Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Gottfried Kinkel in seiner wahren Gestalt.
Von G. w.

Der Verfasser des Aufsatzes über Gottfried Kinkel hat die folgenden Zeilen unse¬
rer Diskretion mit so liebenswürdiger Energie empfohlen, daß die Courtoisie der Grenz¬
boten größer wurde, als ihre gewöhnliche Verstocktheit. , Wir drucken ihn ab in der
Hoffnung, daß die zarte Theilnahme eines feinfühlenden Gemüths an dem Schicksal
eines Unglücklichen unter allen Umständen Anerkennung finden wird, um so mehr, je
seltener sie in unserer rauhen Zeit mit solcher Wärme ausgesprochen wird. Wenn sie
dem Gefangenen ein Trost ist, so wollen wir uns auch darüber freuen, obwohl uns,
den Söhnen der kühlen, verständigen Gegenwart diese schwärmerische Innigkeit ungefähr
eben so fremdartig vorkommt, wie dem Mephisto und seiner Höllenbrut jener Engelschor
und das Rvsenwerftn an Faust's Leiche.

"Ich blätterte eben in den vielgestaltigen Seiten der Grenzboten; es blickte mich
aus ihnen ein Name an, der, wenn er uns nicht durch seine warmen Poesien begeistert
hätte, heute durch das erhabene Unglück seines Trägers die Sympathien aller fühlenden
Menschen gewonnen. Gottfried Kinkel, war der Artikel betitelt; frisch und lebendig
sah ich in dem Bonner Leben den stolzen Rhein, den des Gefangenen Lied verherrlicht,
durch die blühende Musenstadt fluthen, ja ich hoffte, in der Bilder Wahrheit auch den
hellaufblickcnden Dichter wiederzufinden, begeistert wie ich ihn gerade um die Zeit ge¬
schaut, in die eine geschickte Feder sich verstiegen, um ein wahres Naturbild in eine
Fiction zu mengen; denn gerade wie der böse Leumund, die Entstellungssucht
leichtsinniger Neuigkeitsjäger ihn schilderte, wird die traurige Improvisation, in die
unwandelbare Natur eine wandelbare Schicksalslaune, hineingeschleudert. Das Auge
hat ihn nie in der Zeit seiner politischen Laufbahn gesehen, das Herz nie und
nimmermehr das seinige verstanden, das ihn als Gotteslästrer und Feind frommer
Sitte hingestellt. Gottlob! noch in finstren Kerkergranen wacht ein Auge über ihm,
Licht und Leben verbreitend, Liebe und Segen spendend, das Auge des Gottes, der
ihm nie fremd geworden, und ihn, sei es in der Kunst harmonischer Gebilde oder in
der Natur einfacher Größe, in der Menschheit Ringen und Kämpfen, ja in der Mit¬
welt Undank und Verfolgungssucht, als den auserwählten Verkündiger seiner Wunder ge¬
liebt. -- Es ist nicht der Gott, den Ihr mit den Lippen bekennt, nach aller Welt
Weise, des todten Buchstaben gefügig Kind, der Glaube Eurer Seele, der Hort Eures
Lebens! Von Innen herausgebildet, durchströmt von warmer Liebesgluth für Menschen¬
recht und Würde, hat er oft unbewußt in einem großen Herzen gewaltet, und sein
Odem war Liebesgabe, Selbstentäußerung und EiUsagnng, die erglühend für Andre
ihrer selbst vergaß. -- Auch ich bin nnter dem Gappen der Maschine, dem Rennen
und Summen der Menge, mit einem Herzen voll geweihter Erinnerungen in Bonn's
Bahnhof abgestiegen, ich drückte die Hand fest aus das gewaltig bewegte Herz, und
sagte dem Schritt, der unwillkürlich nach der wohlbekannten Seite hinlenkte: zurück!


Gottfried Kinkel in seiner wahren Gestalt.
Von G. w.

