Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gesetzt wird! Das ist dem Bilde nicht zu glauben; in einem Sonnett würde man
sich nicht darüber verwundern. In den Reimen herrscht der Witz -- denn die
sogenannte Sentimentalität ist nichts weiter, als eine matte Function des reflectiren-
den Witzes; die plastische Kunst aber widerstrebt der zweckwidrigen Combination.
Erfindungen von Instrumenten, und in höherem Sinn die Thätigkeit des Ver¬
standes, der Phantasie, kurz was mau eigentlich Productivität des Geistes nennt,
ist kein Gegenstand der darstellenden Kunst. Der eigentliche Inhalt der Schöpfun¬
gen liegt warm in der Seele; aber die Form, wenn die Schöpfung heraustritt
aus der Nacht des Geistes, gibt die kalte Ueberlegung. In jedem Künstler ist
eine ironische Ader zu finden, der Niederschlag dieser Kniee, dieser Freiheit dem
Stoff gegenüber. Begeistert euch an der Gluth, die in einer Symphonie, wie
der Lmall von Beethoven athmet, aber vergeßt nicht, wie er einem mystischen Scho-
liasten die beiden Choriamben, mit denen der erste Satz anfängt, erklärt hat.
-- Ein großer Componist, der stark bairisch Bier trinkt, der mit großem Eifer
legete, wie Mozart -- was würde Düsseldorf dazu sagen! Und verhimmelt ihr
ihn, so glaubt keiner mehr daran.

Die moderne Cäcilie ist ein Kind der Reflexion: Einheit der Kunst und des
Glaubens, der Empfindung und Productivität. An dieser Krankheit leiden alle
Ideale, die aus unserer alten Mythologie in die reflectirende Denkungsart unserer
Zeit aufgenommen sind. Wir nehmen den Gegenstand um des Sinnes willen,
wir symbolisiren ihn. Wäre das von vornherein die Richtung der christlichen
Malerei gewesen, so hätte die Kunst des 1t>. und 17. Jahrhunderts wenig zu
bedeuten.

Mau hat häufig die Frage behandelt, ob das Christenthum, und weiterhin
die Reformation, der bildenden Kunst nützlich oder schädlich gewesen sei. Man
hat zu Zeiten der romantischen Schule versichert, die Maler des 16. Jahrhunderts
Härten darum Großes geleistet, weil sie gute Christen gewesen. Abgesehen von
den historischen Zeugnissen für das Gegentheil, wie von dem unmittelbaren Zeugniß
uuserer Augen, wenn wir z. B. Correggio's Leda oder Jo mit seinen kirchlichen
Gemälden vergleichen, hat man dabei übersehn, daß die eigentliche Kunst erst im
Zeitalter der Renaissance beginnt; der Zeit, in welcher die Kunst wie die Wissen¬
schaft auf das antike, das heidnische Ideal zurückging.

Das Christenthum hat allerdings der Kunst genützt, indem es den Malern
Gelegenheit gab, für ein großes Publikum zu produciren, in einer Zeit, wo die
specifische Kunst noch ein Luxusartikel auserwählter Geister war, und indem es
ihnen allgemeine Typen des Ideals verzeichnete, was bei einer werdenden Kunst,
wo ernste Sammlung nöthiger ist, als die Unruhe der blos stofflichen Ausbrei¬
tung, von unnennbarer Wichtigkeit ist. Andrerseits hat es aber der Kunst gescha-
det; denn es hat sie in falsche Ideale verstrickt, in Gegenstände, die in einer
doppelten Rücksicht unplastisch waren: weil sie den spiritualistischen Charakter der


gesetzt wird! Das ist dem Bilde nicht zu glauben; in einem Sonnett würde man
sich nicht darüber verwundern. In den Reimen herrscht der Witz — denn die
sogenannte Sentimentalität ist nichts weiter, als eine matte Function des reflectiren-
den Witzes; die plastische Kunst aber widerstrebt der zweckwidrigen Combination.
Erfindungen von Instrumenten, und in höherem Sinn die Thätigkeit des Ver¬
standes, der Phantasie, kurz was mau eigentlich Productivität des Geistes nennt,
ist kein Gegenstand der darstellenden Kunst. Der eigentliche Inhalt der Schöpfun¬
gen liegt warm in der Seele; aber die Form, wenn die Schöpfung heraustritt
aus der Nacht des Geistes, gibt die kalte Ueberlegung. In jedem Künstler ist
eine ironische Ader zu finden, der Niederschlag dieser Kniee, dieser Freiheit dem
Stoff gegenüber. Begeistert euch an der Gluth, die in einer Symphonie, wie
der Lmall von Beethoven athmet, aber vergeßt nicht, wie er einem mystischen Scho-
liasten die beiden Choriamben, mit denen der erste Satz anfängt, erklärt hat.
— Ein großer Componist, der stark bairisch Bier trinkt, der mit großem Eifer
legete, wie Mozart — was würde Düsseldorf dazu sagen! Und verhimmelt ihr
ihn, so glaubt keiner mehr daran.

