Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deutschen Aemtern seien - - weniger in der Gegenwart als früher diese und
andere Gebräuche den Bauern als unrechtmäßige Willkürlichkeiten dargestellt wor¬
den, und dieses habe ihnen den Kopf verdreht. --

Ich will hier bemerken, daß ich selbst wegen dieses schändlichen Trinkzwangs
mich zuweilen mit meinen polnischen Gutsnachbarn erzürnt habe. Wer dergleichen
Gebräuche zu dulden nicht von Jugend aus gewohnt ist, dem sind sie sehr wider¬
lich, und man kann unmöglich unterlassen, sie zu kritisiren. Nur hätte in Gali-
zien eine solche Kritik durch die Behörden, nie tückisch hinter dem Rücken der
Grundherren von Unterbeamteten ausgehen sollen. Sie hätte vou der Regierung
den Edelhecren direct vor die Stirn geschleudert werden müssen, dann würden
die Mißbräuche beseitigt worden sein, ohne jene furchtbaren Ereignisse.

Der Trinkzwang ist allgemein auf dem ganzen polnischen Gebiete. Daß er
auch in Galizien noch stattfand, ja noch stattfindet, ist ein Beweis davon, daß
Galizien noch echt polnisch construirt ist. Er ist das sicherste Absatzmittel für die
grundherrschaftlichen Bierbrauereien und Branntweinbrennereien, deren Besitz und
Betrieb ein uraltes Recht des Adels ist, das außerhalb der Städte in Galizien
auch noch niemals in die Hand eines Baners oder Nichtadeligen gelangte und
durch das Nobotpatcnt vom Jahre 1786 nicht aufgehoben und nicht umgewandelt
worden war. Dieses Patent, welches als Maximum der Robot zwei Tage wöchent¬
lich festsetzte, hatte überhaupt, wie bekannt, die beabsichtigte Ausführung nicht
erfahren, denn auf derselben Reise, von welcher ich spreche, kam ich in Dörfer,
wo die Bauern drei und vier Spann- und dazu mehrere Handrobottage wöchent¬
lich, und manchen andern Dienst, z.B. den verhaßten Hofknechts - und Hofmagds¬
dienst zu leisten hatten, von welchen doch nach Erlassung jenes Patentes nicht
mehr die Rede sein sollte. Ein alter Vorwurf, den der östreichischen Regie¬
rung zu machen man in Galizien alle Schritte lang veranlaßt wird, ist der, daß
sie zeitgemäße Einrichtungen, die sie irgend einmal unternommen, aus zu rück¬
sichtsvoller Schwäche nie mit Energie zur Ausführung brachte und lieber ans ver¬
decktem Umwege zum Ziel zu gelangen suchte, auf welchem sie jedoch nie zu
rechter Zeit und nie gründlich das Gute durchgesetzt hat.

Der Trinkzwang besteht darin, daß dem Bauer also statt des durch
seine "freie Arbeit" verdienten Geldes Bier oder Branntwein gegeben wird. Der
Bauer erhält Papierzettelcheu oder Blechmarken, welche gewöhnlich einen angeb¬
lichen Werth von zwei bis zu zwanzig Kreuzern haben. Diese grnudherrschaftliche
Münze wird nur in der herrschaftlichen Schenke angenommen, und der Bauer,
will er seine Gelddienste nicht gratis geleistet haben, muß die abscheuliche Münze
darin vertrinken und zwar in Getränken, die so schlecht sein können, als der Edel¬
mann sie zu mache" irgend nur Lust hat. Es ist dies allerdings ein bestialischer
Gebrauch. Es ist ein Hauptgrund zu der unvertilgbaren Trinksucht der Bauern.

