ihnen, ich fordere ans alle Commandanten der Ba¬
taillons, der Escadrons und der Batterien, morgen früh sechs Uhr sich schlagfer¬
tig zu halte", um gegen Siebenbürgen nach Dobra zu ziehen.--Hier unter¬
brach ihn ein Oberst, ein hochgewachsener Mann mit ausdrucksvollen Gesicht und
schwarzem Bart, aus dem Kreise heraus und auf ihn zutretend: Herr Feldmar-
schMieutnaut, wir kennen keine Regierung. Die Regierung hat uns schändlich
verlassen, sie hatte nicht die Kraft, das Werk auszuführen, welches wir so glorreich
begonnen und für welches wir mit unserem Herzblut eingestanden haben. Sie hat
das Heer in der fruchtbarsten Gegend verhungern lassen, hat nicht nur Mangel
an Energie gegen den äußern Feind gezeigt, sondern anch Unfähigkeit, die Kräfte
des Landes, welche sich ihr so reichlich darboten, zu benutzen. Sie hat sich der
großen Aufgabe, die ihr das Schicksal stellte, unwürdig gezeigt. Darauf sagte
Bem kurz und barsch: Aber warum laufen Sie denn? Kämpfen Sie, und das
Heer wird Brot haben; ein flüchtiges Heer hungert immer, ein siegendes Heer ist
immer satt. -- Der Säbel des Obersten klirrte auf den Boden: Um Vergebung,
Herr Feldmarschalllieutnant, das ist eine Beleidigung, die wir nicht verdienen. Wir
haben tapfer gefochten, wir haben selbst alle Entbehrungen freudig ertragen, aber
gegen eine solche Uebermacht, und bei dem Mangel aller Lebensmittel mußten wir
geschlagen werden. Jetzt trat Vecsey vor: Herr Feldmarschalllieutuant, wir gehen
nicht nach Dobra, wir folgen der Aufforderung Görger/s, wir gehen über die
Maros. -- Bem sah Vecsey fest an und erwiderte ruhig, fast bedächtig: Meine
Herren, ich bin kein Würger, ich bin kein Henker, ich hätte durch mein Amt die
Macht Sie zu zwingen, aber die Sache, für welche wir kämpfen, fordert freie
Krieger, ich fordere also nochmals alle Commandeurs der Bataillons, der Esca¬
drons und der Batterien, welche zu mir halten wollen, auf, sich morgen früh be¬
reit zu halten nach Dobra zu gehen. Ich habe nie unterhandelt und werde nie
unterhandeln, bei Dobra haben wir eine Position, wo wir Monate lang vom
Feinde nicht angegriffen werden können und ich werde im Stande sein, mit einer


kommen! — In einer offenen vierspännigen Kalesche kam Bem heran, ganz allein
im Wagen, auf dem Haupt einen weißen Kvssnthhut mit langer weißer Straußen¬
feder. Rüstig sprang er herab, das narbige, bleiche Gesicht so voll von stolzer
Zuversicht und freudiger Kraft wie nur je; sonst ging er wankend und vorwärts-
gcneigt, aber heut war sein Schritt fest, seine Haltung grade und stramm, seine
geistige Kraft war in dieser Stunde Siegerin über seinen hinfälligen, von Wunden
gelähmten Körper. Man empfing ihn mit stürmischem Eljen, unser Cirkel öffnete
sich, er trat in die Mitte und eine feierliche Stille legte sich auf die erwartende
Menge, man konnte das Summen einer Fliege hören. Der Dämmerglanz des Abend¬
himmels legte einen feierlichen Schimmer über die verhängnißvolle Scene, welche
jetzt anfing. Bem begann sogleich mit diesen Worten in seinem gebrochenen Deutsch:
Meine Herren, ich komme im Namen der Regierung und in meinem eigenen Na¬
men als Obercommandant zu Ihnen, ich fordere ans alle Commandanten der Ba¬
taillons, der Escadrons und der Batterien, morgen früh sechs Uhr sich schlagfer¬
tig zu halte», um gegen Siebenbürgen nach Dobra zu ziehen.--Hier unter¬
brach ihn ein Oberst, ein hochgewachsener Mann mit ausdrucksvollen Gesicht und
schwarzem Bart, aus dem Kreise heraus und auf ihn zutretend: Herr Feldmar-
schMieutnaut, wir kennen keine Regierung. Die Regierung hat uns schändlich
verlassen, sie hatte nicht die Kraft, das Werk auszuführen, welches wir so glorreich
begonnen und für welches wir mit unserem Herzblut eingestanden haben. Sie hat
das Heer in der fruchtbarsten Gegend verhungern lassen, hat nicht nur Mangel
an Energie gegen den äußern Feind gezeigt, sondern anch Unfähigkeit, die Kräfte
des Landes, welche sich ihr so reichlich darboten, zu benutzen. Sie hat sich der
großen Aufgabe, die ihr das Schicksal stellte, unwürdig gezeigt. Darauf sagte
Bem kurz und barsch: Aber warum laufen Sie denn? Kämpfen Sie, und das
Heer wird Brot haben; ein flüchtiges Heer hungert immer, ein siegendes Heer ist
immer satt. — Der Säbel des Obersten klirrte auf den Boden: Um Vergebung,
Herr Feldmarschalllieutnant, das ist eine Beleidigung, die wir nicht verdienen. Wir
haben tapfer gefochten, wir haben selbst alle Entbehrungen freudig ertragen, aber
gegen eine solche Uebermacht, und bei dem Mangel aller Lebensmittel mußten wir
geschlagen werden. Jetzt trat Vecsey vor: Herr Feldmarschalllieutuant, wir gehen
nicht nach Dobra, wir folgen der Aufforderung Görger/s, wir gehen über die
Maros. — Bem sah Vecsey fest an und erwiderte ruhig, fast bedächtig: Meine
Herren, ich bin kein Würger, ich bin kein Henker, ich hätte durch mein Amt die
Macht Sie zu zwingen, aber die Sache, für welche wir kämpfen, fordert freie
Krieger, ich fordere also nochmals alle Commandeurs der Bataillons, der Esca¬
drons und der Batterien, welche zu mir halten wollen, auf, sich morgen früh be¬
reit zu halten nach Dobra zu gehen. Ich habe nie unterhandelt und werde nie
unterhandeln, bei Dobra haben wir eine Position, wo wir Monate lang vom
Feinde nicht angegriffen werden können und ich werde im Stande sein, mit einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/200>, abgerufen am 24.07.2024.