Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aus dem jüdischen Schenkwirth und einem alten Bauer, der vor der Thür
der Schenke rastete, suchte ich zuerst herauözufragen, was mich interessirte, das
Verhalten des Grundherren gegen seine Unterthan".", seine Vermögensverhältnisse,
die voraussichtlich Niemand besser kannte, als der Jude :c. Was ich erfuhr und
was sich später bestätigte, ist vielleicht von allgemeinem Interesse und mag Ihren
Lesern ein Bild von der damaligen Stellung der Gutsherren zu den Bauern ge¬
ben. Sie erzählten: Er sei ein nicht eben reicher Edelmann, da die Grundherr¬
schast der Familie sich in eine Menge Hände zersplittere. Auch sei er kein böser
Mann und eben am vorigen Abend sei zwischen den Bauern ein heftiger Streit
darum gewesen, ob es 23 oder 33 Jahr her sei, daß der alte Herr keinen Bauer
mehr geprügelt habe. Die letzten Prügel, welche Herr v. Boguszewski vertheilt,
sollten nämlich bei Gelegenheit einer Hochzeit auf den Rücken des Bräutigams,
welcher einem fremden Dorfe angehörte, darum gefallen sein, weil dieser ihn nicht
persönlich um die Erlaubniß, seine Unterthanin zu freien, ersucht hatte. Ein
Barbar, erzählte der Wirth, sei der alte Herr so wenig wie die jungen Herren.
Sie haben im Gesindehause eine Stube zu einem förmlichen Krankenspital einge¬
richtet, geben den Bauern die Medici", deren sie immer einen Vorrath im Palaste
haben, unentgeltlich, und haben seit Jahren darauf gehalten, daß der Hauslehrer
ärztliche Kenntnisse besitze, was oft genug dem Dorfe zum Vortheile gewesen sei.
Alles was die Bauern zu beklagen Ursache hätten, sei die wirklich militärische
Ordnnngssucht des Grundbesitzers, und diese sei sämmtlichen Gliedern seiner
Familie eigen, weshalb denn auch auf den andern Dörfern des Herrn bisweilen
ein wenig geklagt werde. Haue der Bauer deu ersten Baum am Rande des
Waldes, um ihn zu verfeuern, während dahinter der zweite Baum vom
Wind umgebrochen liege, so versäume der Herr freilich niemals, ihn vor sein
Gericht zu fordern und zu bestrafen. Fahre sich der Bauer an einem anderen als
dem gesetzliche" Freitage Holz ein, so könne er, bleibe es nicht verschwiegen, sicher
daraus rechnen, daß der Herr ihn bestrafe. Da aber die Bauern nur schwer von
der uralten liederlichen Gewohnheit lassen können, so kommen freilich nicht selten
Strafen vor, doch werde darum von den Bauer" kein großes Geschrei erhoben.
