Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schutz- und Trutzbündniß schließen, denn was auch im Uebrigen ihre Vorstellun¬
gen von Gott und dem Himmel sein mögen, in Einem Glaubensartikel sind sie
einig: der Bauer muß dumm bleiben, sonst gehorcht er nicht. Und an diesem
Dogma hängen sie mit um so größerer Inbrunst, da es sich lediglich aus das
irdische Wesen bezieht. Den Himmel lassen sie als offene Frage stehn.




Wiener Zeitungen und Zeitungshelden.



3. Herr Kuranda und die Ostdeutsche Post.

Kuranda's Ruf in Oestreich gründet sich hauptsächlich auf seine Wirksamkeit
in den vormärzlichen Grenzboten, die er 184l gegründet und bis zum 1. Juli
1848 geleitet hat. In dem überschwenglichen Sommer 48, als die frömmsten
Wünsche der Grenzvoten von der Wiener Revolution weit überflügelt waren und
die Möglichkeit eines winterlichen Rückfall-i nur der Phantasie eines sehr nüchter¬
nen Beobachters vorschweben konnte, damals war es natürlich, daß Kurauda an
seiner Leipziger Zeitschrift einen za engen Spielraum und eine zu langsam wir¬
kende Waffe fand. Er entschloß sich ein großes Tageblatt in Wien zu gründen
und gab Leitung wie Eigenthumsrecht der Grenzboten auf. Die grünen Blätter
bekamen neue Führer. Das jetzige Regiment der Grenzboten geht in vielen
Stücken von andern Regierungsgrundsätzen aus als das frühere, und deshalb sind
die Grenzboten jetzt in der Lage, ihrem Gründer einige bittere Wahrheiten öffentlich
sagen zu müssen.

Das Programm der Ostdeutschen Post versprach : Verfechtung des vernünftigen
Fortschritts und Wahrung der deutschen Nationalität in Oestreich. Wir sind der
Meinung, daß selbst die Herrschaft des Belagerungszustandes der Erfüllung einer
solchen Aufgabe keine unüberwindlichen Hindernisse in den Weg legen kann. Wäre
dies der Fall, so hätte ja Kuranda Ehrgefühl genug besessen, seine Zeitung nach dem
zweiten Interdict, von dem sie betroffen wurde, aufzugeben oder nach einer unbe-
lagerten Stadt zu verpflanzen. Allein wir werden bald sehen, was Kuranda unter
Wahrung des Deutschthums versteht und mit wie geringer Plänklerthätigkeit für
die Sache des Fortschritts sein patriotisches Gewissen sich zufrieden gibt.

In der Ostdeutschen Post sind eben nur die Einseitigkeiten und Coquetterien der
vormärzlichen Journalistik zur prachtvollsten Blüthe gelangt. -- Vor der Revo¬
lution, als Kuranda in den höhern Regionen Wiens und Prags als Feind des
Vaterlandes verschrien wurde, war er, halb unbewußt vielleicht, ein leidenschaft-


Schutz- und Trutzbündniß schließen, denn was auch im Uebrigen ihre Vorstellun¬
gen von Gott und dem Himmel sein mögen, in Einem Glaubensartikel sind sie
einig: der Bauer muß dumm bleiben, sonst gehorcht er nicht. Und an diesem
Dogma hängen sie mit um so größerer Inbrunst, da es sich lediglich aus das
irdische Wesen bezieht. Den Himmel lassen sie als offene Frage stehn.




Wiener Zeitungen und Zeitungshelden.



3. Herr Kuranda und die Ostdeutsche Post.

Kuranda's Ruf in Oestreich gründet sich hauptsächlich auf seine Wirksamkeit
in den vormärzlichen Grenzboten, die er 184l gegründet und bis zum 1. Juli
1848 geleitet hat. In dem überschwenglichen Sommer 48, als die frömmsten
Wünsche der Grenzvoten von der Wiener Revolution weit überflügelt waren und
die Möglichkeit eines winterlichen Rückfall-i nur der Phantasie eines sehr nüchter¬
nen Beobachters vorschweben konnte, damals war es natürlich, daß Kurauda an
seiner Leipziger Zeitschrift einen za engen Spielraum und eine zu langsam wir¬
kende Waffe fand. Er entschloß sich ein großes Tageblatt in Wien zu gründen
und gab Leitung wie Eigenthumsrecht der Grenzboten auf. Die grünen Blätter
bekamen neue Führer. Das jetzige Regiment der Grenzboten geht in vielen
Stücken von andern Regierungsgrundsätzen aus als das frühere, und deshalb sind
die Grenzboten jetzt in der Lage, ihrem Gründer einige bittere Wahrheiten öffentlich
sagen zu müssen.

