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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Sie sahen sich getäuscht, gemißbraucht, und schlichen erbärmlich und muthlos
umher wie ein gefangener Wolf. Die herrschende Stimmung war eine fürchterliche
Beschämung, die dadurch noch gesteigert ward, daß diejenigen einzelnen Baueru-
familien, welche ihre" Herrschaften in jener scheußlichen Katastrophe Beweise der
Treue gegeben hatten, jetzt von diesen mit dem höchsten Vertrauen und mit wah¬
rer Aelternliebe bevorzugt und wirklich gehätschelt wurden, während die bescholte-
neu eine stille Verachtung erfuhren, welche vou merkwürdiger Wirkung war. Der
Edelmann kannte die Natur seines Bauers viel zu gut und hatte viel zu viel
Mittel in den Händen, als daß er ihm seine Sünde nicht hätte begreiflich machen
sollen. So verweigerten z. B. in der Nähe von Sendiczew die Edelleute vielen
Bauern die Sargbretter. In vielen Dingen müssen die Grundherren nämlich
sür ihre Bauern wie für Kinder sorgen. Wird ein Bauer krank, so geht er zum
Grundherrn und bittet um Thee und andere Medicamente, welche dieser für
zweckmäßig hält, ist ein Bauer gestorben, so gibt der Herr vier Bretter zum
Sarge; das sind alte Gebräuche, welche uoch lauge fortbestehen werden, denn
der galizische Bauer besitzt weder Bretter, uoch jemals Geld zu Medicamenten.
Als uun etwa vier Monate nach dem Aufstande ein Bauer in G. gestorben war,
und dessen ältester Sohn zu Herrn v. N --ki um Sargbretter bittend kam, er¬
klärte dieser ganz sauft: "Ich habe deinem Vater Medicamente geschickt und ihm
sieben Wochen lang gern einen Arzt gehalten. Dein Vater dagegen hat mit seinen
Genossen meinem Herrn Schwager keine Medicamente gegeben, sondern ihn er¬
schlagen. Jetzt kommst du und willst für deinen Vater Bretter zum Sarge;
allein meines Herrn Schwagers Leiche habt Ihr ans den Mist geworfen und ge¬
schändet, daher wäre es eine Sünde gegen meines Schwagers Geist, wenn ich
deinem Vater ein anständiges Tvdtenhans bereiten wollte."

Diese Verweigerung des Sarges fand überall Nachahmung und machte deu
furchtbarsten Eindruck auf die Bauern. Die Leute wäre" zerknirscht, wie es nur
slavische Büßer sein können. Ein Bauer in B. bat z. B. seineu Herrn, ihm zur
Versöhnung für zwei Jahre eine doppelte Robot aufzuerlegen; ein anderer bat,
ihn bis zum Tode Tag für Tag als Stroz (eine Art Nachtwächter) auf das Gut
bestellen zu lassen und dies als eine Bnßleistuug anzusehen. Einige von den
Rädelsführern, anch ein Anverwandter Szela's, hatten sich selbst entleibt. Die
Verdammniß, statt in einem vierbretterigen Sarge, in einem Bündel von Tannen¬
zweigen unter die Erde versenkt zu werden, war sür die Sünder eine fürchterliche.

Ebenso schrecklich war den galizischen Bauern auch, sich ganz von den Beam¬
ten verlassen und förmlich zur Verachtung ausgestellt zu sehen. Denn die Ge¬
meinschaft der Beamten mit dem Bauernstande hatte nach der Katastrophe fast
ganz aufgehört. Die Beamten suchten dnrch ihr Verhalten eifrigst zu beweisen,
daß sie mit den' in ganz Europa verrufenen Bestien nie Gemeinschaft gehabt ha-


Sie sahen sich getäuscht, gemißbraucht, und schlichen erbärmlich und muthlos
umher wie ein gefangener Wolf. Die herrschende Stimmung war eine fürchterliche
Beschämung, die dadurch noch gesteigert ward, daß diejenigen einzelnen Baueru-
familien, welche ihre» Herrschaften in jener scheußlichen Katastrophe Beweise der
Treue gegeben hatten, jetzt von diesen mit dem höchsten Vertrauen und mit wah¬
rer Aelternliebe bevorzugt und wirklich gehätschelt wurden, während die bescholte-
neu eine stille Verachtung erfuhren, welche vou merkwürdiger Wirkung war. Der
Edelmann kannte die Natur seines Bauers viel zu gut und hatte viel zu viel
Mittel in den Händen, als daß er ihm seine Sünde nicht hätte begreiflich machen
sollen. So verweigerten z. B. in der Nähe von Sendiczew die Edelleute vielen
Bauern die Sargbretter. In vielen Dingen müssen die Grundherren nämlich
sür ihre Bauern wie für Kinder sorgen. Wird ein Bauer krank, so geht er zum
Grundherrn und bittet um Thee und andere Medicamente, welche dieser für
zweckmäßig hält, ist ein Bauer gestorben, so gibt der Herr vier Bretter zum
Sarge; das sind alte Gebräuche, welche uoch lauge fortbestehen werden, denn
der galizische Bauer besitzt weder Bretter, uoch jemals Geld zu Medicamenten.
Als uun etwa vier Monate nach dem Aufstande ein Bauer in G. gestorben war,
und dessen ältester Sohn zu Herrn v. N —ki um Sargbretter bittend kam, er¬
klärte dieser ganz sauft: „Ich habe deinem Vater Medicamente geschickt und ihm
sieben Wochen lang gern einen Arzt gehalten. Dein Vater dagegen hat mit seinen
Genossen meinem Herrn Schwager keine Medicamente gegeben, sondern ihn er¬
schlagen. Jetzt kommst du und willst für deinen Vater Bretter zum Sarge;
allein meines Herrn Schwagers Leiche habt Ihr ans den Mist geworfen und ge¬
schändet, daher wäre es eine Sünde gegen meines Schwagers Geist, wenn ich
deinem Vater ein anständiges Tvdtenhans bereiten wollte."

Diese Verweigerung des Sarges fand überall Nachahmung und machte deu
furchtbarsten Eindruck auf die Bauern. Die Leute wäre» zerknirscht, wie es nur
slavische Büßer sein können. Ein Bauer in B. bat z. B. seineu Herrn, ihm zur
Versöhnung für zwei Jahre eine doppelte Robot aufzuerlegen; ein anderer bat,
ihn bis zum Tode Tag für Tag als Stroz (eine Art Nachtwächter) auf das Gut
bestellen zu lassen und dies als eine Bnßleistuug anzusehen. Einige von den
Rädelsführern, anch ein Anverwandter Szela's, hatten sich selbst entleibt. Die
Verdammniß, statt in einem vierbretterigen Sarge, in einem Bündel von Tannen¬
zweigen unter die Erde versenkt zu werden, war sür die Sünder eine fürchterliche.

Ebenso schrecklich war den galizischen Bauern auch, sich ganz von den Beam¬
ten verlassen und förmlich zur Verachtung ausgestellt zu sehen. Denn die Ge¬
meinschaft der Beamten mit dem Bauernstande hatte nach der Katastrophe fast
ganz aufgehört. Die Beamten suchten dnrch ihr Verhalten eifrigst zu beweisen,
daß sie mit den' in ganz Europa verrufenen Bestien nie Gemeinschaft gehabt ha-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/160>, abgerufen am 01.07.2024.