Das, worüber sie am meisten räsonnirten oder doch am meisten zu räsonniren
Grund hätten, sei der Trinkzwang. Die Robot oder "plus/o/^sull" (Herrschafts¬
dienst) sei nämlich nicht so umfassend, daß dadurch alle Dieustbedürfnisse der herr¬
schaftlichen Wirthschaft befriedigt werden. Der Bauer leiste außer deu Winter-
fuhreu nnr wöchentlich zwei Tage Spann- und drei Tage Handdienst. Daher sei
der Grundherr gezwungen die Bauern gegen Lohn zur Arbeit zu berufen, diesen
Lohn aber zahle er uicht in Geld aus, sondern in einer Anweisung ans die Schenke,
und dies sei es, was die Bauern bisweilen heftig aufdringe. Dieser Brauch,
fügte der interesstrte Schenkwirth hinzu, sei uralt, allgemein, und da der Bauer
doch einmal sein Geld vertrinken würde, durchaus nicht unrecht. Allein in den


Aus dem jüdischen Schenkwirth und einem alten Bauer, der vor der Thür
der Schenke rastete, suchte ich zuerst herauözufragen, was mich interessirte, das
Verhalten des Grundherren gegen seine Unterthan«.», seine Vermögensverhältnisse,
die voraussichtlich Niemand besser kannte, als der Jude :c. Was ich erfuhr und
was sich später bestätigte, ist vielleicht von allgemeinem Interesse und mag Ihren
Lesern ein Bild von der damaligen Stellung der Gutsherren zu den Bauern ge¬
ben. Sie erzählten: Er sei ein nicht eben reicher Edelmann, da die Grundherr¬
schast der Familie sich in eine Menge Hände zersplittere. Auch sei er kein böser
Mann und eben am vorigen Abend sei zwischen den Bauern ein heftiger Streit
darum gewesen, ob es 23 oder 33 Jahr her sei, daß der alte Herr keinen Bauer
mehr geprügelt habe. Die letzten Prügel, welche Herr v. Boguszewski vertheilt,
sollten nämlich bei Gelegenheit einer Hochzeit auf den Rücken des Bräutigams,
welcher einem fremden Dorfe angehörte, darum gefallen sein, weil dieser ihn nicht
persönlich um die Erlaubniß, seine Unterthanin zu freien, ersucht hatte. Ein
Barbar, erzählte der Wirth, sei der alte Herr so wenig wie die jungen Herren.
Sie haben im Gesindehause eine Stube zu einem förmlichen Krankenspital einge¬
richtet, geben den Bauern die Medici«, deren sie immer einen Vorrath im Palaste
haben, unentgeltlich, und haben seit Jahren darauf gehalten, daß der Hauslehrer
ärztliche Kenntnisse besitze, was oft genug dem Dorfe zum Vortheile gewesen sei.
Alles was die Bauern zu beklagen Ursache hätten, sei die wirklich militärische
Ordnnngssucht des Grundbesitzers, und diese sei sämmtlichen Gliedern seiner
Familie eigen, weshalb denn auch auf den andern Dörfern des Herrn bisweilen
ein wenig geklagt werde. Haue der Bauer deu ersten Baum am Rande des
Waldes, um ihn zu verfeuern, während dahinter der zweite Baum vom
Wind umgebrochen liege, so versäume der Herr freilich niemals, ihn vor sein
Gericht zu fordern und zu bestrafen. Fahre sich der Bauer an einem anderen als
dem gesetzliche» Freitage Holz ein, so könne er, bleibe es nicht verschwiegen, sicher
daraus rechnen, daß der Herr ihn bestrafe. Da aber die Bauern nur schwer von
der uralten liederlichen Gewohnheit lassen können, so kommen freilich nicht selten
Strafen vor, doch werde darum von den Bauer» kein großes Geschrei erhoben.
Das, worüber sie am meisten räsonnirten oder doch am meisten zu räsonniren
Grund hätten, sei der Trinkzwang. Die Robot oder „plus/o/^sull" (Herrschafts¬
dienst) sei nämlich nicht so umfassend, daß dadurch alle Dieustbedürfnisse der herr¬
schaftlichen Wirthschaft befriedigt werden. Der Bauer leiste außer deu Winter-
fuhreu nnr wöchentlich zwei Tage Spann- und drei Tage Handdienst. Daher sei