Nach einem Aufenthalte von drei Stunden verließ ich das hübsche Siedliseo.


deutschen Aemtern seien - - weniger in der Gegenwart als früher diese und
andere Gebräuche den Bauern als unrechtmäßige Willkürlichkeiten dargestellt wor¬
den, und dieses habe ihnen den Kopf verdreht. —

Ich will hier bemerken, daß ich selbst wegen dieses schändlichen Trinkzwangs
mich zuweilen mit meinen polnischen Gutsnachbarn erzürnt habe. Wer dergleichen
Gebräuche zu dulden nicht von Jugend aus gewohnt ist, dem sind sie sehr wider¬
lich, und man kann unmöglich unterlassen, sie zu kritisiren. Nur hätte in Gali-
zien eine solche Kritik durch die Behörden, nie tückisch hinter dem Rücken der
Grundherren von Unterbeamteten ausgehen sollen. Sie hätte vou der Regierung
den Edelhecren direct vor die Stirn geschleudert werden müssen, dann würden
die Mißbräuche beseitigt worden sein, ohne jene furchtbaren Ereignisse.

Der Trinkzwang ist allgemein auf dem ganzen polnischen Gebiete. Daß er
auch in Galizien noch stattfand, ja noch stattfindet, ist ein Beweis davon, daß
Galizien noch echt polnisch construirt ist. Er ist das sicherste Absatzmittel für die
grundherrschaftlichen Bierbrauereien und Branntweinbrennereien, deren Besitz und
Betrieb ein uraltes Recht des Adels ist, das außerhalb der Städte in Galizien
auch noch niemals in die Hand eines Baners oder Nichtadeligen gelangte und
durch das Nobotpatcnt vom Jahre 1786 nicht aufgehoben und nicht umgewandelt
worden war. Dieses Patent, welches als Maximum der Robot zwei Tage wöchent¬
lich festsetzte, hatte überhaupt, wie bekannt, die beabsichtigte Ausführung nicht
erfahren, denn auf derselben Reise, von welcher ich spreche, kam ich in Dörfer,
wo die Bauern drei und vier Spann- und dazu mehrere Handrobottage wöchent¬
lich, und manchen andern Dienst, z.B. den verhaßten Hofknechts - und Hofmagds¬
dienst zu leisten hatten, von welchen doch nach Erlassung jenes Patentes nicht
mehr die Rede sein sollte. Ein alter Vorwurf, den der östreichischen Regie¬
rung zu machen man in Galizien alle Schritte lang veranlaßt wird, ist der, daß
sie zeitgemäße Einrichtungen, die sie irgend einmal unternommen, aus zu rück¬
sichtsvoller Schwäche nie mit Energie zur Ausführung brachte und lieber ans ver¬
decktem Umwege zum Ziel zu gelangen suchte, auf welchem sie jedoch nie zu
rechter Zeit und nie gründlich das Gute durchgesetzt hat.

Der Trinkzwang besteht darin, daß dem Bauer also statt des durch
seine „freie Arbeit" verdienten Geldes Bier oder Branntwein gegeben wird. Der
Bauer erhält Papierzettelcheu oder Blechmarken, welche gewöhnlich einen angeb¬
lichen Werth von zwei bis zu zwanzig Kreuzern haben. Diese grnudherrschaftliche
Münze wird nur in der herrschaftlichen Schenke angenommen, und der Bauer,
will er seine Gelddienste nicht gratis geleistet haben, muß die abscheuliche Münze
darin vertrinken und zwar in Getränken, die so schlecht sein können, als der Edel¬
mann sie zu mache» irgend nur Lust hat. Es ist dies allerdings ein bestialischer
Gebrauch. Es ist ein Hauptgrund zu der unvertilgbaren Trinksucht der Bauern.

