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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Vorstädten Wiens, den Edelhöfen Galiziens, ja noch aus den alten Hussitengrä-
bern winden sie sich heraus und flattern um die väterliche Burg des jungen Kai¬
sers und streuen ihren Zauber gegen die Arbeit seiner Räthe, Gutgemeintes in
Unheil und Klugheit in Thorheit verkehrend. Trübe und verhängnißvoll ist der
Winterhimmel über Oestreich, unwillkommen tont die Klage und Warnung dessen,
der Augen hat für ein solches Schicksal, in das Ohr der Sorglosen und Schlafen¬
den. Es ist keine angenehme Pflicht der Presse, schwarz zu sehen und Finsteres
zu berichten, aber es ist doch eine Pflicht und die Grenzboten werden sie auch im
nächsten Jahre getreulich erfüllen.

Heiterer wird das Auge, wenn es auf den andern Theil des idealen Deutsch¬
lands fällt, den wir hier mit frischem Vertrauen das Terrain des neuen Bundes¬
staates genannt haben. Freilich wenn Oestreich, der eine von den beiden Doppel¬
sternen des alten Germaniens, in düsterm Kometenlicht glänzt, so steckt der zweite,
unser Bundesstaat, noch in einem umhüllenden Nebel; aber doch regt sich in ihm
die Masse auf allen Seiten und folgt, wenn auch widerwillig dem geheimen Zuge
der Kristallisation. Auch in den deutschen Staaten ist Bürgerblut geflossen, die
Existenz einzelner Staaten in Frage gestellt, auch hier drohen finstere Gewalten
dem jungen Leben, welches aus dem Chaos herauswächst. Aber über allem Haß
und dem Leiden des Einzelnen ist doch eine frische Kraft und ein bewußter männ¬
licher Wille herauszuerkennen, und es ist Hoffnung da, daß das Höchste gelingen
wird, was die Menschheit in ihren Bildungen durchsetzen kann: ein Verschmelzen
organisirter Staatseinheiten zu einem Ganzen auf friedlichem Wege durch
ein ruhiges Prüfen und verständiges Abwägen der verschiedenartigen Interessen.
Mag man an den Dreikönigsbund und das Parlament in Erfurt glauben oder
nicht, Wen Parteien in Deutschland muß jetzt klar geworden sein, daß eine Ver¬
einigung neben Oestreich für die kleineren Staaten unvermeidlich geworden ist,
und daß diese Vereinigung die Bürgschaften eines festen ZusanMeuwachsens in
einer Volksvertretung der deutschen Stämme enthalten muß. Möglich, daß nicht
ohne neue Täuschungen und Differenzen diese Einheit durchgesetzt wird, beim Be¬
ginn des neuen Jahres soll diese Sorge unsre Freude nicht stören. In der
Hauptsache sind wir sicher, wir haben ein Ziel, auf das wir losgehn und wir
haben den Muth, dafür zu kämpfen. -- Allerdings nehmen wir in das neue Jahr
eine Menge von Verwirrungen und unhaltbaren Verbindungen mit herüber.

Der selige alte Bund und noch das Jahr 1848 haben uns allerlei an die
Seele gebunden, was aller Logik Twtz bietet. Wir haben z. B. im Gebiet der
deutschen Union noch Festungen, in denen eine östreichische Besatzung liegt, wir
haben eine deutsche Flotte, welche an den Meeren des Bundesstaates ankert und
durch die Beiträge sämmtlicher deutscher Staaten mit Ausnahme von Oestreich ge¬
baut ist und welche durch einen östreichischen Prinzen dirigirt wurde, in einer
mehr als zweideutigen Stellung zu der neuen Union schwebt und an welche Oese-


Vorstädten Wiens, den Edelhöfen Galiziens, ja noch aus den alten Hussitengrä-
bern winden sie sich heraus und flattern um die väterliche Burg des jungen Kai¬
sers und streuen ihren Zauber gegen die Arbeit seiner Räthe, Gutgemeintes in
Unheil und Klugheit in Thorheit verkehrend. Trübe und verhängnißvoll ist der
Winterhimmel über Oestreich, unwillkommen tont die Klage und Warnung dessen,
der Augen hat für ein solches Schicksal, in das Ohr der Sorglosen und Schlafen¬
den. Es ist keine angenehme Pflicht der Presse, schwarz zu sehen und Finsteres
zu berichten, aber es ist doch eine Pflicht und die Grenzboten werden sie auch im
nächsten Jahre getreulich erfüllen.

Heiterer wird das Auge, wenn es auf den andern Theil des idealen Deutsch¬
lands fällt, den wir hier mit frischem Vertrauen das Terrain des neuen Bundes¬
staates genannt haben. Freilich wenn Oestreich, der eine von den beiden Doppel¬
sternen des alten Germaniens, in düsterm Kometenlicht glänzt, so steckt der zweite,
unser Bundesstaat, noch in einem umhüllenden Nebel; aber doch regt sich in ihm
die Masse auf allen Seiten und folgt, wenn auch widerwillig dem geheimen Zuge
der Kristallisation. Auch in den deutschen Staaten ist Bürgerblut geflossen, die
Existenz einzelner Staaten in Frage gestellt, auch hier drohen finstere Gewalten
dem jungen Leben, welches aus dem Chaos herauswächst. Aber über allem Haß
und dem Leiden des Einzelnen ist doch eine frische Kraft und ein bewußter männ¬
licher Wille herauszuerkennen, und es ist Hoffnung da, daß das Höchste gelingen
wird, was die Menschheit in ihren Bildungen durchsetzen kann: ein Verschmelzen
organisirter Staatseinheiten zu einem Ganzen auf friedlichem Wege durch
ein ruhiges Prüfen und verständiges Abwägen der verschiedenartigen Interessen.
Mag man an den Dreikönigsbund und das Parlament in Erfurt glauben oder
nicht, Wen Parteien in Deutschland muß jetzt klar geworden sein, daß eine Ver¬
einigung neben Oestreich für die kleineren Staaten unvermeidlich geworden ist,
und daß diese Vereinigung die Bürgschaften eines festen ZusanMeuwachsens in
einer Volksvertretung der deutschen Stämme enthalten muß. Möglich, daß nicht
ohne neue Täuschungen und Differenzen diese Einheit durchgesetzt wird, beim Be¬
ginn des neuen Jahres soll diese Sorge unsre Freude nicht stören. In der
Hauptsache sind wir sicher, wir haben ein Ziel, auf das wir losgehn und wir
haben den Muth, dafür zu kämpfen. — Allerdings nehmen wir in das neue Jahr
eine Menge von Verwirrungen und unhaltbaren Verbindungen mit herüber.

Der selige alte Bund und noch das Jahr 1848 haben uns allerlei an die
Seele gebunden, was aller Logik Twtz bietet. Wir haben z. B. im Gebiet der
deutschen Union noch Festungen, in denen eine östreichische Besatzung liegt, wir
haben eine deutsche Flotte, welche an den Meeren des Bundesstaates ankert und
durch die Beiträge sämmtlicher deutscher Staaten mit Ausnahme von Oestreich ge¬
baut ist und welche durch einen östreichischen Prinzen dirigirt wurde, in einer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/12>, abgerufen am 24.07.2024.