Die moderne Cäcilie ist ein Kind der Reflexion: Einheit der Kunst und des
Glaubens, der Empfindung und Productivität. An dieser Krankheit leiden alle
Ideale, die aus unserer alten Mythologie in die reflectirende Denkungsart unserer
Zeit aufgenommen sind. Wir nehmen den Gegenstand um des Sinnes willen,
wir symbolisiren ihn. Wäre das von vornherein die Richtung der christlichen
Malerei gewesen, so hätte die Kunst des 1t>. und 17. Jahrhunderts wenig zu
bedeuten.

Mau hat häufig die Frage behandelt, ob das Christenthum, und weiterhin
die Reformation, der bildenden Kunst nützlich oder schädlich gewesen sei. Man
hat zu Zeiten der romantischen Schule versichert, die Maler des 16. Jahrhunderts
Härten darum Großes geleistet, weil sie gute Christen gewesen. Abgesehen von
den historischen Zeugnissen für das Gegentheil, wie von dem unmittelbaren Zeugniß
uuserer Augen, wenn wir z. B. Correggio's Leda oder Jo mit seinen kirchlichen
Gemälden vergleichen, hat man dabei übersehn, daß die eigentliche Kunst erst im
Zeitalter der Renaissance beginnt; der Zeit, in welcher die Kunst wie die Wissen¬
schaft auf das antike, das heidnische Ideal zurückging.