Das Programm der Ostdeutschen Post versprach : Verfechtung des vernünftigen
Fortschritts und Wahrung der deutschen Nationalität in Oestreich. Wir sind der
Meinung, daß selbst die Herrschaft des Belagerungszustandes der Erfüllung einer
solchen Aufgabe keine unüberwindlichen Hindernisse in den Weg legen kann. Wäre
dies der Fall, so hätte ja Kuranda Ehrgefühl genug besessen, seine Zeitung nach dem
zweiten Interdict, von dem sie betroffen wurde, aufzugeben oder nach einer unbe-
lagerten Stadt zu verpflanzen. Allein wir werden bald sehen, was Kuranda unter
Wahrung des Deutschthums versteht und mit wie geringer Plänklerthätigkeit für
die Sache des Fortschritts sein patriotisches Gewissen sich zufrieden gibt.

In der Ostdeutschen Post sind eben nur die Einseitigkeiten und Coquetterien der
vormärzlichen Journalistik zur prachtvollsten Blüthe gelangt. — Vor der Revo¬
lution, als Kuranda in den höhern Regionen Wiens und Prags als Feind des
Vaterlandes verschrien wurde, war er, halb unbewußt vielleicht, ein leidenschaft-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93004"/>
          <p xml:id="ID_566" prev="#ID_565"> Schutz- und Trutzbündniß schließen, denn was auch im Uebrigen ihre Vorstellun¬<lb/>
gen von Gott und dem Himmel sein mögen, in Einem Glaubensartikel sind sie<lb/>
einig: der Bauer muß dumm bleiben, sonst gehorcht er nicht. Und an diesem<lb/>
Dogma hängen sie mit um so größerer Inbrunst, da es sich lediglich aus das<lb/>
irdische Wesen bezieht. Den Himmel lassen sie als offene Frage stehn.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wiener Zeitungen und Zeitungshelden.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> 3.  Herr Kuranda und die Ostdeutsche Post.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_567"> Kuranda's Ruf in Oestreich gründet sich hauptsächlich auf seine Wirksamkeit<lb/>
in den vormärzlichen Grenzboten, die er 184l gegründet und bis zum 1. Juli<lb/>
1848 geleitet hat. In dem überschwenglichen Sommer 48, als die frömmsten<lb/>
Wünsche der Grenzvoten von der Wiener Revolution weit überflügelt waren und<lb/>
die Möglichkeit eines winterlichen Rückfall-i nur der Phantasie eines sehr nüchter¬<lb/>
nen Beobachters vorschweben konnte, damals war es natürlich, daß Kurauda an<lb/>
seiner Leipziger Zeitschrift einen za engen Spielraum und eine zu langsam wir¬<lb/>
kende Waffe fand. Er entschloß sich ein großes Tageblatt in Wien zu gründen<lb/>
und gab Leitung wie Eigenthumsrecht der Grenzboten auf. Die grünen Blätter<lb/>
bekamen neue Führer. Das jetzige Regiment der Grenzboten geht in vielen<lb/>
Stücken von andern Regierungsgrundsätzen aus als das frühere, und deshalb sind<lb/>
die Grenzboten jetzt in der Lage, ihrem Gründer einige bittere Wahrheiten öffentlich<lb/>
sagen zu müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_568"> Das Programm der Ostdeutschen Post versprach : Verfechtung des vernünftigen<lb/>
Fortschritts und Wahrung der deutschen Nationalität in Oestreich. Wir sind der<lb/>
Meinung, daß selbst die Herrschaft des Belagerungszustandes der Erfüllung einer<lb/>
solchen Aufgabe keine unüberwindlichen Hindernisse in den Weg legen kann. Wäre<lb/>
dies der Fall, so hätte ja Kuranda Ehrgefühl genug besessen, seine Zeitung nach dem<lb/>
zweiten Interdict, von dem sie betroffen wurde, aufzugeben oder nach einer unbe-<lb/>
