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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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über erfahren. Bei solcher Auffassung, welche ungefähr dieselbe künstlerische Be¬
rechtigung hat, wie die Bilder in den Geschichtsbüchern unserer Mädchenschulen,
wird auch die künstlerische Bildung der Charaktere sehr gestört. Der Verfasser
dieses Stückes hat aber auch da, wo sie möglich gewesen wäre, keine Fähigkeit
dafür gezeigt. Der betrunkene Polterer Danton, der Schleicher Robespierre sind
rohe und widerliche Holzschnitte, von den Frauen gar nicht zu reden. Aber sie
waren in der Wirklichkeit nicht besser? Als wenn das für den Künstler eine Ent¬
schuldigung wäre. Und sie waren besser, sie waren doch Menschen mit einerstar¬
ken Lebenskraft, in dem Stück sind sie Nichts. Der Schluß des ersten Aktes
z. B. ist ein Streit zwischen Danton und Robespierre, der des zweiten Danton's
Verhaftung. Wie leicht wäre es auch einem mäßigen Talent gewesen, hier dra¬
matisches Leben zu entwickeln, namentlich Danton brauchte das, weil er, der Ge¬
gensatz und das Opfer Robespierre's, dessen Folie sein muß. Ihn hätte der Ver¬
fasser zunächst als einen tüchtigen Gesellen in großer Kraft und energischer That
zeigen müssen. Er läßt ihn aber in seiner großen Scene im ersten Akt sich be-
trinken und randaliren, im zweiten Akt, wo er sich von Robespierre verfolgt
weiß und die dringendste Aufforderung hat, etwas zu thun, in der Provinzial-
stadt neben , seinem Weibe sitzen und gemüthlich allerlei von Flucht und Rache
schwatzen, bis er gefangen wird. Als er gefangen ist, ermannt er sich allerdings,
denn weil die Nationalgarde, welche seine Verhaftung sichern soll, vor der Re¬
präsentanten Schärpe des Abgehenden noch salutirt, wendet er sich tnumphirend um
und spricht mit Donnerstimme: Noch kennt das Volk den Danton! -- Aber Alles
das ist historisch! -- Ja, das eben ist der Teufel, historisch sind viele gute Sa¬
chen, welche in einem Drama sehr einfältig aussehen. -- So aber geht es durch
das ganze Stück, sie tragen Alle Heldenlarven und sind nnr Pierrots, wohl¬
wollende Weinreisende oder schwarze Dominos.

Wer dies Urtheil für herb hält, dem diene zur Antwort, daß es noch viel
strenger sein sollte. Denn das Stück hat den größten Fehler, den ein Bühnen¬
stück haben kann, es ist roh, nicht weil die Seele, ans der es gequollen, unge¬
bildet ist, sondern weil sie verbildet ist. Es sind falsche Effecte, die sie sucht,
und unküustlerische Wirkungen, welche sie mit Prätension hervorruft. Aber woher
dann dieser allgemeine Beifall! Ist es möglich, daß ein solches Stück, werthlos
und inhaltlos, wie es hier geschildert ist, in den größten Städten Deutschlands
so laute Anerkennung des Publikums, so günstige Beurtheilung der Kritiker er¬
werben kann? Ja, ihr Freunde der grünen Blätter, das ist allerdings möglich
Man ist schon recht genügsam geworden in Sachen der Kunst, und die gutherzige
Menge, welcher es gerade jetzt ein dringendes Bedürfniß ist, zu genießen und
sich etwas imponiren zu lassen, ist gar nicht mehr weit von dem Geschmack der
Stegreifkomödien und Staatsactionen entfernt. Wir haben einige Haupt- und
Staatsactionen aus dem 17. Jahrhundert, mit welchen der Robespierre schon eine


über erfahren. Bei solcher Auffassung, welche ungefähr dieselbe künstlerische Be¬
rechtigung hat, wie die Bilder in den Geschichtsbüchern unserer Mädchenschulen,
wird auch die künstlerische Bildung der Charaktere sehr gestört. Der Verfasser
dieses Stückes hat aber auch da, wo sie möglich gewesen wäre, keine Fähigkeit
dafür gezeigt. Der betrunkene Polterer Danton, der Schleicher Robespierre sind
rohe und widerliche Holzschnitte, von den Frauen gar nicht zu reden. Aber sie
waren in der Wirklichkeit nicht besser? Als wenn das für den Künstler eine Ent¬
schuldigung wäre. Und sie waren besser, sie waren doch Menschen mit einerstar¬
ken Lebenskraft, in dem Stück sind sie Nichts. Der Schluß des ersten Aktes
z. B. ist ein Streit zwischen Danton und Robespierre, der des zweiten Danton's
Verhaftung. Wie leicht wäre es auch einem mäßigen Talent gewesen, hier dra¬
matisches Leben zu entwickeln, namentlich Danton brauchte das, weil er, der Ge¬
gensatz und das Opfer Robespierre's, dessen Folie sein muß. Ihn hätte der Ver¬
fasser zunächst als einen tüchtigen Gesellen in großer Kraft und energischer That
zeigen müssen. Er läßt ihn aber in seiner großen Scene im ersten Akt sich be-
trinken und randaliren, im zweiten Akt, wo er sich von Robespierre verfolgt
weiß und die dringendste Aufforderung hat, etwas zu thun, in der Provinzial-
stadt neben , seinem Weibe sitzen und gemüthlich allerlei von Flucht und Rache
schwatzen, bis er gefangen wird. Als er gefangen ist, ermannt er sich allerdings,
denn weil die Nationalgarde, welche seine Verhaftung sichern soll, vor der Re¬
präsentanten Schärpe des Abgehenden noch salutirt, wendet er sich tnumphirend um
und spricht mit Donnerstimme: Noch kennt das Volk den Danton! — Aber Alles
das ist historisch! — Ja, das eben ist der Teufel, historisch sind viele gute Sa¬
chen, welche in einem Drama sehr einfältig aussehen. — So aber geht es durch
das ganze Stück, sie tragen Alle Heldenlarven und sind nnr Pierrots, wohl¬
wollende Weinreisende oder schwarze Dominos.

Wer dies Urtheil für herb hält, dem diene zur Antwort, daß es noch viel
strenger sein sollte. Denn das Stück hat den größten Fehler, den ein Bühnen¬
stück haben kann, es ist roh, nicht weil die Seele, ans der es gequollen, unge¬
bildet ist, sondern weil sie verbildet ist. Es sind falsche Effecte, die sie sucht,
und unküustlerische Wirkungen, welche sie mit Prätension hervorruft. Aber woher
dann dieser allgemeine Beifall! Ist es möglich, daß ein solches Stück, werthlos
und inhaltlos, wie es hier geschildert ist, in den größten Städten Deutschlands
so laute Anerkennung des Publikums, so günstige Beurtheilung der Kritiker er¬
werben kann? Ja, ihr Freunde der grünen Blätter, das ist allerdings möglich
Man ist schon recht genügsam geworden in Sachen der Kunst, und die gutherzige
Menge, welcher es gerade jetzt ein dringendes Bedürfniß ist, zu genießen und
sich etwas imponiren zu lassen, ist gar nicht mehr weit von dem Geschmack der
Stegreifkomödien und Staatsactionen entfernt. Wir haben einige Haupt- und
Staatsactionen aus dem 17. Jahrhundert, mit welchen der Robespierre schon eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/143>, abgerufen am 27.06.2024.