der Grundherr gezwungen die Bauern gegen Lohn zur Arbeit zu berufen, diesen
Lohn aber zahle er uicht in Geld aus, sondern in einer Anweisung ans die Schenke,
und dies sei es, was die Bauern bisweilen heftig aufdringe. Dieser Brauch,
fügte der interesstrte Schenkwirth hinzu, sei uralt, allgemein, und da der Bauer
doch einmal sein Geld vertrinken würde, durchaus nicht unrecht. Allein in den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92980"/>
            <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> Aus dem jüdischen Schenkwirth und einem alten Bauer, der vor der Thür<lb/>
der Schenke rastete, suchte ich zuerst herauözufragen, was mich interessirte, das<lb/>
Verhalten des Grundherren gegen seine Unterthan«.», seine Vermögensverhältnisse,<lb/>
die voraussichtlich Niemand besser kannte, als der Jude :c. Was ich erfuhr und<lb/>
was sich später bestätigte, ist vielleicht von allgemeinem Interesse und mag Ihren<lb/>
Lesern ein Bild von der damaligen Stellung der Gutsherren zu den Bauern ge¬<lb/>
ben. Sie erzählten: Er sei ein nicht eben reicher Edelmann, da die Grundherr¬<lb/>
schast der Familie sich in eine Menge Hände zersplittere. Auch sei er kein böser<lb/>
Mann und eben am vorigen Abend sei zwischen den Bauern ein heftiger Streit<lb/>
darum gewesen, ob es 23 oder 33 Jahr her sei, daß der alte Herr keinen Bauer<lb/>
mehr geprügelt habe. Die letzten Prügel, welche Herr v. Boguszewski vertheilt,<lb/>
sollten nämlich bei Gelegenheit einer Hochzeit auf den Rücken des Bräutigams,<lb/>
welcher einem fremden Dorfe angehörte, darum gefallen sein, weil dieser ihn nicht<lb/>
persönlich um die Erlaubniß, seine Unterthanin zu freien, ersucht hatte. Ein<lb/>
Barbar, erzählte der Wirth, sei der alte Herr so wenig wie die jungen Herren.<lb/>
Sie haben im Gesindehause eine Stube zu einem förmlichen Krankenspital einge¬<lb/>
richtet, geben den Bauern die Medici«, deren sie immer einen Vorrath im Palaste<lb/>
haben, unentgeltlich, und haben seit Jahren darauf gehalten, daß der Hauslehrer<lb/>
ärztliche Kenntnisse besitze, was oft genug dem Dorfe zum Vortheile gewesen sei.<lb/>
Alles was die Bauern zu beklagen Ursache hätten, sei die wirklich militärische<lb/>
Ordnnngssucht des Grundbesitzers, und diese sei sämmtlichen Gliedern seiner<lb/>
Familie eigen, weshalb denn auch auf den andern Dörfern des Herrn bisweilen<lb/>
ein wenig geklagt werde. Haue der Bauer deu ersten Baum am Rande des<lb/>
Waldes, um ihn zu verfeuern, während dahinter der zweite Baum vom<lb/>
Wind umgebrochen liege, so versäume der Herr freilich niemals, ihn vor sein<lb/>
Gericht zu fordern und zu bestrafen. Fahre sich der Bauer an einem anderen als<lb/>
dem gesetzliche» Freitage Holz ein, so könne er, bleibe es nicht verschwiegen, sicher<lb/>
daraus rechnen, daß der Herr ihn bestrafe. Da aber die Bauern nur schwer von<lb/>
der uralten liederlichen Gewohnheit lassen können, so kommen freilich nicht selten<lb/>
Strafen vor, doch werde darum von den Bauer» kein großes Geschrei erhoben.<lb/>
Das, worüber sie am meisten räsonnirten oder doch am meisten zu räsonniren<lb/>
Grund hätten, sei der Trinkzwang. Die Robot oder &#x201E;plus/o/^sull" (Herrschafts¬<lb/>
dienst) sei nämlich nicht so umfassend, daß dadurch alle Dieustbedürfnisse der herr¬<lb/>
schaftlichen Wirthschaft befriedigt werden. Der Bauer leiste außer deu Winter-<lb/>
fuhreu nnr wöchentlich zwei Tage Spann- und drei Tage Handdienst. Daher sei<lb/>
der Grundherr gezwungen die Bauern gegen Lohn zur Arbeit zu berufen, diesen<lb/>
Lohn aber zahle er uicht in Geld aus, sondern in einer Anweisung ans die Schenke,<lb/>
