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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ben und keinen Theil ihrer Blutschuld tragen. Dieses Zurückziehen der ehemali¬
gen Bundesgenossen hatte die Bauern in vielen Gegenden ganz wieder ihren Herren
zugewendet, von denen jede Rache zu ertragen sie mit hündischer Freudigkeit be¬
reit waren.

Viele Dörfer im Bochniaer Kreise lagen in den Jahren 46 -- 48 noch gänz¬
lich im Zustande der Verwüstung, so war auch im unglücklichen Siedlisko ein
großer Theil der Felder unbestellt geblieben. Von einem Viehstände war kaum
die Rede. Die besten Gebäude waren schändlich verwüstet; aber auch einige
Bauerhöfe waren todt und öde, denn die ehemaligen Inhaber derselben hatten
vor ihrem Gewissen und den Blutlachen die Flucht ergriffen. Das kleine Nzemin
sah ich nicht wieder, aber man machte mir die entsetzlichste Beschreibung von dem,
waS sich dort zugetragen. Als ich vor der Schenke von Siedlisko mein Pferd be¬
stieg, -- es war an einem Sonntag Nachmittag, und eine Anzahl Bauern stand
vor der Schenke und sah mich mit düstern Blicken und ohne den slavischen
"Patan donuk" zu macheu, an -- hielt mir der jüdische Wirth der "Kartzmen" den
Steigbügel, und als ich finster auf den zerstörten Herrenhof sah, sprach er laut
auf polnisch vor allen Bauern: "Gerade die hiesigen Herren haben am wenigsten
ein solches Schicksal verdient." -- Es war eine kühle Grabschrift, aber sie freute
mich doch.

Freilich war dicht daneben wieder die rohste Brutalität gegen die gutsherr¬
lichen Familien und ihr Eigenthum zu finden. In manchen Dörfern hatten sich
die Bauern auf den Feldern des Edelmannes niedergelassen, sie getheilt oder jeder
nach Belieben besäet und mit dem Viehe benutzt, das sie aus dem Stall des er¬
schlagenen Herrn wegführten. Und die Erben der alten Herrschaft wurden mit
finstern Blicken, heimlich geballter Faust und gräßlichen Drohungen betrachtet, als
Eindringlinge, welche zu tödten noch Pflicht sei. Die Gutsbesitzer aber waren
in einer verzweifelten Lage, ohne Arbeiter, ohne Kräfte ihre Wirthschaft anders
einzurichten, ohne Schutz ihrer Aecker und ihres Eigenthums, mitten unter un¬
sichern oder aufsätzigen Menschen, eine gräßliche Vergangenheit vor Augen, so
saßen sie wie in Feindesland in den Häusern ihrer Familien. Es war eine ver¬
zweifelte Lage und wenig Deutsä e hätten sie ertragen. Aber wo dem elastischen
Polen die Kraft ausgehen könnte, hilft ihm sein Leichtsinn und eine gewisse Freude
an der Intrigue über die Gefahr. -- So war es auch hier; die Roboten wurden
aufgehoben, alle Hände zu jeder Arbeit fehlten, alle Kapitalien fehlten, Viehstand,
Inventarium, ja Gebäude waren verwüstet, geplündert, verbrannt, die Rechts-
Unsicherheit war so groß, wie nirgend in Europa, Rußland und Neapel nicht
ausgenommen, und doch bestand die große Mehrzahl der polnischen Gutsbesitzer
fort, sie bestehen bis zu diesem Winter, und säen und ernten doch ohne Arbeits¬
kraft und Kapital zum großen Theil mit denselben Händen der Bauern, durch


Grenzboten. >. 1850. 20

ben und keinen Theil ihrer Blutschuld tragen. Dieses Zurückziehen der ehemali¬
gen Bundesgenossen hatte die Bauern in vielen Gegenden ganz wieder ihren Herren
zugewendet, von denen jede Rache zu ertragen sie mit hündischer Freudigkeit be¬
reit waren.

Viele Dörfer im Bochniaer Kreise lagen in den Jahren 46 — 48 noch gänz¬
lich im Zustande der Verwüstung, so war auch im unglücklichen Siedlisko ein
großer Theil der Felder unbestellt geblieben. Von einem Viehstände war kaum
die Rede. Die besten Gebäude waren schändlich verwüstet; aber auch einige
Bauerhöfe waren todt und öde, denn die ehemaligen Inhaber derselben hatten
vor ihrem Gewissen und den Blutlachen die Flucht ergriffen. Das kleine Nzemin
sah ich nicht wieder, aber man machte mir die entsetzlichste Beschreibung von dem,
waS sich dort zugetragen. Als ich vor der Schenke von Siedlisko mein Pferd be¬
stieg, — es war an einem Sonntag Nachmittag, und eine Anzahl Bauern stand
vor der Schenke und sah mich mit düstern Blicken und ohne den slavischen
„Patan donuk" zu macheu, an — hielt mir der jüdische Wirth der „Kartzmen" den
Steigbügel, und als ich finster auf den zerstörten Herrenhof sah, sprach er laut
auf polnisch vor allen Bauern: „Gerade die hiesigen Herren haben am wenigsten
ein solches Schicksal verdient." — Es war eine kühle Grabschrift, aber sie freute
mich doch.

Freilich war dicht daneben wieder die rohste Brutalität gegen die gutsherr¬
lichen Familien und ihr Eigenthum zu finden. In manchen Dörfern hatten sich
die Bauern auf den Feldern des Edelmannes niedergelassen, sie getheilt oder jeder
nach Belieben besäet und mit dem Viehe benutzt, das sie aus dem Stall des er¬
schlagenen Herrn wegführten. Und die Erben der alten Herrschaft wurden mit
finstern Blicken, heimlich geballter Faust und gräßlichen Drohungen betrachtet, als
Eindringlinge, welche zu tödten noch Pflicht sei. Die Gutsbesitzer aber waren
in einer verzweifelten Lage, ohne Arbeiter, ohne Kräfte ihre Wirthschaft anders
einzurichten, ohne Schutz ihrer Aecker und ihres Eigenthums, mitten unter un¬
sichern oder aufsätzigen Menschen, eine gräßliche Vergangenheit vor Augen, so
saßen sie wie in Feindesland in den Häusern ihrer Familien. Es war eine ver¬
zweifelte Lage und wenig Deutsä e hätten sie ertragen. Aber wo dem elastischen
Polen die Kraft ausgehen könnte, hilft ihm sein Leichtsinn und eine gewisse Freude
an der Intrigue über die Gefahr. — So war es auch hier; die Roboten wurden
aufgehoben, alle Hände zu jeder Arbeit fehlten, alle Kapitalien fehlten, Viehstand,
Inventarium, ja Gebäude waren verwüstet, geplündert, verbrannt, die Rechts-
Unsicherheit war so groß, wie nirgend in Europa, Rußland und Neapel nicht
ausgenommen, und doch bestand die große Mehrzahl der polnischen Gutsbesitzer
fort, sie bestehen bis zu diesem Winter, und säen und ernten doch ohne Arbeits¬
kraft und Kapital zum großen Theil mit denselben Händen der Bauern, durch


Grenzboten. >. 1850. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/161>, abgerufen am 29.06.2024.