Nach einem Aufenthalte von drei Stunden verließ ich das hübsche Siedliseo.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92981"/>
            <p xml:id="ID_490" prev="#ID_489"> deutschen Aemtern seien - - weniger in der Gegenwart als früher diese und<lb/>
andere Gebräuche den Bauern als unrechtmäßige Willkürlichkeiten dargestellt wor¬<lb/>
den, und dieses habe ihnen den Kopf verdreht. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_491"> Ich will hier bemerken, daß ich selbst wegen dieses schändlichen Trinkzwangs<lb/>
mich zuweilen mit meinen polnischen Gutsnachbarn erzürnt habe. Wer dergleichen<lb/>
Gebräuche zu dulden nicht von Jugend aus gewohnt ist, dem sind sie sehr wider¬<lb/>
lich, und man kann unmöglich unterlassen, sie zu kritisiren. Nur hätte in Gali-<lb/>
zien eine solche Kritik durch die Behörden, nie tückisch hinter dem Rücken der<lb/>
Grundherren von Unterbeamteten ausgehen sollen. Sie hätte vou der Regierung<lb/>
den Edelhecren direct vor die Stirn geschleudert werden müssen, dann würden<lb/>
die Mißbräuche beseitigt worden sein, ohne jene furchtbaren Ereignisse.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_492"> Der Trinkzwang ist allgemein auf dem ganzen polnischen Gebiete. Daß er<lb/>
auch in Galizien noch stattfand, ja noch stattfindet, ist ein Beweis davon, daß<lb/>
Galizien noch echt polnisch construirt ist. Er ist das sicherste Absatzmittel für die<lb/>
grundherrschaftlichen Bierbrauereien und Branntweinbrennereien, deren Besitz und<lb/>
Betrieb ein uraltes Recht des Adels ist, das außerhalb der Städte in Galizien<lb/>
auch noch niemals in die Hand eines Baners oder Nichtadeligen gelangte und<lb/>
durch das Nobotpatcnt vom Jahre 1786 nicht aufgehoben und nicht umgewandelt<lb/>
worden war. Dieses Patent, welches als Maximum der Robot zwei Tage wöchent¬<lb/>
lich festsetzte, hatte überhaupt, wie bekannt, die beabsichtigte Ausführung nicht<lb/>
erfahren, denn auf derselben Reise, von welcher ich spreche, kam ich in Dörfer,<lb/>
wo die Bauern drei und vier Spann- und dazu mehrere Handrobottage wöchent¬<lb/>
lich, und manchen andern Dienst, z.B. den verhaßten Hofknechts - und Hofmagds¬<lb/>
dienst zu leisten hatten, von welchen doch nach Erlassung jenes Patentes nicht<lb/>
mehr die Rede sein sollte. Ein alter Vorwurf, den der östreichischen Regie¬<lb/>
rung zu machen man in Galizien alle Schritte lang veranlaßt wird, ist der, daß<lb/>
sie zeitgemäße Einrichtungen, die sie irgend einmal unternommen, aus zu rück¬<lb/>
sichtsvoller Schwäche nie mit Energie zur Ausführung brachte und lieber ans ver¬<lb/>
decktem Umwege zum Ziel zu gelangen suchte, auf welchem sie jedoch nie zu<lb/>
rechter Zeit und nie gründlich das Gute durchgesetzt hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_493"> Der Trinkzwang besteht darin, daß dem Bauer also statt des durch<lb/>
seine &#x201E;freie Arbeit" verdienten Geldes Bier oder Branntwein gegeben wird. Der<lb/>
Bauer erhält Papierzettelcheu oder Blechmarken, welche gewöhnlich einen angeb¬<lb/>
lichen Werth von zwei bis zu zwanzig Kreuzern haben. Diese grnudherrschaftliche<lb/>
Münze wird nur in der herrschaftlichen Schenke angenommen, und der Bauer,<lb/>
will er seine Gelddienste nicht gratis geleistet haben, muß die abscheuliche Münze<lb/>
darin vertrinken und zwar in Getränken, die so schlecht sein können, als der Edel¬<lb/>
mann sie zu mache» irgend nur Lust hat. Es ist dies allerdings ein bestialischer<lb/>
