Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

licher Parteigänger Oestreichs; was nnr beweist, daß in den höhern östreichischen
Regionen jene klare Lust nicht herrscht, der man den Verstand der antiken Be¬
wohner Attikas zuschrieb; und wenn, wie man sagt, Kuranda noch jetzt in Oest¬
reich zu den unbequemen Oppositionsschriftstellern gezählt wird, so ist das noch
weniger ein Kompliment.für die höhern Regionen sowohl wie für die Zustände
Wiens. Mau nehme den ersten besten Jahrgang der frühern Grenzboten zur
Hand und man wird einen auffallenden Unterschied bemerken zwischen der
Polemik gegen den damaligen östreichischen und den damaligen preußischen Abso¬
lutismus. Die Grenzboten .bekämpften die Beamten-und Pfaffenwirthschaft unter
Metternich, nach jetzigen Begriffen, wohlwollend genug, sie riethen zu allmäligen
Verbesserungen und nahmen selbst die Vereinbarkeit solcher Reformen mit der pa¬
triarchalischen Verfassung Oestreichs an. Wir sind weit entfernt diese Politik zu
tadeln, wir begreifen sie. Es kam Herrn Kuranda darauf an zu wirken und es
gelang ihm anch, eine aufgeklärte Minorität nnter der höhern Bureaukratie für
seine Ansichten zu gewinnen und sein Blatt zum Organ der ständischen Bewegung
in Böhmen zu macheu. Gegen Preußen ging er stets so weit, als die Censur es er¬
laubte. Freilich, von Preußen konnte mau mit Recht eher drei Schritte nach vor¬
wärts verlangen als von Oestreich einen halben. Außerdem mischte sich in die
kleine antipreußische Polemik Herrn Kuranda's hänfig ein schnurriger Ton östreichi¬
scher Vornehmheit und, so komisch sich dies an einem liberalen Bourgeois aus¬
nimmt: es that seinem östreichischen Herzen unendlich wohl, wenn er den nord¬
deutschen Staat als einen "Parvenu" verspotte" konnte!

Wir kommen jetzt zur Ostdeutschen Post, die in Wien für eines der allerge-
fährlichsten Opposttionsjonrnale gilt und der Militärbehörde schlaflose Nächte macht.
Die Gefährlichkeit ihrer Artikel scheint jedoch mehr eine traditionelle Ueberlieferung
zu sein, als auf irgend einer Erfahrung zu beruhen. Ihr Ton ist wohlwollend
und anständig; ihr belletristischer Styl ist den gebildeten Wienern ein exotischer
Leckerbissen, und da Knranda große Uebung darin besitzt, zwischen den Zeilen zu
schreiben und in geschmeidiger Bildersprache über die kitzlichsten Punkte wegzu-
hüpfen, so gewöhnen sich die guten Wiener, zwischen die Zeilen der Ostdeutschen
Post mehr hiuciuznlesen, als darin ist, und die schwarzgelben, hinter jedem ihrer
glitzernden Bilder die unter Blumen lauernden Schlangen der Anarchie zu wit¬
tern. Arme Ostdeutsche Post! Sie denkt ja nnr daran, ihr Dasein zu fri¬
sten und muß deu Anforderungen wirklich politischer Leser gegenüber ihre
Blößen mit dem christlichen Mantel des Belagerungszustandes bedecken. Zu ihren
Hauptfehlern gehört Unentschiedenheit und Mangel an Ausdauer. Es ist unmög¬
lich, aus der Ostdeutschen Post zu erfahren, wie ihre Redaktion über die März-
verfassnng denkt. Ju Ungarn schien sie eine Zeit lang die Föderalisten, in Böh¬
men die Ccntralisten zu begünstigen; hier wie dort ans einer dunkeln Ahnung,
daß sie als Vorkämpfer des deutschen Elements handle; in Böhmen müsse die


licher Parteigänger Oestreichs; was nnr beweist, daß in den höhern östreichischen