Das Christenthum hat allerdings der Kunst genützt, indem es den Malern
Gelegenheit gab, für ein großes Publikum zu produciren, in einer Zeit, wo die
specifische Kunst noch ein Luxusartikel auserwählter Geister war, und indem es
ihnen allgemeine Typen des Ideals verzeichnete, was bei einer werdenden Kunst,
wo ernste Sammlung nöthiger ist, als die Unruhe der blos stofflichen Ausbrei¬
tung, von unnennbarer Wichtigkeit ist. Andrerseits hat es aber der Kunst gescha-
det; denn es hat sie in falsche Ideale verstrickt, in Gegenstände, die in einer
doppelten Rücksicht unplastisch waren: weil sie den spiritualistischen Charakter der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92995"/>
          <p xml:id="ID_534" prev="#ID_533"> gesetzt wird! Das ist dem Bilde nicht zu glauben; in einem Sonnett würde man<lb/>
sich nicht darüber verwundern. In den Reimen herrscht der Witz &#x2014; denn die<lb/>
sogenannte Sentimentalität ist nichts weiter, als eine matte Function des reflectiren-<lb/>
den Witzes; die plastische Kunst aber widerstrebt der zweckwidrigen Combination.<lb/>
Erfindungen von Instrumenten, und in höherem Sinn die Thätigkeit des Ver¬<lb/>
standes, der Phantasie, kurz was mau eigentlich Productivität des Geistes nennt,<lb/>
ist kein Gegenstand der darstellenden Kunst. Der eigentliche Inhalt der Schöpfun¬<lb/>
gen liegt warm in der Seele; aber die Form, wenn die Schöpfung heraustritt<lb/>
aus der Nacht des Geistes, gibt die kalte Ueberlegung. In jedem Künstler ist<lb/>
eine ironische Ader zu finden, der Niederschlag dieser Kniee, dieser Freiheit dem<lb/>
Stoff gegenüber. Begeistert euch an der Gluth, die in einer Symphonie, wie<lb/>
der Lmall von Beethoven athmet, aber vergeßt nicht, wie er einem mystischen Scho-<lb/>
liasten die beiden Choriamben, mit denen der erste Satz anfängt, erklärt hat.<lb/>
&#x2014; Ein großer Componist, der stark bairisch Bier trinkt, der mit großem Eifer<lb/>
legete, wie Mozart &#x2014; was würde Düsseldorf dazu sagen! Und verhimmelt ihr<lb/>
ihn, so glaubt keiner mehr daran.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Die moderne Cäcilie ist ein Kind der Reflexion: Einheit der Kunst und des<lb/>
Glaubens, der Empfindung und Productivität. An dieser Krankheit leiden alle<lb/>
Ideale, die aus unserer alten Mythologie in die reflectirende Denkungsart unserer<lb/>
Zeit aufgenommen sind. Wir nehmen den Gegenstand um des Sinnes willen,<lb/>
wir symbolisiren ihn. Wäre das von vornherein die Richtung der christlichen<lb/>
Malerei gewesen, so hätte die Kunst des 1t&gt;. und 17. Jahrhunderts wenig zu<lb/>
bedeuten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_536"> Mau hat häufig die Frage behandelt, ob das Christenthum, und weiterhin<lb/>
die Reformation, der bildenden Kunst nützlich oder schädlich gewesen sei. Man<lb/>
hat zu Zeiten der romantischen Schule versichert, die Maler des 16. Jahrhunderts<lb/>
Härten darum Großes geleistet, weil sie gute Christen gewesen. Abgesehen von<lb/>
den historischen Zeugnissen für das Gegentheil, wie von dem unmittelbaren Zeugniß<lb/>
uuserer Augen, wenn wir z. B. Correggio's Leda oder Jo mit seinen kirchlichen<lb/>
Gemälden vergleichen, hat man dabei übersehn, daß die eigentliche Kunst erst im<lb/>
Zeitalter der Renaissance beginnt; der Zeit, in welcher die Kunst wie die Wissen¬<lb/>
schaft auf das antike, das heidnische Ideal zurückging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_537" next="#ID_538"> Das Christenthum hat allerdings der Kunst genützt, indem es den Malern<lb/>
Gelegenheit gab, für ein großes Publikum zu produciren, in einer Zeit, wo die<lb/>
specifische Kunst noch ein Luxusartikel auserwählter Geister war, und indem es<lb/>
ihnen allgemeine Typen des Ideals verzeichnete, was bei einer werdenden Kunst,<lb/>
wo ernste Sammlung nöthiger ist, als die Unruhe der blos stofflichen Ausbrei¬<lb/>
tung, von unnennbarer Wichtigkeit ist. Andrerseits hat es aber der Kunst gescha-<lb/>
det; denn es hat sie in falsche Ideale verstrickt, in Gegenstände, die in einer<lb/>
doppelten Rücksicht unplastisch waren: weil sie den spiritualistischen Charakter der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0172] gesetzt wird! Das ist dem Bilde nicht zu glauben; in einem Sonnett würde man sich nicht darüber verwundern. In den Reimen herrscht der Witz — denn die sogenannte Sentimentalität ist nichts weiter, als eine matte Function des reflectiren- den Witzes; die plastische Kunst aber widerstrebt der zweckwidrigen Combination. Erfindungen von Instrumenten, und in höherem Sinn die Thätigkeit des Ver¬ standes, der Phantasie, kurz was mau eigentlich Productivität des Geistes nennt, ist kein Gegenstand der darstellenden Kunst. Der eigentliche Inhalt der Schöpfun¬ gen liegt warm in der Seele; aber die Form, wenn die Schöpfung heraustritt aus der Nacht des Geistes, gibt die kalte Ueberlegung. In jedem Künstler ist eine ironische Ader zu finden, der Niederschlag dieser Kniee, dieser Freiheit dem Stoff gegenüber. Begeistert euch an der Gluth, die in einer Symphonie, wie der Lmall von Beethoven athmet, aber vergeßt nicht, wie er einem mystischen Scho- liasten die beiden Choriamben, mit denen der erste Satz anfängt, erklärt hat. — Ein großer Componist, der stark bairisch Bier trinkt, der mit großem Eifer legete, wie Mozart — was würde Düsseldorf dazu sagen! Und verhimmelt ihr ihn, so glaubt keiner mehr daran. Die moderne Cäcilie ist ein Kind der Reflexion: Einheit der Kunst und des Glaubens, der Empfindung und Productivität. An dieser Krankheit leiden alle Ideale, die aus unserer alten Mythologie in die reflectirende Denkungsart unserer Zeit aufgenommen sind. Wir nehmen den Gegenstand um des Sinnes willen, wir symbolisiren ihn. Wäre das von vornherein die Richtung der christlichen Malerei gewesen, so hätte die Kunst des 1t>. und 17. Jahrhunderts wenig zu bedeuten. Mau hat häufig die Frage behandelt, ob das Christenthum, und weiterhin die Reformation, der bildenden Kunst nützlich oder schädlich gewesen sei. Man hat zu Zeiten der romantischen Schule versichert, die Maler des 16. Jahrhunderts Härten darum Großes geleistet, weil sie gute Christen gewesen. Abgesehen von den historischen Zeugnissen für das Gegentheil, wie von dem unmittelbaren Zeugniß uuserer Augen, wenn wir z. B. Correggio's Leda oder Jo mit seinen kirchlichen Gemälden vergleichen, hat man dabei übersehn, daß die eigentliche Kunst erst im Zeitalter der Renaissance beginnt; der Zeit, in welcher die Kunst wie die Wissen¬ schaft auf das antike, das heidnische Ideal zurückging. Das Christenthum hat allerdings der Kunst genützt, indem es den Malern Gelegenheit gab, für ein großes Publikum zu produciren, in einer Zeit, wo die specifische Kunst noch ein Luxusartikel auserwählter Geister war, und indem es ihnen allgemeine Typen des Ideals verzeichnete, was bei einer werdenden Kunst, wo ernste Sammlung nöthiger ist, als die Unruhe der blos stofflichen Ausbrei¬ tung, von unnennbarer Wichtigkeit ist. Andrerseits hat es aber der Kunst gescha- det; denn es hat sie in falsche Ideale verstrickt, in Gegenstände, die in einer doppelten Rücksicht unplastisch waren: weil sie den spiritualistischen Charakter der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/172
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/172>, abgerufen am 24.07.2024.