Der Verfasser des Aufsatzes über Gottfried Kinkel hat die folgenden Zeilen unse¬
rer Diskretion mit so liebenswürdiger Energie empfohlen, daß die Courtoisie der Grenz¬
boten größer wurde, als ihre gewöhnliche Verstocktheit. , Wir drucken ihn ab in der
Hoffnung, daß die zarte Theilnahme eines feinfühlenden Gemüths an dem Schicksal
eines Unglücklichen unter allen Umständen Anerkennung finden wird, um so mehr, je
seltener sie in unserer rauhen Zeit mit solcher Wärme ausgesprochen wird. Wenn sie
dem Gefangenen ein Trost ist, so wollen wir uns auch darüber freuen, obwohl uns,
den Söhnen der kühlen, verständigen Gegenwart diese schwärmerische Innigkeit ungefähr
eben so fremdartig vorkommt, wie dem Mephisto und seiner Höllenbrut jener Engelschor
und das Rvsenwerftn an Faust's Leiche.

„Ich blätterte eben in den vielgestaltigen Seiten der Grenzboten; es blickte mich
aus ihnen ein Name an, der, wenn er uns nicht durch seine warmen Poesien begeistert
hätte, heute durch das erhabene Unglück seines Trägers die Sympathien aller fühlenden
Menschen gewonnen. Gottfried Kinkel, war der Artikel betitelt; frisch und lebendig
sah ich in dem Bonner Leben den stolzen Rhein, den des Gefangenen Lied verherrlicht,
durch die blühende Musenstadt fluthen, ja ich hoffte, in der Bilder Wahrheit auch den
hellaufblickcnden Dichter wiederzufinden, begeistert wie ich ihn gerade um die Zeit ge¬
schaut, in die eine geschickte Feder sich verstiegen, um ein wahres Naturbild in eine
Fiction zu mengen; denn gerade wie der böse Leumund, die Entstellungssucht
leichtsinniger Neuigkeitsjäger ihn schilderte, wird die traurige Improvisation, in die
unwandelbare Natur eine wandelbare Schicksalslaune, hineingeschleudert. Das Auge
hat ihn nie in der Zeit seiner politischen Laufbahn gesehen, das Herz nie und
nimmermehr das seinige verstanden, das ihn als Gotteslästrer und Feind frommer
Sitte hingestellt. Gottlob! noch in finstren Kerkergranen wacht ein Auge über ihm,
Licht und Leben verbreitend, Liebe und Segen spendend, das Auge des Gottes, der
ihm nie fremd geworden, und ihn, sei es in der Kunst harmonischer Gebilde oder in
der Natur einfacher Größe, in der Menschheit Ringen und Kämpfen, ja in der Mit¬
welt Undank und Verfolgungssucht, als den auserwählten Verkündiger seiner Wunder ge¬
liebt. — Es ist nicht der Gott, den Ihr mit den Lippen bekennt, nach aller Welt
Weise, des todten Buchstaben gefügig Kind, der Glaube Eurer Seele, der Hort Eures
Lebens! Von Innen herausgebildet, durchströmt von warmer Liebesgluth für Menschen¬
recht und Würde, hat er oft unbewußt in einem großen Herzen gewaltet, und sein
Odem war Liebesgabe, Selbstentäußerung und EiUsagnng, die erglühend für Andre
ihrer selbst vergaß. — Auch ich bin nnter dem Gappen der Maschine, dem Rennen
und Summen der Menge, mit einem Herzen voll geweihter Erinnerungen in Bonn's
Bahnhof abgestiegen, ich drückte die Hand fest aus das gewaltig bewegte Herz, und
sagte dem Schritt, der unwillkürlich nach der wohlbekannten Seite hinlenkte: zurück!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92949"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gottfried Kinkel in seiner wahren Gestalt.<lb/><note type="byline"> Von G. w.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_401"> Der Verfasser des Aufsatzes über Gottfried Kinkel hat die folgenden Zeilen unse¬<lb/>
