Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.Denn öde und einsam war das Haus in des Bahnhofs Nähe, in dem ich vor einem Denn öde und einsam war das Haus in des Bahnhofs Nähe, in dem ich vor einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92950"/> <p xml:id="ID_403" prev="#ID_402"> Denn öde und einsam war das Haus in des Bahnhofs Nähe, in dem ich vor einem<lb/> Jahr den Dichter von reichem Familienglück gesegnet, besuchte. Ich sage nicht, wie<lb/> der unbekannte Autor des genannten Artikels: „denn ich kenne ihn und habe ihn einst<lb/> geliebt", ich liebe ihn wie nur ein treuer Freund und Bewunderer des Genius und<lb/> werde ihn immer lieben, sei es im Glanz seiner geweihten Seele, wie sonst von Licht<lb/> und Leben strahlend, oder in seiner düstren Größe, den armen Märtyrer, dessen Dornen¬<lb/> krone ihre Strahlen vernichtend gegen die Verfolger des Geistes sendet. Ich stieg aus<lb/> und mußte doch an dem Hause vorbei, durch das Sternthor wandernd, das H«tel<lb/> Bellevue, das ich vor einem Jahr bewohnt, erreichen. O, wie blickte mich da, wie ein<lb/> beredtes Geistcrauge, der Schatten der Erinnerung an, ich drückte die Hand ans die<lb/> Augen und wäre ich eine Frau gewesen, mich hätten die glühenden Thränen lindernd<lb/> überströmt, die als Schmerzen in die bewegte Brust zurücksanken. Ja, vor einem Jahr,<lb/> als der deutsche Blüthcnsrühling alle Herzen dnrchjubelt, da war ich, es war im August,<lb/> in Bonn angelangt, zu Kinkel geeilt, den mächtigen Geist in dem Zusammenstoß mit<lb/> der thatengebietendcn Zeit zu sehen, ich hatte ihn 1847 kennen und lieben gelernt und<lb/> mit Wonne den Reden gelauscht, die ihm harmonisch von den Lippen strömten, seine '<lb/> ganze schöne Seele wie eine himmlische Inspiration, seinen weit umfassenden Geist wie<lb/> Ahndung seltner Gvtteswunder, sein Herz voll echter Menschenliebe, in treuer Brust<lb/> ausgenommen. — Ich fand ihn nicht zu Hause, er war in der Volksversammlung, seine<lb/> Frau war mit den Kindern allein, sie hatte seit, zehn Tagen ein neues Pfand seiner<lb/> Liebe, ein holdes Knäblein, ihr schönes dunkelblaues Auge glänzte noch von Fieber-<lb/> gluth, sie war bleich und bewegt, sie erzählte mir von den Verfolgungen, die sie in die¬<lb/> ser Zeit erlitten, weil der Dichter mit voller bewegter Brust in den Strom der Ver¬<lb/> heißungen für Völkerglück und Freiheit sich gestürzt. Johanna Kinkel ist nicht zehn,<lb/> sondern fünf Jahre älter als ihr Mann, sie liebt ihn mit jener warmen Liebesgluth,<lb/> die jedes Weib in den Augen des Geliebten verschönt, sie hat das Reich der Töne, die<lb/> ewig jung, wie Kinkel es ist, in meiner Gegenwart sie voll warmer Hingebung an die<lb/> Dichterbrust drückend, sagte, in ihrer Gewalt; unter ihren Stnrmeswogen und Licbes-<lb/> kosen, unter ihrem Festgeläute und leise beschwichtigende» Klängen, ist ihm manches<lb/> stolze Kunstgebilde aufgegangen, das er freundlich der lauschenden Welt mitgetheilt. —<lb/> Erst am Abend kam Kinkel, sein herrlich Weib, wie er sie nannte, zu begrüßen. Der<lb/> schöne schwärmende junge Mann von 1848 war unter der Zeiten Macht gewandelt, in<lb/> einem Jahr hatten silberne Locken ihm, unter den schwarzen Schmuck des Haupthaares<lb/> gemengt, die Schläfen gedeckt, Denken und Fühlen für seines Volkes Wohl, Sorgen<lb/> und Bangen um verscherzte Freiheitsgüter, hatten ihm das jugendliche Haupt versengt,<lb/> um die hohe Stirne schwebte der Gedanke, wie eine Silberwolke Gewitter zeugend, des<lb/> Blickes tiefe Gluthen leuchteten in erhabnen Ernst,-der dunkle Bart paßte zu des<lb/> Mannes erprobter Kraft, er schaute nicht jubelnd wie sonst, nein, mit ernster Beredt-<lb/> samkeit in der Zeiten Ringen und Kämpfe, eine antike Ruhe wie ein Freund sich aus¬<lb/> drückte, über einem Flammenmeer von Bewegung. Es war etwas prophetisches in sei¬<lb/> nem ganzen Wesen, in seiner Rede mächtigem Zauberklang. Sich selbst setzte er ganz<lb/> bei Seite, er meinte, die Idee, die allgewaltige, müsse siegend des Bösen Macht über¬<lb/> strahlen, sie sei aber um so Vieles großer als ihre Träger, daß diese bei Seite geschoben<lb/> würden, und wenn ich untergehe, sagte er mir mit düstrer Ruhe, was liegt daran,<lb/> wenn nur das Gute, daS ich gewollt, siegt, ein Mann muß sein Schicksal tragen<lb/> können.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0127]