lagerten Stadt zu verpflanzen. Allein wir werden bald sehen, was Kuranda unter<lb/>
Wahrung des Deutschthums versteht und mit wie geringer Plänklerthätigkeit für<lb/>
die Sache des Fortschritts sein patriotisches Gewissen sich zufrieden gibt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_569" next="#ID_570"> In der Ostdeutschen Post sind eben nur die Einseitigkeiten und Coquetterien der<lb/>
vormärzlichen Journalistik zur prachtvollsten Blüthe gelangt. &#x2014; Vor der Revo¬<lb/>
lution, als Kuranda in den höhern Regionen Wiens und Prags als Feind des<lb/>
Vaterlandes verschrien wurde, war er, halb unbewußt vielleicht, ein leidenschaft-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] Schutz- und Trutzbündniß schließen, denn was auch im Uebrigen ihre Vorstellun¬ gen von Gott und dem Himmel sein mögen, in Einem Glaubensartikel sind sie einig: der Bauer muß dumm bleiben, sonst gehorcht er nicht. Und an diesem Dogma hängen sie mit um so größerer Inbrunst, da es sich lediglich aus das irdische Wesen bezieht. Den Himmel lassen sie als offene Frage stehn. Wiener Zeitungen und Zeitungshelden. 3. Herr Kuranda und die Ostdeutsche Post. Kuranda's Ruf in Oestreich gründet sich hauptsächlich auf seine Wirksamkeit in den vormärzlichen Grenzboten, die er 184l gegründet und bis zum 1. Juli 1848 geleitet hat. In dem überschwenglichen Sommer 48, als die frömmsten Wünsche der Grenzvoten von der Wiener Revolution weit überflügelt waren und die Möglichkeit eines winterlichen Rückfall-i nur der Phantasie eines sehr nüchter¬ nen Beobachters vorschweben konnte, damals war es natürlich, daß Kurauda an seiner Leipziger Zeitschrift einen za engen Spielraum und eine zu langsam wir¬ kende Waffe fand. Er entschloß sich ein großes Tageblatt in Wien zu gründen und gab Leitung wie Eigenthumsrecht der Grenzboten auf. Die grünen Blätter bekamen neue Führer. Das jetzige Regiment der Grenzboten geht in vielen Stücken von andern Regierungsgrundsätzen aus als das frühere, und deshalb sind die Grenzboten jetzt in der Lage, ihrem Gründer einige bittere Wahrheiten öffentlich sagen zu müssen. Das Programm der Ostdeutschen Post versprach : Verfechtung des vernünftigen Fortschritts und Wahrung der deutschen Nationalität in Oestreich. Wir sind der Meinung, daß selbst die Herrschaft des Belagerungszustandes der Erfüllung einer solchen Aufgabe keine unüberwindlichen Hindernisse in den Weg legen kann. Wäre dies der Fall, so hätte ja Kuranda Ehrgefühl genug besessen, seine Zeitung nach dem zweiten Interdict, von dem sie betroffen wurde, aufzugeben oder nach einer unbe- lagerten Stadt zu verpflanzen. Allein wir werden bald sehen, was Kuranda unter Wahrung des Deutschthums versteht und mit wie geringer Plänklerthätigkeit für die Sache des Fortschritts sein patriotisches Gewissen sich zufrieden gibt. In der Ostdeutschen Post sind eben nur die Einseitigkeiten und Coquetterien der vormärzlichen Journalistik zur prachtvollsten Blüthe gelangt. — Vor der Revo¬ lution, als Kuranda in den höhern Regionen Wiens und Prags als Feind des Vaterlandes verschrien wurde, war er, halb unbewußt vielleicht, ein leidenschaft-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/181
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/181>, abgerufen am 04.07.2024.