rer Diskretion mit so liebenswürdiger Energie empfohlen, daß die Courtoisie der Grenz¬<lb/>
boten größer wurde, als ihre gewöhnliche Verstocktheit. , Wir drucken ihn ab in der<lb/>
Hoffnung, daß die zarte Theilnahme eines feinfühlenden Gemüths an dem Schicksal<lb/>
eines Unglücklichen unter allen Umständen Anerkennung finden wird, um so mehr, je<lb/>
seltener sie in unserer rauhen Zeit mit solcher Wärme ausgesprochen wird. Wenn sie<lb/>
dem Gefangenen ein Trost ist, so wollen wir uns auch darüber freuen, obwohl uns,<lb/>
den Söhnen der kühlen, verständigen Gegenwart diese schwärmerische Innigkeit ungefähr<lb/>
eben so fremdartig vorkommt, wie dem Mephisto und seiner Höllenbrut jener Engelschor<lb/>
und das Rvsenwerftn an Faust's Leiche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_402" next="#ID_403"> &#x201E;Ich blätterte eben in den vielgestaltigen Seiten der Grenzboten; es blickte mich<lb/>
aus ihnen ein Name an, der, wenn er uns nicht durch seine warmen Poesien begeistert<lb/>
hätte, heute durch das erhabene Unglück seines Trägers die Sympathien aller fühlenden<lb/>
Menschen gewonnen. Gottfried Kinkel, war der Artikel betitelt; frisch und lebendig<lb/>
sah ich in dem Bonner Leben den stolzen Rhein, den des Gefangenen Lied verherrlicht,<lb/>
durch die blühende Musenstadt fluthen, ja ich hoffte, in der Bilder Wahrheit auch den<lb/>
hellaufblickcnden Dichter wiederzufinden, begeistert wie ich ihn gerade um die Zeit ge¬<lb/>
schaut, in die eine geschickte Feder sich verstiegen, um ein wahres Naturbild in eine<lb/>
Fiction zu mengen; denn gerade wie der böse Leumund, die Entstellungssucht<lb/>
leichtsinniger Neuigkeitsjäger ihn schilderte, wird die traurige Improvisation, in die<lb/>
unwandelbare Natur eine wandelbare Schicksalslaune, hineingeschleudert. Das Auge<lb/>
hat ihn nie in der Zeit seiner politischen Laufbahn gesehen, das Herz nie und<lb/>
nimmermehr das seinige verstanden, das ihn als Gotteslästrer und Feind frommer<lb/>
Sitte hingestellt. Gottlob! noch in finstren Kerkergranen wacht ein Auge über ihm,<lb/>
Licht und Leben verbreitend, Liebe und Segen spendend, das Auge des Gottes, der<lb/>
ihm nie fremd geworden, und ihn, sei es in der Kunst harmonischer Gebilde oder in<lb/>
der Natur einfacher Größe, in der Menschheit Ringen und Kämpfen, ja in der Mit¬<lb/>
welt Undank und Verfolgungssucht, als den auserwählten Verkündiger seiner Wunder ge¬<lb/>
liebt. &#x2014; Es ist nicht der Gott, den Ihr mit den Lippen bekennt, nach aller Welt<lb/>
Weise, des todten Buchstaben gefügig Kind, der Glaube Eurer Seele, der Hort Eures<lb/>
Lebens! Von Innen herausgebildet, durchströmt von warmer Liebesgluth für Menschen¬<lb/>
recht und Würde, hat er oft unbewußt in einem großen Herzen gewaltet, und sein<lb/>
Odem war Liebesgabe, Selbstentäußerung und EiUsagnng, die erglühend für Andre<lb/>
ihrer selbst vergaß. &#x2014; Auch ich bin nnter dem Gappen der Maschine, dem Rennen<lb/>
und Summen der Menge, mit einem Herzen voll geweihter Erinnerungen in Bonn's<lb/>
Bahnhof abgestiegen, ich drückte die Hand fest aus das gewaltig bewegte Herz, und<lb/>