Regionen jene klare Lust nicht herrscht, der man den Verstand der antiken Be¬
wohner Attikas zuschrieb; und wenn, wie man sagt, Kuranda noch jetzt in Oest¬
reich zu den unbequemen Oppositionsschriftstellern gezählt wird, so ist das noch
weniger ein Kompliment.für die höhern Regionen sowohl wie für die Zustände
Wiens. Mau nehme den ersten besten Jahrgang der frühern Grenzboten zur
Hand und man wird einen auffallenden Unterschied bemerken zwischen der
Polemik gegen den damaligen östreichischen und den damaligen preußischen Abso¬
lutismus. Die Grenzboten .bekämpften die Beamten-und Pfaffenwirthschaft unter
Metternich, nach jetzigen Begriffen, wohlwollend genug, sie riethen zu allmäligen
Verbesserungen und nahmen selbst die Vereinbarkeit solcher Reformen mit der pa¬
triarchalischen Verfassung Oestreichs an. Wir sind weit entfernt diese Politik zu
tadeln, wir begreifen sie. Es kam Herrn Kuranda darauf an zu wirken und es
gelang ihm anch, eine aufgeklärte Minorität nnter der höhern Bureaukratie für
seine Ansichten zu gewinnen und sein Blatt zum Organ der ständischen Bewegung
in Böhmen zu macheu. Gegen Preußen ging er stets so weit, als die Censur es er¬
laubte. Freilich, von Preußen konnte mau mit Recht eher drei Schritte nach vor¬
wärts verlangen als von Oestreich einen halben. Außerdem mischte sich in die
kleine antipreußische Polemik Herrn Kuranda's hänfig ein schnurriger Ton östreichi¬
scher Vornehmheit und, so komisch sich dies an einem liberalen Bourgeois aus¬
nimmt: es that seinem östreichischen Herzen unendlich wohl, wenn er den nord¬
deutschen Staat als einen „Parvenu" verspotte» konnte!

Wir kommen jetzt zur Ostdeutschen Post, die in Wien für eines der allerge-
fährlichsten Opposttionsjonrnale gilt und der Militärbehörde schlaflose Nächte macht.
Die Gefährlichkeit ihrer Artikel scheint jedoch mehr eine traditionelle Ueberlieferung
zu sein, als auf irgend einer Erfahrung zu beruhen. Ihr Ton ist wohlwollend
und anständig; ihr belletristischer Styl ist den gebildeten Wienern ein exotischer
Leckerbissen, und da Knranda große Uebung darin besitzt, zwischen den Zeilen zu
schreiben und in geschmeidiger Bildersprache über die kitzlichsten Punkte wegzu-
hüpfen, so gewöhnen sich die guten Wiener, zwischen die Zeilen der Ostdeutschen
Post mehr hiuciuznlesen, als darin ist, und die schwarzgelben, hinter jedem ihrer
glitzernden Bilder die unter Blumen lauernden Schlangen der Anarchie zu wit¬
tern. Arme Ostdeutsche Post! Sie denkt ja nnr daran, ihr Dasein zu fri¬
sten und muß deu Anforderungen wirklich politischer Leser gegenüber ihre
Blößen mit dem christlichen Mantel des Belagerungszustandes bedecken. Zu ihren
Hauptfehlern gehört Unentschiedenheit und Mangel an Ausdauer. Es ist unmög¬
lich, aus der Ostdeutschen Post zu erfahren, wie ihre Redaktion über die März-
verfassnng denkt. Ju Ungarn schien sie eine Zeit lang die Föderalisten, in Böh¬
men die Ccntralisten zu begünstigen; hier wie dort ans einer dunkeln Ahnung,
daß sie als Vorkämpfer des deutschen Elements handle; in Böhmen müsse die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93005"/>
            <p xml:id="ID_570" prev="#ID_569"> licher Parteigänger Oestreichs; was nnr beweist, daß in den höhern östreichischen<lb/>
Regionen jene klare Lust nicht herrscht, der man den Verstand der antiken Be¬<lb/>