Gebrauch. Es ist ein Hauptgrund zu der unvertilgbaren Trinksucht der Bauern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_494" next="#ID_495"> Nach einem Aufenthalte von drei Stunden verließ ich das hübsche Siedliseo.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] deutschen Aemtern seien - - weniger in der Gegenwart als früher diese und andere Gebräuche den Bauern als unrechtmäßige Willkürlichkeiten dargestellt wor¬ den, und dieses habe ihnen den Kopf verdreht. — Ich will hier bemerken, daß ich selbst wegen dieses schändlichen Trinkzwangs mich zuweilen mit meinen polnischen Gutsnachbarn erzürnt habe. Wer dergleichen Gebräuche zu dulden nicht von Jugend aus gewohnt ist, dem sind sie sehr wider¬ lich, und man kann unmöglich unterlassen, sie zu kritisiren. Nur hätte in Gali- zien eine solche Kritik durch die Behörden, nie tückisch hinter dem Rücken der Grundherren von Unterbeamteten ausgehen sollen. Sie hätte vou der Regierung den Edelhecren direct vor die Stirn geschleudert werden müssen, dann würden die Mißbräuche beseitigt worden sein, ohne jene furchtbaren Ereignisse. Der Trinkzwang ist allgemein auf dem ganzen polnischen Gebiete. Daß er auch in Galizien noch stattfand, ja noch stattfindet, ist ein Beweis davon, daß Galizien noch echt polnisch construirt ist. Er ist das sicherste Absatzmittel für die grundherrschaftlichen Bierbrauereien und Branntweinbrennereien, deren Besitz und Betrieb ein uraltes Recht des Adels ist, das außerhalb der Städte in Galizien auch noch niemals in die Hand eines Baners oder Nichtadeligen gelangte und durch das Nobotpatcnt vom Jahre 1786 nicht aufgehoben und nicht umgewandelt worden war. Dieses Patent, welches als Maximum der Robot zwei Tage wöchent¬ lich festsetzte, hatte überhaupt, wie bekannt, die beabsichtigte Ausführung nicht erfahren, denn auf derselben Reise, von welcher ich spreche, kam ich in Dörfer, wo die Bauern drei und vier Spann- und dazu mehrere Handrobottage wöchent¬ lich, und manchen andern Dienst, z.B. den verhaßten Hofknechts - und Hofmagds¬ dienst zu leisten hatten, von welchen doch nach Erlassung jenes Patentes nicht mehr die Rede sein sollte. Ein alter Vorwurf, den der östreichischen Regie¬ rung zu machen man in Galizien alle Schritte lang veranlaßt wird, ist der, daß sie zeitgemäße Einrichtungen, die sie irgend einmal unternommen, aus zu rück¬ sichtsvoller Schwäche nie mit Energie zur Ausführung brachte und lieber ans ver¬ decktem Umwege zum Ziel zu gelangen suchte, auf welchem sie jedoch nie zu rechter Zeit und nie gründlich das Gute durchgesetzt hat. Der Trinkzwang besteht darin, daß dem Bauer also statt des durch seine „freie Arbeit" verdienten Geldes Bier oder Branntwein gegeben wird. Der Bauer erhält Papierzettelcheu oder Blechmarken, welche gewöhnlich einen angeb¬ lichen Werth von zwei bis zu zwanzig Kreuzern haben. Diese grnudherrschaftliche Münze wird nur in der herrschaftlichen Schenke angenommen, und der Bauer, will er seine Gelddienste nicht gratis geleistet haben, muß die abscheuliche Münze darin vertrinken und zwar in Getränken, die so schlecht sein können, als der Edel¬ mann sie zu mache» irgend nur Lust hat. Es ist dies allerdings ein bestialischer Gebrauch. Es ist ein Hauptgrund zu der unvertilgbaren Trinksucht der Bauern. Nach einem Aufenthalte von drei Stunden verließ ich das hübsche Siedliseo.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/158>, abgerufen am 04.07.2024.