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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Gesichtern der meisten Judithbilder aus, 'die mir in neuerer Zeit vorgekommen
sind. Am besten ist es noch, wenn diese Züge in die Naturanlage verarbeitet sind:
die wollüstig aufgeworfenen Lippen, der stolze Schwung der Nase, die feurigen,
aber doch etwas schwimmenden Augen. Im Ganzen aber wird es dem Maler
doch noch unendlich schwerer, als dem dramatischen Dichter, uns von jenen Con¬
flicten ein einigermaßen anschauliches Bild zu geben. Im Drama sahen wir doch
das eine Motiv ans dem andern entspringen, mit ihm streiten u. s. w.; es gibt'
Zeiten, wo das eine oder das andere gebunden ist; im Bilde dagegen sollen wir
in Einer Anschauung die ganze Geschichte und noch dazu als fertiges Resultat
vor uus sehn, denn die That an sich ist nicht darzustellen, und ihre Reminiscenzen
-- der abgeschlagene Kopf in der Hemd, der Rumpf auf dem Bett im Hinter¬
gründe, sind doch immer sehr schwache Momente der ästhetischen Würdigung. Es
kommt also immer auf den interessanten Ausdruck heraus, den das Gesicht durch
die vollbrachte That erhält, und das ist schon darum ein Abweg, weil es die
Plastik auf das Innerliche forcirt, noch mehr aber, weil für die streitenden Em¬
pfindungen keine allgemeine Stimmung zu finden ist, die nicht Fratze wäre. Als
Ausdruck eines sittlichen Conflicts aufgefaßt, ist Judith also unplastisch; wenn
man aber aus ihr eine Heroine oder ein Ideal ganz im Allgemeinen machen will,
so stört die historische Reminiscenz. Auf alle Fälle dürfte es also gerathener sein,
für die heroisch aufgeregte Weiblichkeit einen andern Typus zu suchen.

Judith gibt uus die eine Seite unserer Romantik, das Raffinement; Cäcilie
die andere, die sentimentale, blasse Verschwommenheit. Bei Del Vecchio ist eine
vortrefflich gemalte Cäcilie, von van Eykeu, die es aber in der Krankhaftigkeit
unseres Empfindens zum Extrem gebracht hat. Cäcilie singt ihr Schwanenlied; den
Blick himmelwärts, etwas zurückgelehnt, um bequemer nach Oben schauen zu
können, mit einem Finger leise ans den Tasten eines alterthümlichen Spiuetts
rührend, das vor ihr steht; auf den jugendlichen Wangen das schone, aber flüch¬
tige heldische Noth, das letzte Aufflackern der Gluth im Innern, in den bläulichen
Augenrändern bereits die Spuren der nahenden Auflösung. Alles das ist die
Uebersetzung einer sentimentalen Komposition, die in der Kunst keine Berechtigung
hat, weil sie unwahr und namentlich unplastisch ist. Die Idee des Schwanen-
gesanges an steh klingt gut, so lauge man sich nichts Bestimmtes dabei vorstellt;
aber der gemalte Gesaug, und gar die mit der Kraftlosigkeit der Schwindsucht
versuchte Begleitung, macht sofort den Eindruck des Unzweckmäßigen. "Die
Frömmigkeit hat die Orgel erschaffen", "die schöne Seele, die zu gut ist für die
Erde, löst sich aus in Tönen", als Redensarten hört man das an, denn sie sind
verhimmelnd genng für unsere Gedankenlosigkeit. Hat man aber die Redensart
im Bilde vor sich, so wird man unwillkürlich zu der Frage getrieben: also diese
junge, moudscheinartige Figur ist ans die Idee der Blasebälge gekommen, dnrch
welche ein gigantisch erweitertes System von Querpfeifer in harmonische Bewegung


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Gesichtern der meisten Judithbilder aus, 'die mir in neuerer Zeit vorgekommen
sind. Am besten ist es noch, wenn diese Züge in die Naturanlage verarbeitet sind:
die wollüstig aufgeworfenen Lippen, der stolze Schwung der Nase, die feurigen,
aber doch etwas schwimmenden Augen. Im Ganzen aber wird es dem Maler
doch noch unendlich schwerer, als dem dramatischen Dichter, uns von jenen Con¬
flicten ein einigermaßen anschauliches Bild zu geben. Im Drama sahen wir doch
das eine Motiv ans dem andern entspringen, mit ihm streiten u. s. w.; es gibt'
Zeiten, wo das eine oder das andere gebunden ist; im Bilde dagegen sollen wir
in Einer Anschauung die ganze Geschichte und noch dazu als fertiges Resultat
vor uus sehn, denn die That an sich ist nicht darzustellen, und ihre Reminiscenzen
— der abgeschlagene Kopf in der Hemd, der Rumpf auf dem Bett im Hinter¬
gründe, sind doch immer sehr schwache Momente der ästhetischen Würdigung. Es
kommt also immer auf den interessanten Ausdruck heraus, den das Gesicht durch
die vollbrachte That erhält, und das ist schon darum ein Abweg, weil es die
Plastik auf das Innerliche forcirt, noch mehr aber, weil für die streitenden Em¬
pfindungen keine allgemeine Stimmung zu finden ist, die nicht Fratze wäre. Als
Ausdruck eines sittlichen Conflicts aufgefaßt, ist Judith also unplastisch; wenn
man aber aus ihr eine Heroine oder ein Ideal ganz im Allgemeinen machen will,
so stört die historische Reminiscenz. Auf alle Fälle dürfte es also gerathener sein,
für die heroisch aufgeregte Weiblichkeit einen andern Typus zu suchen.

Judith gibt uus die eine Seite unserer Romantik, das Raffinement; Cäcilie
die andere, die sentimentale, blasse Verschwommenheit. Bei Del Vecchio ist eine
vortrefflich gemalte Cäcilie, von van Eykeu, die es aber in der Krankhaftigkeit
unseres Empfindens zum Extrem gebracht hat. Cäcilie singt ihr Schwanenlied; den
Blick himmelwärts, etwas zurückgelehnt, um bequemer nach Oben schauen zu
können, mit einem Finger leise ans den Tasten eines alterthümlichen Spiuetts
rührend, das vor ihr steht; auf den jugendlichen Wangen das schone, aber flüch¬
tige heldische Noth, das letzte Aufflackern der Gluth im Innern, in den bläulichen
Augenrändern bereits die Spuren der nahenden Auflösung. Alles das ist die
Uebersetzung einer sentimentalen Komposition, die in der Kunst keine Berechtigung
hat, weil sie unwahr und namentlich unplastisch ist. Die Idee des Schwanen-
gesanges an steh klingt gut, so lauge man sich nichts Bestimmtes dabei vorstellt;
aber der gemalte Gesaug, und gar die mit der Kraftlosigkeit der Schwindsucht
versuchte Begleitung, macht sofort den Eindruck des Unzweckmäßigen. „Die
Frömmigkeit hat die Orgel erschaffen", „die schöne Seele, die zu gut ist für die
Erde, löst sich aus in Tönen", als Redensarten hört man das an, denn sie sind
verhimmelnd genng für unsere Gedankenlosigkeit. Hat man aber die Redensart
im Bilde vor sich, so wird man unwillkürlich zu der Frage getrieben: also diese
junge, moudscheinartige Figur ist ans die Idee der Blasebälge gekommen, dnrch
welche ein gigantisch erweitertes System von Querpfeifer in harmonische Bewegung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/171>, abgerufen am 24.07.2024.