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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Ideale fluchen aus dem Bundesstaat in das deutsche Oestreich, und wenn auch die
unaufhörlichem Welleisschläge norddeutscher Geistesrichtiing in den hohen Alpen-
gebirgen und unter den fremden Bölkermaffen, welche zwischen deu Deutschen des
Kaiferstaats siben, Einiges von ihrer Kraft verlieren, so ist die Strömling der
Gedanken vom Norden nach dem Süden doch durch seine Kunst aufzuhalten und
ebensowenig die alte Gegenströmung van Oestreich nach Rorddeutschland, durch
welche die lebhaften Anschauungen und Beobachtungen des wärmern südli-
chen Naturells der ernsten norddeutschen Reflexion zugeführt werden. Gegen-
wärtig ist in der Sphäre des theoretischen Geistes Oestreich in entschiedener Ab-
hängigkeit von dem Terrain des neuen Bundesstaats, Und dies Verhältniß wird
sich sobald nicht ändern, wie eifrig auch unsere Freunde, die Eichen bemüht fein
mögen, eine nationale Behandlung der Geschichte, der Paefie u. se w. der ont..
garen derltdcheu gegenüber zu stellen

Da uun auch das materielle Gedeihen eines Volkes von der Höhe Und Frei-
heit seiner wissenschaftlichen Bildung abhängt, da die gesammte Production des
Ackerbaus und der Industrie auch in Oestreich an deutsche Intelligenz gebunden ist,
und der Mittelpunkt dieser Intelligenz zwar weder in Berlin, noch in Sachsen noch
irl Schwaben allein liegt, jedenfalls aber im Terrain des neuen Bundesstaats,
fo ist der Kaiserstaat in der seltsamen Lage, daß er die stille treibende trefft fei-
lies Lebens nicht in feinem eigenen Gebiet einschließt, forrdern daß die erste Ouclle
für fein Gedeihen in den Grenzen eines anderen Staates entspringt. Um das
zu verstehen, wird man aber freilich zugehen müssen, daß der Staat der Habs-
burger uiiter alleu Umständen, droh aller Gleichberechtigung der Nationalitäten
auf der Herrschaft des deutschen Elements in Oestreich berrlht und, wenn
diese aufhört, in Trümmer fallen muß.

Schwer und unbeheilflich mit verworrenen Tauiverk stampft noch immer das
graße Schiff Oestreich auf den rollenden Wogen. alis dem Verdeck arbeiten
sie unermüdlich, dnrch relie Gesehe und Institutionen die Herrschaft über den be-
schädigten Bau wieder in die Hand zu bekommen, tief unter aber gurgelt und
stöhnt es in den Planken, es ist ein Leck in der Schatzkammer, gegen derr noch
keine Hilfe gefunden ist^ und durch ihn dringt Tod und Vernichtung in die alte
Kaisergaleere. Die Finanzen furchtbar zerrüttet, Ungarn, Galizien, Italien, die
Hälfte feines Flächenraums verwüstet, oder iinprodnctiv gemacht, die andere Hälfte
in mürrische Abspannung und Schwäche versunken, fo begrüßt der Kaisexstaat
das neue Jahx. Schwer' ist es , zu sinden , woher ihm Rettung kommen
kaiin, unmöglich vielleicht sie jeht noch durchzusehen, denn sehr gxoß ist die Ge-
walt alter Sünden dieses Staats, welche über seiner Gegenwart schatterihast schwe-
ben. Von allen Seiten mögt ihr sie aufsteigen sehr, die Gespenster der Rache
und des Hassest aus dem weißen Todestagen schweben sie empor, welches der
Winter mitleidig verhüllend über Ungarn gelegt, ans den Sümpfen Venedigs, den


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Ideale fluchen aus dem Bundesstaat in das deutsche Oestreich, und wenn auch die
unaufhörlichem Welleisschläge norddeutscher Geistesrichtiing in den hohen Alpen-
gebirgen und unter den fremden Bölkermaffen, welche zwischen deu Deutschen des
Kaiferstaats siben, Einiges von ihrer Kraft verlieren, so ist die Strömling der
Gedanken vom Norden nach dem Süden doch durch seine Kunst aufzuhalten und
ebensowenig die alte Gegenströmung van Oestreich nach Rorddeutschland, durch
welche die lebhaften Anschauungen und Beobachtungen des wärmern südli-
chen Naturells der ernsten norddeutschen Reflexion zugeführt werden. Gegen-
wärtig ist in der Sphäre des theoretischen Geistes Oestreich in entschiedener Ab-
hängigkeit von dem Terrain des neuen Bundesstaats, Und dies Verhältniß wird
sich sobald nicht ändern, wie eifrig auch unsere Freunde, die Eichen bemüht fein
mögen, eine nationale Behandlung der Geschichte, der Paefie u. se w. der ont..
garen derltdcheu gegenüber zu stellen

Da uun auch das materielle Gedeihen eines Volkes von der Höhe Und Frei-
heit seiner wissenschaftlichen Bildung abhängt, da die gesammte Production des
Ackerbaus und der Industrie auch in Oestreich an deutsche Intelligenz gebunden ist,
und der Mittelpunkt dieser Intelligenz zwar weder in Berlin, noch in Sachsen noch
irl Schwaben allein liegt, jedenfalls aber im Terrain des neuen Bundesstaats,
fo ist der Kaiserstaat in der seltsamen Lage, daß er die stille treibende trefft fei-
lies Lebens nicht in feinem eigenen Gebiet einschließt, forrdern daß die erste Ouclle
für fein Gedeihen in den Grenzen eines anderen Staates entspringt. Um das
zu verstehen, wird man aber freilich zugehen müssen, daß der Staat der Habs-
burger uiiter alleu Umständen, droh aller Gleichberechtigung der Nationalitäten
auf der Herrschaft des deutschen Elements in Oestreich berrlht und, wenn
diese aufhört, in Trümmer fallen muß.

Schwer und unbeheilflich mit verworrenen Tauiverk stampft noch immer das
graße Schiff Oestreich auf den rollenden Wogen. alis dem Verdeck arbeiten
sie unermüdlich, dnrch relie Gesehe und Institutionen die Herrschaft über den be-
schädigten Bau wieder in die Hand zu bekommen, tief unter aber gurgelt und
stöhnt es in den Planken, es ist ein Leck in der Schatzkammer, gegen derr noch
keine Hilfe gefunden ist^ und durch ihn dringt Tod und Vernichtung in die alte
Kaisergaleere. Die Finanzen furchtbar zerrüttet, Ungarn, Galizien, Italien, die
Hälfte feines Flächenraums verwüstet, oder iinprodnctiv gemacht, die andere Hälfte
in mürrische Abspannung und Schwäche versunken, fo begrüßt der Kaisexstaat
das neue Jahx. Schwer' ist es , zu sinden , woher ihm Rettung kommen
kaiin, unmöglich vielleicht sie jeht noch durchzusehen, denn sehr gxoß ist die Ge-
walt alter Sünden dieses Staats, welche über seiner Gegenwart schatterihast schwe-
ben. Von allen Seiten mögt ihr sie aufsteigen sehr, die Gespenster der Rache
und des Hassest aus dem weißen Todestagen schweben sie empor, welches der
Winter mitleidig verhüllend über Ungarn gelegt, ans den Sümpfen Venedigs, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/11>, abgerufen am 20.06.2024.