wohner Attikas zuschrieb; und wenn, wie man sagt, Kuranda noch jetzt in Oest¬<lb/>
reich zu den unbequemen Oppositionsschriftstellern gezählt wird, so ist das noch<lb/>
weniger ein Kompliment.für die höhern Regionen sowohl wie für die Zustände<lb/>
Wiens. Mau nehme den ersten besten Jahrgang der frühern Grenzboten zur<lb/>
Hand und man wird einen auffallenden Unterschied bemerken zwischen der<lb/>
Polemik gegen den damaligen östreichischen und den damaligen preußischen Abso¬<lb/>
lutismus. Die Grenzboten .bekämpften die Beamten-und Pfaffenwirthschaft unter<lb/>
Metternich, nach jetzigen Begriffen, wohlwollend genug, sie riethen zu allmäligen<lb/>
Verbesserungen und nahmen selbst die Vereinbarkeit solcher Reformen mit der pa¬<lb/>
triarchalischen Verfassung Oestreichs an. Wir sind weit entfernt diese Politik zu<lb/>
tadeln, wir begreifen sie. Es kam Herrn Kuranda darauf an zu wirken und es<lb/>
gelang ihm anch, eine aufgeklärte Minorität nnter der höhern Bureaukratie für<lb/>
seine Ansichten zu gewinnen und sein Blatt zum Organ der ständischen Bewegung<lb/>
in Böhmen zu macheu. Gegen Preußen ging er stets so weit, als die Censur es er¬<lb/>
laubte. Freilich, von Preußen konnte mau mit Recht eher drei Schritte nach vor¬<lb/>
wärts verlangen als von Oestreich einen halben. Außerdem mischte sich in die<lb/>
kleine antipreußische Polemik Herrn Kuranda's hänfig ein schnurriger Ton östreichi¬<lb/>
scher Vornehmheit und, so komisch sich dies an einem liberalen Bourgeois aus¬<lb/>
nimmt: es that seinem östreichischen Herzen unendlich wohl, wenn er den nord¬<lb/>
deutschen Staat als einen &#x201E;Parvenu" verspotte» konnte!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_571" next="#ID_572"> Wir kommen jetzt zur Ostdeutschen Post, die in Wien für eines der allerge-<lb/>
fährlichsten Opposttionsjonrnale gilt und der Militärbehörde schlaflose Nächte macht.<lb/>
Die Gefährlichkeit ihrer Artikel scheint jedoch mehr eine traditionelle Ueberlieferung<lb/>
zu sein, als auf irgend einer Erfahrung zu beruhen. Ihr Ton ist wohlwollend<lb/>
und anständig; ihr belletristischer Styl ist den gebildeten Wienern ein exotischer<lb/>
Leckerbissen, und da Knranda große Uebung darin besitzt, zwischen den Zeilen zu<lb/>
schreiben und in geschmeidiger Bildersprache über die kitzlichsten Punkte wegzu-<lb/>
hüpfen, so gewöhnen sich die guten Wiener, zwischen die Zeilen der Ostdeutschen<lb/>
Post mehr hiuciuznlesen, als darin ist, und die schwarzgelben, hinter jedem ihrer<lb/>
glitzernden Bilder die unter Blumen lauernden Schlangen der Anarchie zu wit¬<lb/>
tern. Arme Ostdeutsche Post! Sie denkt ja nnr daran, ihr Dasein zu fri¬<lb/>
sten und muß deu Anforderungen wirklich politischer Leser gegenüber ihre<lb/>
Blößen mit dem christlichen Mantel des Belagerungszustandes bedecken. Zu ihren<lb/>
Hauptfehlern gehört Unentschiedenheit und Mangel an Ausdauer. Es ist unmög¬<lb/>
lich, aus der Ostdeutschen Post zu erfahren, wie ihre Redaktion über die März-<lb/>
verfassnng denkt. Ju Ungarn schien sie eine Zeit lang die Föderalisten, in Böh¬<lb/>
men die Ccntralisten zu begünstigen; hier wie dort ans einer dunkeln Ahnung,<lb/>