sagte dem Schritt, der unwillkürlich nach der wohlbekannten Seite hinlenkte: zurück!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] Gottfried Kinkel in seiner wahren Gestalt. Von G. w. Der Verfasser des Aufsatzes über Gottfried Kinkel hat die folgenden Zeilen unse¬ rer Diskretion mit so liebenswürdiger Energie empfohlen, daß die Courtoisie der Grenz¬ boten größer wurde, als ihre gewöhnliche Verstocktheit. , Wir drucken ihn ab in der Hoffnung, daß die zarte Theilnahme eines feinfühlenden Gemüths an dem Schicksal eines Unglücklichen unter allen Umständen Anerkennung finden wird, um so mehr, je seltener sie in unserer rauhen Zeit mit solcher Wärme ausgesprochen wird. Wenn sie dem Gefangenen ein Trost ist, so wollen wir uns auch darüber freuen, obwohl uns, den Söhnen der kühlen, verständigen Gegenwart diese schwärmerische Innigkeit ungefähr eben so fremdartig vorkommt, wie dem Mephisto und seiner Höllenbrut jener Engelschor und das Rvsenwerftn an Faust's Leiche. „Ich blätterte eben in den vielgestaltigen Seiten der Grenzboten; es blickte mich aus ihnen ein Name an, der, wenn er uns nicht durch seine warmen Poesien begeistert hätte, heute durch das erhabene Unglück seines Trägers die Sympathien aller fühlenden Menschen gewonnen. Gottfried Kinkel, war der Artikel betitelt; frisch und lebendig sah ich in dem Bonner Leben den stolzen Rhein, den des Gefangenen Lied verherrlicht, durch die blühende Musenstadt fluthen, ja ich hoffte, in der Bilder Wahrheit auch den hellaufblickcnden Dichter wiederzufinden, begeistert wie ich ihn gerade um die Zeit ge¬ schaut, in die eine geschickte Feder sich verstiegen, um ein wahres Naturbild in eine Fiction zu mengen; denn gerade wie der böse Leumund, die Entstellungssucht leichtsinniger Neuigkeitsjäger ihn schilderte, wird die traurige Improvisation, in die unwandelbare Natur eine wandelbare Schicksalslaune, hineingeschleudert. Das Auge hat ihn nie in der Zeit seiner politischen Laufbahn gesehen, das Herz nie und nimmermehr das seinige verstanden, das ihn als Gotteslästrer und Feind frommer Sitte hingestellt. Gottlob! noch in finstren Kerkergranen wacht ein Auge über ihm, Licht und Leben verbreitend, Liebe und Segen spendend, das Auge des Gottes, der ihm nie fremd geworden, und ihn, sei es in der Kunst harmonischer Gebilde oder in der Natur einfacher Größe, in der Menschheit Ringen und Kämpfen, ja in der Mit¬ welt Undank und Verfolgungssucht, als den auserwählten Verkündiger seiner Wunder ge¬ liebt. — Es ist nicht der Gott, den Ihr mit den Lippen bekennt, nach aller Welt Weise, des todten Buchstaben gefügig Kind, der Glaube Eurer Seele, der Hort Eures Lebens! Von Innen herausgebildet, durchströmt von warmer Liebesgluth für Menschen¬ recht und Würde, hat er oft unbewußt in einem großen Herzen gewaltet, und sein Odem war Liebesgabe, Selbstentäußerung und EiUsagnng, die erglühend für Andre ihrer selbst vergaß. — Auch ich bin nnter dem Gappen der Maschine, dem Rennen und Summen der Menge, mit einem Herzen voll geweihter Erinnerungen in Bonn's Bahnhof abgestiegen, ich drückte die Hand fest aus das gewaltig bewegte Herz, und sagte dem Schritt, der unwillkürlich nach der wohlbekannten Seite hinlenkte: zurück!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/126>, abgerufen am 27.06.2024.