Denn öde und einsam war das Haus in des Bahnhofs Nähe, in dem ich vor einem
Jahr den Dichter von reichem Familienglück gesegnet, besuchte. Ich sage nicht, wie
der unbekannte Autor des genannten Artikels: „denn ich kenne ihn und habe ihn einst
geliebt", ich liebe ihn wie nur ein treuer Freund und Bewunderer des Genius und
werde ihn immer lieben, sei es im Glanz seiner geweihten Seele, wie sonst von Licht
und Leben strahlend, oder in seiner düstren Größe, den armen Märtyrer, dessen Dornen¬
krone ihre Strahlen vernichtend gegen die Verfolger des Geistes sendet. Ich stieg aus
und mußte doch an dem Hause vorbei, durch das Sternthor wandernd, das H«tel
Bellevue, das ich vor einem Jahr bewohnt, erreichen. O, wie blickte mich da, wie ein
beredtes Geistcrauge, der Schatten der Erinnerung an, ich drückte die Hand ans die
Augen und wäre ich eine Frau gewesen, mich hätten die glühenden Thränen lindernd
überströmt, die als Schmerzen in die bewegte Brust zurücksanken. Ja, vor einem Jahr,
als der deutsche Blüthcnsrühling alle Herzen dnrchjubelt, da war ich, es war im August,
in Bonn angelangt, zu Kinkel geeilt, den mächtigen Geist in dem Zusammenstoß mit
der thatengebietendcn Zeit zu sehen, ich hatte ihn 1847 kennen und lieben gelernt und
mit Wonne den Reden gelauscht, die ihm harmonisch von den Lippen strömten, seine '
ganze schöne Seele wie eine himmlische Inspiration, seinen weit umfassenden Geist wie
Ahndung seltner Gvtteswunder, sein Herz voll echter Menschenliebe, in treuer Brust
ausgenommen. — Ich fand ihn nicht zu Hause, er war in der Volksversammlung, seine
Frau war mit den Kindern allein, sie hatte seit, zehn Tagen ein neues Pfand seiner
Liebe, ein holdes Knäblein, ihr schönes dunkelblaues Auge glänzte noch von Fieber-
gluth, sie war bleich und bewegt, sie erzählte mir von den Verfolgungen, die sie in die¬
ser Zeit erlitten, weil der Dichter mit voller bewegter Brust in den Strom der Ver¬
heißungen für Völkerglück und Freiheit sich gestürzt. Johanna Kinkel ist nicht zehn,
sondern fünf Jahre älter als ihr Mann, sie liebt ihn mit jener warmen Liebesgluth,
die jedes Weib in den Augen des Geliebten verschönt, sie hat das Reich der Töne, die
ewig jung, wie Kinkel es ist, in meiner Gegenwart sie voll warmer Hingebung an die
Dichterbrust drückend, sagte, in ihrer Gewalt; unter ihren Stnrmeswogen und Licbes-
kosen, unter ihrem Festgeläute und leise beschwichtigende» Klängen, ist ihm manches
stolze Kunstgebilde aufgegangen, das er freundlich der lauschenden Welt mitgetheilt. —
Erst am Abend kam Kinkel, sein herrlich Weib, wie er sie nannte, zu begrüßen. Der
schöne schwärmende junge Mann von 1848 war unter der Zeiten Macht gewandelt, in
einem Jahr hatten silberne Locken ihm, unter den schwarzen Schmuck des Haupthaares
gemengt, die Schläfen gedeckt, Denken und Fühlen für seines Volkes Wohl, Sorgen
und Bangen um verscherzte Freiheitsgüter, hatten ihm das jugendliche Haupt versengt,
um die hohe Stirne schwebte der Gedanke, wie eine Silberwolke Gewitter zeugend, des
Blickes tiefe Gluthen leuchteten in erhabnen Ernst,-der dunkle Bart paßte zu des
Mannes erprobter Kraft, er schaute nicht jubelnd wie sonst, nein, mit ernster Beredt-
samkeit in der Zeiten Ringen und Kämpfe, eine antike Ruhe wie ein Freund sich aus¬
drückte, über einem Flammenmeer von Bewegung. Es war etwas prophetisches in sei¬
nem ganzen Wesen, in seiner Rede mächtigem Zauberklang. Sich selbst setzte er ganz
bei Seite, er meinte, die Idee, die allgewaltige, müsse siegend des Bösen Macht über¬
strahlen, sie sei aber um so Vieles großer als ihre Träger, daß diese bei Seite geschoben
würden, und wenn ich untergehe, sagte er mir mit düstrer Ruhe, was liegt daran,
wenn nur das Gute, daS ich gewollt, siegt, ein Mann muß sein Schicksal tragen
können.
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