daß sie als Vorkämpfer des deutschen Elements handle; in Böhmen müsse die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0182] licher Parteigänger Oestreichs; was nnr beweist, daß in den höhern östreichischen Regionen jene klare Lust nicht herrscht, der man den Verstand der antiken Be¬ wohner Attikas zuschrieb; und wenn, wie man sagt, Kuranda noch jetzt in Oest¬ reich zu den unbequemen Oppositionsschriftstellern gezählt wird, so ist das noch weniger ein Kompliment.für die höhern Regionen sowohl wie für die Zustände Wiens. Mau nehme den ersten besten Jahrgang der frühern Grenzboten zur Hand und man wird einen auffallenden Unterschied bemerken zwischen der Polemik gegen den damaligen östreichischen und den damaligen preußischen Abso¬ lutismus. Die Grenzboten .bekämpften die Beamten-und Pfaffenwirthschaft unter Metternich, nach jetzigen Begriffen, wohlwollend genug, sie riethen zu allmäligen Verbesserungen und nahmen selbst die Vereinbarkeit solcher Reformen mit der pa¬ triarchalischen Verfassung Oestreichs an. Wir sind weit entfernt diese Politik zu tadeln, wir begreifen sie. Es kam Herrn Kuranda darauf an zu wirken und es gelang ihm anch, eine aufgeklärte Minorität nnter der höhern Bureaukratie für seine Ansichten zu gewinnen und sein Blatt zum Organ der ständischen Bewegung in Böhmen zu macheu. Gegen Preußen ging er stets so weit, als die Censur es er¬ laubte. Freilich, von Preußen konnte mau mit Recht eher drei Schritte nach vor¬ wärts verlangen als von Oestreich einen halben. Außerdem mischte sich in die kleine antipreußische Polemik Herrn Kuranda's hänfig ein schnurriger Ton östreichi¬ scher Vornehmheit und, so komisch sich dies an einem liberalen Bourgeois aus¬ nimmt: es that seinem östreichischen Herzen unendlich wohl, wenn er den nord¬ deutschen Staat als einen „Parvenu" verspotte» konnte! Wir kommen jetzt zur Ostdeutschen Post, die in Wien für eines der allerge- fährlichsten Opposttionsjonrnale gilt und der Militärbehörde schlaflose Nächte macht. Die Gefährlichkeit ihrer Artikel scheint jedoch mehr eine traditionelle Ueberlieferung zu sein, als auf irgend einer Erfahrung zu beruhen. Ihr Ton ist wohlwollend und anständig; ihr belletristischer Styl ist den gebildeten Wienern ein exotischer Leckerbissen, und da Knranda große Uebung darin besitzt, zwischen den Zeilen zu schreiben und in geschmeidiger Bildersprache über die kitzlichsten Punkte wegzu- hüpfen, so gewöhnen sich die guten Wiener, zwischen die Zeilen der Ostdeutschen Post mehr hiuciuznlesen, als darin ist, und die schwarzgelben, hinter jedem ihrer glitzernden Bilder die unter Blumen lauernden Schlangen der Anarchie zu wit¬ tern. Arme Ostdeutsche Post! Sie denkt ja nnr daran, ihr Dasein zu fri¬ sten und muß deu Anforderungen wirklich politischer Leser gegenüber ihre Blößen mit dem christlichen Mantel des Belagerungszustandes bedecken. Zu ihren Hauptfehlern gehört Unentschiedenheit und Mangel an Ausdauer. Es ist unmög¬ lich, aus der Ostdeutschen Post zu erfahren, wie ihre Redaktion über die März- verfassnng denkt. Ju Ungarn schien sie eine Zeit lang die Föderalisten, in Böh¬ men die Ccntralisten zu begünstigen; hier wie dort ans einer dunkeln Ahnung, daß sie als Vorkämpfer des deutschen Elements handle; in Böhmen müsse die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/182
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/182>, abgerufen am 04.07.2024.