und dies sei es, was die Bauern bisweilen heftig aufdringe. Dieser Brauch,<lb/>
fügte der interesstrte Schenkwirth hinzu, sei uralt, allgemein, und da der Bauer<lb/>
doch einmal sein Geld vertrinken würde, durchaus nicht unrecht. Allein in den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Aus dem jüdischen Schenkwirth und einem alten Bauer, der vor der Thür der Schenke rastete, suchte ich zuerst herauözufragen, was mich interessirte, das Verhalten des Grundherren gegen seine Unterthan«.», seine Vermögensverhältnisse, die voraussichtlich Niemand besser kannte, als der Jude :c. Was ich erfuhr und was sich später bestätigte, ist vielleicht von allgemeinem Interesse und mag Ihren Lesern ein Bild von der damaligen Stellung der Gutsherren zu den Bauern ge¬ ben. Sie erzählten: Er sei ein nicht eben reicher Edelmann, da die Grundherr¬ schast der Familie sich in eine Menge Hände zersplittere. Auch sei er kein böser Mann und eben am vorigen Abend sei zwischen den Bauern ein heftiger Streit darum gewesen, ob es 23 oder 33 Jahr her sei, daß der alte Herr keinen Bauer mehr geprügelt habe. Die letzten Prügel, welche Herr v. Boguszewski vertheilt, sollten nämlich bei Gelegenheit einer Hochzeit auf den Rücken des Bräutigams, welcher einem fremden Dorfe angehörte, darum gefallen sein, weil dieser ihn nicht persönlich um die Erlaubniß, seine Unterthanin zu freien, ersucht hatte. Ein Barbar, erzählte der Wirth, sei der alte Herr so wenig wie die jungen Herren. Sie haben im Gesindehause eine Stube zu einem förmlichen Krankenspital einge¬ richtet, geben den Bauern die Medici«, deren sie immer einen Vorrath im Palaste haben, unentgeltlich, und haben seit Jahren darauf gehalten, daß der Hauslehrer ärztliche Kenntnisse besitze, was oft genug dem Dorfe zum Vortheile gewesen sei. Alles was die Bauern zu beklagen Ursache hätten, sei die wirklich militärische Ordnnngssucht des Grundbesitzers, und diese sei sämmtlichen Gliedern seiner Familie eigen, weshalb denn auch auf den andern Dörfern des Herrn bisweilen ein wenig geklagt werde. Haue der Bauer deu ersten Baum am Rande des Waldes, um ihn zu verfeuern, während dahinter der zweite Baum vom Wind umgebrochen liege, so versäume der Herr freilich niemals, ihn vor sein Gericht zu fordern und zu bestrafen. Fahre sich der Bauer an einem anderen als dem gesetzliche» Freitage Holz ein, so könne er, bleibe es nicht verschwiegen, sicher daraus rechnen, daß der Herr ihn bestrafe. Da aber die Bauern nur schwer von der uralten liederlichen Gewohnheit lassen können, so kommen freilich nicht selten Strafen vor, doch werde darum von den Bauer» kein großes Geschrei erhoben. Das, worüber sie am meisten räsonnirten oder doch am meisten zu räsonniren Grund hätten, sei der Trinkzwang. Die Robot oder „plus/o/^sull" (Herrschafts¬ dienst) sei nämlich nicht so umfassend, daß dadurch alle Dieustbedürfnisse der herr¬ schaftlichen Wirthschaft befriedigt werden. Der Bauer leiste außer deu Winter- fuhreu nnr wöchentlich zwei Tage Spann- und drei Tage Handdienst. Daher sei der Grundherr gezwungen die Bauern gegen Lohn zur Arbeit zu berufen, diesen Lohn aber zahle er uicht in Geld aus, sondern in einer Anweisung ans die Schenke, und dies sei es, was die Bauern bisweilen heftig aufdringe. Dieser Brauch, fügte der interesstrte Schenkwirth hinzu, sei uralt, allgemein, und da der Bauer doch einmal sein Geld vertrinken würde, durchaus nicht unrecht. Allein in den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/157>, abgerufen am 04.07.2024.